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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Während ihrer Abwesenheit gingen die drei
Zurückgelassenen, der Baron, das Fräulein und der
Schulmeister eines Nachmittags in dem verwilder-
ten französischen Garten spazieren. Sie verkehrten
aber nicht mit einander, wie dieß meistens bei sol-
chen Gartenwanderungen zu geschehen pflegte, son-
dern hingen in verschiedenen Wegen und Stegen
ihren eigenen Gedanken nach. Die Pfade um
das Schloß her waren fast überall von Dor-
nen versperrt, oder durch sumpfiges Erdreich feucht,
der trockne Sand, welcher die Gartenstege noch
immer einigermaßen bedeckte, verdiente daher ohne
Zweifel den Vorzug, wenn man lustwandeln wollte.
Damit aber diese gemeinsame Erholung einem
Jeden seine völlige Freiheit lasse, und der Stoff
der Gespräche nicht zu verschwenderisch eingezehrt
werde, hatte der alte Baron für die Gartenerho-
lung Aufhebung des geselligen Verkehrs als Regel
festgesetzt. Sollte eine Ausnahme eintreten, und
Gespräch herrschen, so war von ihm ein untrüglich
andeutendes Zeichen erfunden worden. Er schrieb
nämlich an solchen Tagen einem Genius von Sand-
stein, der, den Finger auf dem Munde, vor einer
kleinen düsteren Laube stand, und zu den noch am

Während ihrer Abweſenheit gingen die drei
Zurückgelaſſenen, der Baron, das Fräulein und der
Schulmeiſter eines Nachmittags in dem verwilder-
ten franzöſiſchen Garten ſpazieren. Sie verkehrten
aber nicht mit einander, wie dieß meiſtens bei ſol-
chen Gartenwanderungen zu geſchehen pflegte, ſon-
dern hingen in verſchiedenen Wegen und Stegen
ihren eigenen Gedanken nach. Die Pfade um
das Schloß her waren faſt überall von Dor-
nen verſperrt, oder durch ſumpfiges Erdreich feucht,
der trockne Sand, welcher die Gartenſtege noch
immer einigermaßen bedeckte, verdiente daher ohne
Zweifel den Vorzug, wenn man luſtwandeln wollte.
Damit aber dieſe gemeinſame Erholung einem
Jeden ſeine völlige Freiheit laſſe, und der Stoff
der Geſpräche nicht zu verſchwenderiſch eingezehrt
werde, hatte der alte Baron für die Gartenerho-
lung Aufhebung des geſelligen Verkehrs als Regel
feſtgeſetzt. Sollte eine Ausnahme eintreten, und
Geſpräch herrſchen, ſo war von ihm ein untrüglich
andeutendes Zeichen erfunden worden. Er ſchrieb
nämlich an ſolchen Tagen einem Genius von Sand-
ſtein, der, den Finger auf dem Munde, vor einer
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[165/0173] Während ihrer Abweſenheit gingen die drei Zurückgelaſſenen, der Baron, das Fräulein und der Schulmeiſter eines Nachmittags in dem verwilder- ten franzöſiſchen Garten ſpazieren. Sie verkehrten aber nicht mit einander, wie dieß meiſtens bei ſol- chen Gartenwanderungen zu geſchehen pflegte, ſon- dern hingen in verſchiedenen Wegen und Stegen ihren eigenen Gedanken nach. Die Pfade um das Schloß her waren faſt überall von Dor- nen verſperrt, oder durch ſumpfiges Erdreich feucht, der trockne Sand, welcher die Gartenſtege noch immer einigermaßen bedeckte, verdiente daher ohne Zweifel den Vorzug, wenn man luſtwandeln wollte. Damit aber dieſe gemeinſame Erholung einem Jeden ſeine völlige Freiheit laſſe, und der Stoff der Geſpräche nicht zu verſchwenderiſch eingezehrt werde, hatte der alte Baron für die Gartenerho- lung Aufhebung des geſelligen Verkehrs als Regel feſtgeſetzt. Sollte eine Ausnahme eintreten, und Geſpräch herrſchen, ſo war von ihm ein untrüglich andeutendes Zeichen erfunden worden. Er ſchrieb nämlich an ſolchen Tagen einem Genius von Sand- ſtein, der, den Finger auf dem Munde, vor einer kleinen düſteren Laube ſtand, und zu den noch am

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/173>, abgerufen am 28.11.2024.