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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Das Fräulein fuhr fort: In den Stunden,
in welchen ich der Empfindung nicht nachhing, habe
ich viel über den Wahnsinn nachgedacht und bin
auf folgendes Resultat gekommen. Aller Wahn-
sinn ist eigentlich eine krankhafte Richtung der
Natur, das Individuum in das Maaßlose zu erwei-
tern, und über die Schranken hinaus, welche die
Selbstverläugnung und eine edle Ergebung in die
Beschlüsse des Schicksals ihm setzt, ihm Güter,
Gefühle und Genüsse anzueignen. Deßhalb ist die
geistige Krankheit auch verhältnißmäßig häufiger bei
Personen aus den geringen Ständen, die so vieles
entbehren müssen, und schafft bei ihnen die Einbil-
dung, daß sie Könige, Kaiser, ja Gott seien, oder
daß sie große Schätze besitzen. Auch die Furcht vor
Feinden und Verfolgern, welche nicht selten als Aeu-
ßerung des Wahnsinns auftritt, und auf den ersten
Anblick meiner Erklärung zu widersprechen scheint,
bestätigt sie doch nur. Solche arme und unange-
sehene Leute haben nicht selten das geheime, nagende
Gefühl ihrer Unbedeutendheit; nun kann nur ein
Zufall, ein Mißgeschick ihre Seele erschüttern, so
fangen sie an, eine erträumte Wichtigkeit in der
Menge von geheimen Feinden, welche ihnen die

Das Fräulein fuhr fort: In den Stunden,
in welchen ich der Empfindung nicht nachhing, habe
ich viel über den Wahnſinn nachgedacht und bin
auf folgendes Reſultat gekommen. Aller Wahn-
ſinn iſt eigentlich eine krankhafte Richtung der
Natur, das Individuum in das Maaßloſe zu erwei-
tern, und über die Schranken hinaus, welche die
Selbſtverläugnung und eine edle Ergebung in die
Beſchlüſſe des Schickſals ihm ſetzt, ihm Güter,
Gefühle und Genüſſe anzueignen. Deßhalb iſt die
geiſtige Krankheit auch verhältnißmäßig häufiger bei
Perſonen aus den geringen Ständen, die ſo vieles
entbehren müſſen, und ſchafft bei ihnen die Einbil-
dung, daß ſie Könige, Kaiſer, ja Gott ſeien, oder
daß ſie große Schätze beſitzen. Auch die Furcht vor
Feinden und Verfolgern, welche nicht ſelten als Aeu-
ßerung des Wahnſinns auftritt, und auf den erſten
Anblick meiner Erklärung zu widerſprechen ſcheint,
beſtätigt ſie doch nur. Solche arme und unange-
ſehene Leute haben nicht ſelten das geheime, nagende
Gefühl ihrer Unbedeutendheit; nun kann nur ein
Zufall, ein Mißgeſchick ihre Seele erſchüttern, ſo
fangen ſie an, eine erträumte Wichtigkeit in der
Menge von geheimen Feinden, welche ihnen die

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[246/0254] Das Fräulein fuhr fort: In den Stunden, in welchen ich der Empfindung nicht nachhing, habe ich viel über den Wahnſinn nachgedacht und bin auf folgendes Reſultat gekommen. Aller Wahn- ſinn iſt eigentlich eine krankhafte Richtung der Natur, das Individuum in das Maaßloſe zu erwei- tern, und über die Schranken hinaus, welche die Selbſtverläugnung und eine edle Ergebung in die Beſchlüſſe des Schickſals ihm ſetzt, ihm Güter, Gefühle und Genüſſe anzueignen. Deßhalb iſt die geiſtige Krankheit auch verhältnißmäßig häufiger bei Perſonen aus den geringen Ständen, die ſo vieles entbehren müſſen, und ſchafft bei ihnen die Einbil- dung, daß ſie Könige, Kaiſer, ja Gott ſeien, oder daß ſie große Schätze beſitzen. Auch die Furcht vor Feinden und Verfolgern, welche nicht ſelten als Aeu- ßerung des Wahnſinns auftritt, und auf den erſten Anblick meiner Erklärung zu widerſprechen ſcheint, beſtätigt ſie doch nur. Solche arme und unange- ſehene Leute haben nicht ſelten das geheime, nagende Gefühl ihrer Unbedeutendheit; nun kann nur ein Zufall, ein Mißgeſchick ihre Seele erſchüttern, ſo fangen ſie an, eine erträumte Wichtigkeit in der Menge von geheimen Feinden, welche ihnen die

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/254>, abgerufen am 27.11.2024.