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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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mirten Kreisen der Gesellschaft manches Perverse
hervorgeht, und aus deren einer derselbe Freund
auch die blutige That der armen, schönen, bejam-
mernswerthen Frau ableitete, deren Unglück darin
bestand, einen mittelmäßigen Dichter und großen
Selbstling geheirathet zu haben, liegen dem Volke
ganz fern. Das ganze potenzirte und destillirte
Genre, der Hermaphroditismus des Geistes und
Gemüthes, welchen die Muße eines langen Friedens
hie und da erzeugt hat, wird dem Stock und Stamm
der Gemeinschaft immer fremd bleiben.

In dieser orthopädischen Anstalt gerader und
normaler Verhältnisse legten sich denn meine etwas
verbogenen Glieder auch wieder zurecht. Freilich
muß man in der Stille und Abgeschiedenheit von
den brausenden Strömungen der Gegenwart auf
sich wachen, denn die Gefahr des Verbauerns
steht auch nahe, indessen noch hange ich durch stille
aber feste Fäden mit dem Weltganzen zusammen,
nur mit dem Unterschiede, daß sie sich jetzt bloß um
die Gegenstände schlingen, zu denen mich ein geisti-
ges Bedürfniß hinweist, während ich mir früher
manches geistige Bedürfniß, wie es so Manche
unserer Zeitgenossen machen, einzubilden wußte.


mirten Kreiſen der Geſellſchaft manches Perverſe
hervorgeht, und aus deren einer derſelbe Freund
auch die blutige That der armen, ſchönen, bejam-
mernswerthen Frau ableitete, deren Unglück darin
beſtand, einen mittelmäßigen Dichter und großen
Selbſtling geheirathet zu haben, liegen dem Volke
ganz fern. Das ganze potenzirte und deſtillirte
Genre, der Hermaphroditismus des Geiſtes und
Gemüthes, welchen die Muße eines langen Friedens
hie und da erzeugt hat, wird dem Stock und Stamm
der Gemeinſchaft immer fremd bleiben.

In dieſer orthopädiſchen Anſtalt gerader und
normaler Verhältniſſe legten ſich denn meine etwas
verbogenen Glieder auch wieder zurecht. Freilich
muß man in der Stille und Abgeſchiedenheit von
den brauſenden Strömungen der Gegenwart auf
ſich wachen, denn die Gefahr des Verbauerns
ſteht auch nahe, indeſſen noch hange ich durch ſtille
aber feſte Fäden mit dem Weltganzen zuſammen,
nur mit dem Unterſchiede, daß ſie ſich jetzt bloß um
die Gegenſtände ſchlingen, zu denen mich ein geiſti-
ges Bedürfniß hinweiſt, während ich mir früher
manches geiſtige Bedürfniß, wie es ſo Manche
unſerer Zeitgenoſſen machen, einzubilden wußte.


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[399/0407] mirten Kreiſen der Geſellſchaft manches Perverſe hervorgeht, und aus deren einer derſelbe Freund auch die blutige That der armen, ſchönen, bejam- mernswerthen Frau ableitete, deren Unglück darin beſtand, einen mittelmäßigen Dichter und großen Selbſtling geheirathet zu haben, liegen dem Volke ganz fern. Das ganze potenzirte und deſtillirte Genre, der Hermaphroditismus des Geiſtes und Gemüthes, welchen die Muße eines langen Friedens hie und da erzeugt hat, wird dem Stock und Stamm der Gemeinſchaft immer fremd bleiben. In dieſer orthopädiſchen Anſtalt gerader und normaler Verhältniſſe legten ſich denn meine etwas verbogenen Glieder auch wieder zurecht. Freilich muß man in der Stille und Abgeſchiedenheit von den brauſenden Strömungen der Gegenwart auf ſich wachen, denn die Gefahr des Verbauerns ſteht auch nahe, indeſſen noch hange ich durch ſtille aber feſte Fäden mit dem Weltganzen zuſammen, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie ſich jetzt bloß um die Gegenſtände ſchlingen, zu denen mich ein geiſti- ges Bedürfniß hinweiſt, während ich mir früher manches geiſtige Bedürfniß, wie es ſo Manche unſerer Zeitgenoſſen machen, einzubilden wußte.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/407>, abgerufen am 25.11.2024.