noch viele Große das Talent für ihren natürlichen Feind, oder doch für lästig und unbequem, gewiß aber für entbehrlich. Es giebt ganze Landstriche im deutschen Vaterlande, in welchen dem Adel, ein Buch zu lesen, noch immer für standeswidrig gilt, und er statt dessen lärmende, nichtige Tage abhetzt, wie in den Zeiten jener Bürgerschen Parforcejagd- Ballade. Das Auffallendste hiebei ist, daß selbst nach der ungeheuren Lehre, welche die Weltkriege den Privilegirten ertheilt hatten, diese noch nicht eingesehen haben, es sei mit dem leeren Scheine nunmehr für immer vorbei, und der erste Stand müsse nothwendig sich in sich selber gründlich fassen und restauriren. Es war seine erste Obliegenheit, dieß zu begreifen, es war die Lebensfrage für ihn, ob er sich mit dem Heiligthume deutscher Gesin- nung und Gesittung nunmehr inniglich verbünden, allem wahrhaftquellenden geistigen Leben der Ge- genwart Schirm und Schutz geben möchte, damit das Zauberbad dieses Lebens seine altersstarren Glieder verjünge. Er hat seine Stellung und diese Frage nicht verstanden, hat in allerhand kleinen Hausmittelchen seine Erkräftigung gesucht, und ist darüber obsolet geworden. Nie und zu keiner Zeit
Immermann's Münchhausen 1. Th. 26
noch viele Große das Talent für ihren natürlichen Feind, oder doch für läſtig und unbequem, gewiß aber für entbehrlich. Es giebt ganze Landſtriche im deutſchen Vaterlande, in welchen dem Adel, ein Buch zu leſen, noch immer für ſtandeswidrig gilt, und er ſtatt deſſen lärmende, nichtige Tage abhetzt, wie in den Zeiten jener Bürgerſchen Parforcejagd- Ballade. Das Auffallendſte hiebei iſt, daß ſelbſt nach der ungeheuren Lehre, welche die Weltkriege den Privilegirten ertheilt hatten, dieſe noch nicht eingeſehen haben, es ſei mit dem leeren Scheine nunmehr für immer vorbei, und der erſte Stand müſſe nothwendig ſich in ſich ſelber gründlich faſſen und reſtauriren. Es war ſeine erſte Obliegenheit, dieß zu begreifen, es war die Lebensfrage für ihn, ob er ſich mit dem Heiligthume deutſcher Geſin- nung und Geſittung nunmehr inniglich verbünden, allem wahrhaftquellenden geiſtigen Leben der Ge- genwart Schirm und Schutz geben möchte, damit das Zauberbad dieſes Lebens ſeine altersſtarren Glieder verjünge. Er hat ſeine Stellung und dieſe Frage nicht verſtanden, hat in allerhand kleinen Hausmittelchen ſeine Erkräftigung geſucht, und iſt darüber obſolet geworden. Nie und zu keiner Zeit
Immermann’s Münchhauſen 1. Th. 26
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noch viele Große das Talent für ihren natürlichen
Feind, oder doch für läſtig und unbequem, gewiß
aber für entbehrlich. Es giebt ganze Landſtriche
im deutſchen Vaterlande, in welchen dem Adel, ein
Buch zu leſen, noch immer für ſtandeswidrig gilt,
und er ſtatt deſſen lärmende, nichtige Tage abhetzt,
wie in den Zeiten jener Bürgerſchen Parforcejagd-
Ballade. Das Auffallendſte hiebei iſt, daß ſelbſt
nach der ungeheuren Lehre, welche die Weltkriege
den Privilegirten ertheilt hatten, dieſe noch nicht
eingeſehen haben, es ſei mit dem leeren Scheine
nunmehr für immer vorbei, und der erſte Stand
müſſe nothwendig ſich in ſich ſelber gründlich faſſen
und reſtauriren. Es war ſeine erſte Obliegenheit,
dieß zu begreifen, es war die Lebensfrage für ihn,
ob er ſich mit dem Heiligthume deutſcher Geſin-
nung und Geſittung nunmehr inniglich verbünden,
allem wahrhaftquellenden geiſtigen Leben der Ge-
genwart Schirm und Schutz geben möchte, damit
das Zauberbad dieſes Lebens ſeine altersſtarren
Glieder verjünge. Er hat ſeine Stellung und dieſe
Frage nicht verſtanden, hat in allerhand kleinen
Hausmittelchen ſeine Erkräftigung geſucht, und iſt
darüber obſolet geworden. Nie und zu keiner Zeit
Immermann’s Münchhauſen 1. Th. 26
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/409>, abgerufen am 22.11.2024.
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