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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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fehlte es auch nicht, kurz das Fest war auf seine Weise vollständig. Wo ist dein Bruder?

Ich weiß nicht, sagte meine Frau verlegen, ich habe ihn seit deiner Abreise nicht gesehn. Sie ging in den Grund des Zimmers und machte sich dort allerhand zu schaffen. Ich stellte mich an das Fenster, trommelte auf den Scheiben und überlegte, was zn thun sei. Sollte ich gleich zu meinen: Schwager gehn und von ihm Erklärungen fordern? Ich verwünschte die Scene mit der Maske, ich war leider auch im Unrecht, es war, wie die Diplomaten sagen, eine sehr zarte Situation. Indem ich so hin und wieder überlegte, fühlte ich einen leichten Schlag auf der Schulter. Ich wandte mich um, und -- die Pilgerin aus Köln stand vor mir, den Ueberwurf der Fledermaus, wie zur Beglaubigung ihrer Aechtheit, auf dem Arme tragend. Ich starrte die Gestalt sprachlos an. Sie reichte mir ein Papier, ich riß es auf: Sidoniens Ring und der meinige lagen darin. Ich konnte noch immer keinen Laut finden bei dieser Erscheinung, die, wie das Wunder, sichtbar, körperlich, greifbar, in den Kreis meines Lebens trat. Sie nahm die Maske ab, und -- das Antlitz meiner Frau lachte mir unter der Krempe des Huts entgegen.

Ich wich vor ihr drei Schritte zurück, wie vor einem Geiste; ein Gespenst hätte mich nicht gräßlicher erschrecken können. -- Beruhige dich, sagte sie scherzend. Nehmen Sie sich zusammen, mein saubrer Herr Gemahl, Sie werden der Fassung bedürfen. Das große Geheim-

fehlte es auch nicht, kurz das Fest war auf seine Weise vollständig. Wo ist dein Bruder?

Ich weiß nicht, sagte meine Frau verlegen, ich habe ihn seit deiner Abreise nicht gesehn. Sie ging in den Grund des Zimmers und machte sich dort allerhand zu schaffen. Ich stellte mich an das Fenster, trommelte auf den Scheiben und überlegte, was zn thun sei. Sollte ich gleich zu meinen: Schwager gehn und von ihm Erklärungen fordern? Ich verwünschte die Scene mit der Maske, ich war leider auch im Unrecht, es war, wie die Diplomaten sagen, eine sehr zarte Situation. Indem ich so hin und wieder überlegte, fühlte ich einen leichten Schlag auf der Schulter. Ich wandte mich um, und — die Pilgerin aus Köln stand vor mir, den Ueberwurf der Fledermaus, wie zur Beglaubigung ihrer Aechtheit, auf dem Arme tragend. Ich starrte die Gestalt sprachlos an. Sie reichte mir ein Papier, ich riß es auf: Sidoniens Ring und der meinige lagen darin. Ich konnte noch immer keinen Laut finden bei dieser Erscheinung, die, wie das Wunder, sichtbar, körperlich, greifbar, in den Kreis meines Lebens trat. Sie nahm die Maske ab, und — das Antlitz meiner Frau lachte mir unter der Krempe des Huts entgegen.

Ich wich vor ihr drei Schritte zurück, wie vor einem Geiste; ein Gespenst hätte mich nicht gräßlicher erschrecken können. — Beruhige dich, sagte sie scherzend. Nehmen Sie sich zusammen, mein saubrer Herr Gemahl, Sie werden der Fassung bedürfen. Das große Geheim-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/92>, abgerufen am 25.11.2024.