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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie kaum hörbar, und ein neuer Anstoß ihres Uebels vollendete den Sinn der Antwort. -- Aber Jene, die ich sah, zeigte mir ja den Ring, meinen Ring, den Sie von mir erhalten hatten? -- Den haben sie mir vor Gericht abgenommen, ich weiß nicht, in welche Hände er gerathen sein mag. -- Vor Gericht? Sind Sie vor Gericht gewesen? Himmel, was hatten Sie vor Gericht zu thun? -- Ich gab Rechenschaft von meinem Thun, ich hatte aber nichts begangen, was eure Gesetze bestrafen, sie ertheilten mir die Freiheit wieder, ich bin nach meinem Gesetze gerichtet. -- Ich rieb mir die Stirn, meine Seele lag auf der Folterbank schrecklicher Ahnungen.

Sie wohnen... sagte ich.

Seit vier Wochen hier. Aus den kleinen Städten lästerten sie mich weg. Köln ist groß, hier kann man unbemerkt, ruhig sterben.

Und allein -- in der Nacht...? stotterte ich. -- Ich scheue mich vor dem Tage, die Mitternacht ist meine Freundin. Das Auge Gottes leuchtet am hellsten durch das Dunkel; wenn die Geister beginnen umherzuwandeln, dann ist meine Stunde, denn ich bin ja auch nur noch ein Geist unter den Lebendigen. Dringen Sie nicht weiter in mich. Ach, wie ich mich freue, Sie noch einmal gesehen zu haben! So recht vom ganzen, ganzen Herzen! Auf dieses Glück hatte ich nicht gehofft. Wie ich Sie geliebt habe! Ich sterbe, so darf ich es Ihnen wohl sagen. Nicht gleich. Nicht damals, als

sie kaum hörbar, und ein neuer Anstoß ihres Uebels vollendete den Sinn der Antwort. — Aber Jene, die ich sah, zeigte mir ja den Ring, meinen Ring, den Sie von mir erhalten hatten? — Den haben sie mir vor Gericht abgenommen, ich weiß nicht, in welche Hände er gerathen sein mag. — Vor Gericht? Sind Sie vor Gericht gewesen? Himmel, was hatten Sie vor Gericht zu thun? — Ich gab Rechenschaft von meinem Thun, ich hatte aber nichts begangen, was eure Gesetze bestrafen, sie ertheilten mir die Freiheit wieder, ich bin nach meinem Gesetze gerichtet. — Ich rieb mir die Stirn, meine Seele lag auf der Folterbank schrecklicher Ahnungen.

Sie wohnen... sagte ich.

Seit vier Wochen hier. Aus den kleinen Städten lästerten sie mich weg. Köln ist groß, hier kann man unbemerkt, ruhig sterben.

Und allein — in der Nacht...? stotterte ich. — Ich scheue mich vor dem Tage, die Mitternacht ist meine Freundin. Das Auge Gottes leuchtet am hellsten durch das Dunkel; wenn die Geister beginnen umherzuwandeln, dann ist meine Stunde, denn ich bin ja auch nur noch ein Geist unter den Lebendigen. Dringen Sie nicht weiter in mich. Ach, wie ich mich freue, Sie noch einmal gesehen zu haben! So recht vom ganzen, ganzen Herzen! Auf dieses Glück hatte ich nicht gehofft. Wie ich Sie geliebt habe! Ich sterbe, so darf ich es Ihnen wohl sagen. Nicht gleich. Nicht damals, als

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[0089] sie kaum hörbar, und ein neuer Anstoß ihres Uebels vollendete den Sinn der Antwort. — Aber Jene, die ich sah, zeigte mir ja den Ring, meinen Ring, den Sie von mir erhalten hatten? — Den haben sie mir vor Gericht abgenommen, ich weiß nicht, in welche Hände er gerathen sein mag. — Vor Gericht? Sind Sie vor Gericht gewesen? Himmel, was hatten Sie vor Gericht zu thun? — Ich gab Rechenschaft von meinem Thun, ich hatte aber nichts begangen, was eure Gesetze bestrafen, sie ertheilten mir die Freiheit wieder, ich bin nach meinem Gesetze gerichtet. — Ich rieb mir die Stirn, meine Seele lag auf der Folterbank schrecklicher Ahnungen. Sie wohnen... sagte ich. Seit vier Wochen hier. Aus den kleinen Städten lästerten sie mich weg. Köln ist groß, hier kann man unbemerkt, ruhig sterben. Und allein — in der Nacht...? stotterte ich. — Ich scheue mich vor dem Tage, die Mitternacht ist meine Freundin. Das Auge Gottes leuchtet am hellsten durch das Dunkel; wenn die Geister beginnen umherzuwandeln, dann ist meine Stunde, denn ich bin ja auch nur noch ein Geist unter den Lebendigen. Dringen Sie nicht weiter in mich. Ach, wie ich mich freue, Sie noch einmal gesehen zu haben! So recht vom ganzen, ganzen Herzen! Auf dieses Glück hatte ich nicht gehofft. Wie ich Sie geliebt habe! Ich sterbe, so darf ich es Ihnen wohl sagen. Nicht gleich. Nicht damals, als

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/89>, abgerufen am 24.11.2024.