ewigen Keimens, Wachsens, Gedeihens aus dem dunkeln, segenbrütenden Schooße. In ihm gebiert sich immer neu der wahre Ruhm, die Macht und die Herrlichkeit der Nation, die es ja nur ist durch ihre Sitte, durch den Hort ihres Gedankens und ihrer Kunst, und dann durch den sprungweise her- vortretenden Heldenmuth, wenn die Dinge einmal wieder an den abschüssigen Rand des Verderbens getrieben worden sind. Dieses Volk findet, wie ein Wunderkind, beständig Perlen und Edelsteine, aber es achtet ihrer nicht, sondern verbleibt bei seiner genügsamen Armuth, dieses Volk ist ein Riese, wel- cher an dem seidenen Fädchen eines guten Wortes sich leiten läßt, es ist tiefsinnig, unschuldig, treu, tapfer, und hat alle diese Tugenden sich bewahrt unter Umständen, welche andere Völker oberflächlich, frech, treulos, feige gemacht haben.
Ich werde nicht, wie Le Vaillant die Tugen- den der Hottentotten auf Kosten der europäschen Civilisation herausstrich, den Lobredner idyllischer Rusticität und kleinbürgerlicher Enge machen, ich fühle sehr wohl, daß uns Allen durch den Um- schwung der Zeiten die Neigung zu glänzenden, geschmackvollen Dingen, zu einer Art von Aristo-
ewigen Keimens, Wachſens, Gedeihens aus dem dunkeln, ſegenbrütenden Schooße. In ihm gebiert ſich immer neu der wahre Ruhm, die Macht und die Herrlichkeit der Nation, die es ja nur iſt durch ihre Sitte, durch den Hort ihres Gedankens und ihrer Kunſt, und dann durch den ſprungweiſe her- vortretenden Heldenmuth, wenn die Dinge einmal wieder an den abſchüſſigen Rand des Verderbens getrieben worden ſind. Dieſes Volk findet, wie ein Wunderkind, beſtändig Perlen und Edelſteine, aber es achtet ihrer nicht, ſondern verbleibt bei ſeiner genügſamen Armuth, dieſes Volk iſt ein Rieſe, wel- cher an dem ſeidenen Fädchen eines guten Wortes ſich leiten läßt, es iſt tiefſinnig, unſchuldig, treu, tapfer, und hat alle dieſe Tugenden ſich bewahrt unter Umſtänden, welche andere Völker oberflächlich, frech, treulos, feige gemacht haben.
Ich werde nicht, wie Le Vaillant die Tugen- den der Hottentotten auf Koſten der europäſchen Civiliſation herausſtrich, den Lobredner idylliſcher Ruſticität und kleinbürgerlicher Enge machen, ich fühle ſehr wohl, daß uns Allen durch den Um- ſchwung der Zeiten die Neigung zu glänzenden, geſchmackvollen Dingen, zu einer Art von Ariſto-
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ewigen Keimens, Wachſens, Gedeihens aus dem
dunkeln, ſegenbrütenden Schooße. In ihm gebiert
ſich immer neu der wahre Ruhm, die Macht und
die Herrlichkeit der Nation, die es ja nur iſt durch
ihre Sitte, durch den Hort ihres Gedankens und
ihrer Kunſt, und dann durch den ſprungweiſe her-
vortretenden Heldenmuth, wenn die Dinge einmal
wieder an den abſchüſſigen Rand des Verderbens
getrieben worden ſind. Dieſes Volk findet, wie ein
Wunderkind, beſtändig Perlen und Edelſteine, aber
es achtet ihrer nicht, ſondern verbleibt bei ſeiner
genügſamen Armuth, dieſes Volk iſt ein Rieſe, wel-
cher an dem ſeidenen Fädchen eines guten Wortes ſich
leiten läßt, es iſt tiefſinnig, unſchuldig, treu, tapfer,
und hat alle dieſe Tugenden ſich bewahrt unter
Umſtänden, welche andere Völker oberflächlich, frech,
treulos, feige gemacht haben.
Ich werde nicht, wie Le Vaillant die Tugen-
den der Hottentotten auf Koſten der europäſchen
Civiliſation herausſtrich, den Lobredner idylliſcher
Ruſticität und kleinbürgerlicher Enge machen, ich
fühle ſehr wohl, daß uns Allen durch den Um-
ſchwung der Zeiten die Neigung zu glänzenden,
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/404>, abgerufen am 22.11.2024.
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