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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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dann hoffe er ihr die Versicherung über die Zinsen
oder diese sogar vielleicht selbst zugleich nach Hause
mitgeben zu können.

Als die schlanke und edle Gestalt des jungen
Mädchens hinter den letzten Wallnußbäumen des
Baumgartens verschwunden war, sagte einer der
Bauern: Wenn der alte Herr Baron die früher
zur Schaffnerin gehabt hätte, so wäre er nicht so
heruntergekommen und hätte nicht zu besorgen, daß
ihm das Haus einmal über dem Kopfe zusammen-
stürzt. -- Uebrigens ist es unrecht, daß sie das
Kind allein im Lande herumlaufen lassen.

Daran sehe ich eben kein Unrecht, erwiederte
der Hofschulze. Ich habe noch nicht erlebt, daß
einem ordentlichen Mädchen Schlechtigkeiten wider-
fahren wären. Eine reine Jungfer kann unter Räu-
ber und Mörder gehen, unter Gesindel und Be-
trunkne, sie thun ihr so leicht nichts. Vorigen Herbst,
als hier nebenan das Volk auf der Haide im Lager
stand, hatte sich meine Tochter bei einem Gange
über Feld unter einen marschirenden Trupp verlo-
ren. Ja, von Niemand war sie angetastet worden;
sie hatten sie, weil sie müde geworden war, ganz
sauber auf einen von ihren Vorspannwagen gehoben,

dann hoffe er ihr die Verſicherung über die Zinſen
oder dieſe ſogar vielleicht ſelbſt zugleich nach Hauſe
mitgeben zu können.

Als die ſchlanke und edle Geſtalt des jungen
Mädchens hinter den letzten Wallnußbäumen des
Baumgartens verſchwunden war, ſagte einer der
Bauern: Wenn der alte Herr Baron die früher
zur Schaffnerin gehabt hätte, ſo wäre er nicht ſo
heruntergekommen und hätte nicht zu beſorgen, daß
ihm das Haus einmal über dem Kopfe zuſammen-
ſtürzt. — Uebrigens iſt es unrecht, daß ſie das
Kind allein im Lande herumlaufen laſſen.

Daran ſehe ich eben kein Unrecht, erwiederte
der Hofſchulze. Ich habe noch nicht erlebt, daß
einem ordentlichen Mädchen Schlechtigkeiten wider-
fahren wären. Eine reine Jungfer kann unter Räu-
ber und Mörder gehen, unter Geſindel und Be-
trunkne, ſie thun ihr ſo leicht nichts. Vorigen Herbſt,
als hier nebenan das Volk auf der Haide im Lager
ſtand, hatte ſich meine Tochter bei einem Gange
über Feld unter einen marſchirenden Trupp verlo-
ren. Ja, von Niemand war ſie angetaſtet worden;
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[272/0280] dann hoffe er ihr die Verſicherung über die Zinſen oder dieſe ſogar vielleicht ſelbſt zugleich nach Hauſe mitgeben zu können. Als die ſchlanke und edle Geſtalt des jungen Mädchens hinter den letzten Wallnußbäumen des Baumgartens verſchwunden war, ſagte einer der Bauern: Wenn der alte Herr Baron die früher zur Schaffnerin gehabt hätte, ſo wäre er nicht ſo heruntergekommen und hätte nicht zu beſorgen, daß ihm das Haus einmal über dem Kopfe zuſammen- ſtürzt. — Uebrigens iſt es unrecht, daß ſie das Kind allein im Lande herumlaufen laſſen. Daran ſehe ich eben kein Unrecht, erwiederte der Hofſchulze. Ich habe noch nicht erlebt, daß einem ordentlichen Mädchen Schlechtigkeiten wider- fahren wären. Eine reine Jungfer kann unter Räu- ber und Mörder gehen, unter Geſindel und Be- trunkne, ſie thun ihr ſo leicht nichts. Vorigen Herbſt, als hier nebenan das Volk auf der Haide im Lager ſtand, hatte ſich meine Tochter bei einem Gange über Feld unter einen marſchirenden Trupp verlo- ren. Ja, von Niemand war ſie angetaſtet worden; ſie hatten ſie, weil ſie müde geworden war, ganz ſauber auf einen von ihren Vorſpannwagen gehoben,

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/280>, abgerufen am 25.11.2024.