Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einzige Witz, den er im Vermögen hat, er soll ihn einmal von einem Studenten gekauft haben. Sein Sie doch fröhlich! rief die Pilgerin. Ich bin es ja, versetzte ich, und fing an, von dem traurigen Schicksale Portugals und Don Miguels Grausamkeit zu reden. Sie wollte sich todt lachen über diese Probe meiner Heiterkeit und meinte, die ganze portugiesische Geschichte rühre sie nicht so sehr, als das traurige Ende des armen Hühnchens, welches mit dem Hähnchen in die Nußhecken ging, Nüsse zu pflücken, und an einem Kerne erstickte. Ich werde euch eine Tragödie davon vorstellen, sagte mein Schwager, wand sich um den Zeigefinger der rechten und linken Hand die Zipfel seines Taschentuchs, daß zwei Puppen entstanden, und trug mit Schattenspiel an der Wand in barocken Versen jenes alberne Kindermärchen, dessen man sich vielleicht aus der Grimmschen Sammlung erinnert, dramatisch vor. Sidonie war ganz entzückt von dem Stücke, sprach kauderwälsche lyrische Chorstrophen dazwischen, und ich ging umher, mich dieser Possen schämend und nicht wissend, ob ich im Tollhause sei oder in vernünftiger Gesellschaft. Nun müssen wir recensiren, denn wir sind im nördlichen Deutschland, sagte die verwandelte Schwermüthige, als jener Galimathias vorüber war. Wohlan, mein Herr, was halten Sie vom Gedicht und Dichter? -- Ich habe immer bedauert, daß Adolph sein Talent nicht öffentlich zeigt, versetzte ich. -- Nichts da! rief mein Schwager, verführe mich nicht zur Thorheit. Das Leben will einzige Witz, den er im Vermögen hat, er soll ihn einmal von einem Studenten gekauft haben. Sein Sie doch fröhlich! rief die Pilgerin. Ich bin es ja, versetzte ich, und fing an, von dem traurigen Schicksale Portugals und Don Miguels Grausamkeit zu reden. Sie wollte sich todt lachen über diese Probe meiner Heiterkeit und meinte, die ganze portugiesische Geschichte rühre sie nicht so sehr, als das traurige Ende des armen Hühnchens, welches mit dem Hähnchen in die Nußhecken ging, Nüsse zu pflücken, und an einem Kerne erstickte. Ich werde euch eine Tragödie davon vorstellen, sagte mein Schwager, wand sich um den Zeigefinger der rechten und linken Hand die Zipfel seines Taschentuchs, daß zwei Puppen entstanden, und trug mit Schattenspiel an der Wand in barocken Versen jenes alberne Kindermärchen, dessen man sich vielleicht aus der Grimmschen Sammlung erinnert, dramatisch vor. Sidonie war ganz entzückt von dem Stücke, sprach kauderwälsche lyrische Chorstrophen dazwischen, und ich ging umher, mich dieser Possen schämend und nicht wissend, ob ich im Tollhause sei oder in vernünftiger Gesellschaft. Nun müssen wir recensiren, denn wir sind im nördlichen Deutschland, sagte die verwandelte Schwermüthige, als jener Galimathias vorüber war. Wohlan, mein Herr, was halten Sie vom Gedicht und Dichter? — Ich habe immer bedauert, daß Adolph sein Talent nicht öffentlich zeigt, versetzte ich. — Nichts da! rief mein Schwager, verführe mich nicht zur Thorheit. Das Leben will <TEI> <text> <body> <div n="15"> <p><pb facs="#f0084"/> einzige Witz, den er im Vermögen hat, er soll ihn einmal von einem Studenten gekauft haben. Sein Sie doch fröhlich! rief die Pilgerin. Ich bin es ja, versetzte ich, und fing an, von dem traurigen Schicksale Portugals und Don Miguels Grausamkeit zu reden. Sie wollte sich todt lachen über diese Probe meiner Heiterkeit und meinte, die ganze portugiesische Geschichte rühre sie nicht so sehr, als das traurige Ende des armen Hühnchens, welches mit dem Hähnchen in die Nußhecken ging, Nüsse zu pflücken, und an einem Kerne erstickte. Ich werde euch eine Tragödie davon vorstellen, sagte mein Schwager, wand sich um den Zeigefinger der rechten und linken Hand die Zipfel seines Taschentuchs, daß zwei Puppen entstanden, und trug mit Schattenspiel an der Wand in barocken Versen jenes alberne Kindermärchen, dessen man sich vielleicht aus der Grimmschen Sammlung erinnert, dramatisch vor. Sidonie war ganz entzückt von dem Stücke, sprach kauderwälsche lyrische Chorstrophen dazwischen, und ich ging umher, mich dieser Possen schämend und nicht wissend, ob ich im Tollhause sei oder in vernünftiger Gesellschaft.</p><lb/> <p>Nun müssen wir recensiren, denn wir sind im nördlichen Deutschland, sagte die verwandelte Schwermüthige, als jener Galimathias vorüber war. Wohlan, mein Herr, was halten Sie vom Gedicht und Dichter? — Ich habe immer bedauert, daß Adolph sein Talent nicht öffentlich zeigt, versetzte ich. — Nichts da! rief mein Schwager, verführe mich nicht zur Thorheit. Das Leben will<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
einzige Witz, den er im Vermögen hat, er soll ihn einmal von einem Studenten gekauft haben. Sein Sie doch fröhlich! rief die Pilgerin. Ich bin es ja, versetzte ich, und fing an, von dem traurigen Schicksale Portugals und Don Miguels Grausamkeit zu reden. Sie wollte sich todt lachen über diese Probe meiner Heiterkeit und meinte, die ganze portugiesische Geschichte rühre sie nicht so sehr, als das traurige Ende des armen Hühnchens, welches mit dem Hähnchen in die Nußhecken ging, Nüsse zu pflücken, und an einem Kerne erstickte. Ich werde euch eine Tragödie davon vorstellen, sagte mein Schwager, wand sich um den Zeigefinger der rechten und linken Hand die Zipfel seines Taschentuchs, daß zwei Puppen entstanden, und trug mit Schattenspiel an der Wand in barocken Versen jenes alberne Kindermärchen, dessen man sich vielleicht aus der Grimmschen Sammlung erinnert, dramatisch vor. Sidonie war ganz entzückt von dem Stücke, sprach kauderwälsche lyrische Chorstrophen dazwischen, und ich ging umher, mich dieser Possen schämend und nicht wissend, ob ich im Tollhause sei oder in vernünftiger Gesellschaft.
Nun müssen wir recensiren, denn wir sind im nördlichen Deutschland, sagte die verwandelte Schwermüthige, als jener Galimathias vorüber war. Wohlan, mein Herr, was halten Sie vom Gedicht und Dichter? — Ich habe immer bedauert, daß Adolph sein Talent nicht öffentlich zeigt, versetzte ich. — Nichts da! rief mein Schwager, verführe mich nicht zur Thorheit. Das Leben will
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/84>, abgerufen am 16.02.2025. |