Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.als früher und sprach: Die Juden treibe ich eben ganz aus, die müssen sämmtlich fort. Sie sind nur durch eine verächtliche Nachgiebigkeit unter uns emporgekommen. Was soll das orientalische Hirtenvolk in deutschchristlichen Staaten? Ja jage sie also in die Wüste, woher sie gekommen sind und wohin sie gehören. Diejenigen, welche bleiben wollen, müssen sich gefallen lassen, in die Vorstädte oder in bestimmte Straßen zu ziehn. Nichts wird ihnen erlaubt, als das Schachern; in meinem Staate sollen sie nie was Anderes sein, als Heuerlinge und Knechte! Dies war Anselmen zu viel. Ich kannte seine Ansicht von dem Punkte. Ernst hatte ihn in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. -- Frevle nicht! rief er mit erhabner Gebärde. -- Die Juden sind das Lebensprincip unseres Daseins, sie versuchen Alles, sie können Alles, sie bringen Bewegung in das Stockende. Noch mehr sollten sie begünstigt werden, als es schon geschehen ist. Man sollte sie in ihren Rechten über die Christen hinausstellen, damit w i r durch Brodneid und Aemulation aus unserm Schlafe erweckt würden. Philosophiren die Juden nicht? Giebt es nicht Staatskundige, Tiefdenker, Universalköpfe unter ihnen? Wer leiht das Geld zu den Kriegen her, welche die Könige führen? In diesem Volke, das sage ich dir, bricht die Morgenröthe unserer besseren Zukunft an. Nein, ich ließe sie Richter werden, Lehrer der Jugend, ein Jude müßte Theologie studiren und in der Kirche predigten können. als früher und sprach: Die Juden treibe ich eben ganz aus, die müssen sämmtlich fort. Sie sind nur durch eine verächtliche Nachgiebigkeit unter uns emporgekommen. Was soll das orientalische Hirtenvolk in deutschchristlichen Staaten? Ja jage sie also in die Wüste, woher sie gekommen sind und wohin sie gehören. Diejenigen, welche bleiben wollen, müssen sich gefallen lassen, in die Vorstädte oder in bestimmte Straßen zu ziehn. Nichts wird ihnen erlaubt, als das Schachern; in meinem Staate sollen sie nie was Anderes sein, als Heuerlinge und Knechte! Dies war Anselmen zu viel. Ich kannte seine Ansicht von dem Punkte. Ernst hatte ihn in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. — Frevle nicht! rief er mit erhabner Gebärde. — Die Juden sind das Lebensprincip unseres Daseins, sie versuchen Alles, sie können Alles, sie bringen Bewegung in das Stockende. Noch mehr sollten sie begünstigt werden, als es schon geschehen ist. Man sollte sie in ihren Rechten über die Christen hinausstellen, damit w i r durch Brodneid und Aemulation aus unserm Schlafe erweckt würden. Philosophiren die Juden nicht? Giebt es nicht Staatskundige, Tiefdenker, Universalköpfe unter ihnen? Wer leiht das Geld zu den Kriegen her, welche die Könige führen? In diesem Volke, das sage ich dir, bricht die Morgenröthe unserer besseren Zukunft an. Nein, ich ließe sie Richter werden, Lehrer der Jugend, ein Jude müßte Theologie studiren und in der Kirche predigten können. <TEI> <text> <body> <div n="12"> <p><pb facs="#f0065"/> als früher und sprach: Die Juden treibe ich eben ganz aus, die müssen sämmtlich fort. Sie sind nur durch eine verächtliche Nachgiebigkeit unter uns emporgekommen. Was soll das orientalische Hirtenvolk in deutschchristlichen Staaten? Ja jage sie also in die Wüste, woher sie gekommen sind und wohin sie gehören. Diejenigen, welche bleiben wollen, müssen sich gefallen lassen, in die Vorstädte oder in bestimmte Straßen zu ziehn. Nichts wird ihnen erlaubt, als das Schachern; in meinem Staate sollen sie nie was Anderes sein, als Heuerlinge und Knechte!</p><lb/> <p>Dies war Anselmen zu viel. Ich kannte seine Ansicht von dem Punkte. Ernst hatte ihn in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. — Frevle nicht! rief er mit erhabner Gebärde. — Die Juden sind das Lebensprincip unseres Daseins, sie versuchen Alles, sie können Alles, sie bringen Bewegung in das Stockende. Noch mehr sollten sie begünstigt werden, als es schon geschehen ist. Man sollte sie in ihren Rechten über die Christen hinausstellen, damit w i r durch Brodneid und Aemulation aus unserm Schlafe erweckt würden. Philosophiren die Juden nicht? Giebt es nicht Staatskundige, Tiefdenker, Universalköpfe unter ihnen? Wer leiht das Geld zu den Kriegen her, welche die Könige führen? In diesem Volke, das sage ich dir, bricht die Morgenröthe unserer besseren Zukunft an. Nein, ich ließe sie Richter werden, Lehrer der Jugend, ein Jude müßte Theologie studiren und in der Kirche predigten können.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
als früher und sprach: Die Juden treibe ich eben ganz aus, die müssen sämmtlich fort. Sie sind nur durch eine verächtliche Nachgiebigkeit unter uns emporgekommen. Was soll das orientalische Hirtenvolk in deutschchristlichen Staaten? Ja jage sie also in die Wüste, woher sie gekommen sind und wohin sie gehören. Diejenigen, welche bleiben wollen, müssen sich gefallen lassen, in die Vorstädte oder in bestimmte Straßen zu ziehn. Nichts wird ihnen erlaubt, als das Schachern; in meinem Staate sollen sie nie was Anderes sein, als Heuerlinge und Knechte!
Dies war Anselmen zu viel. Ich kannte seine Ansicht von dem Punkte. Ernst hatte ihn in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. — Frevle nicht! rief er mit erhabner Gebärde. — Die Juden sind das Lebensprincip unseres Daseins, sie versuchen Alles, sie können Alles, sie bringen Bewegung in das Stockende. Noch mehr sollten sie begünstigt werden, als es schon geschehen ist. Man sollte sie in ihren Rechten über die Christen hinausstellen, damit w i r durch Brodneid und Aemulation aus unserm Schlafe erweckt würden. Philosophiren die Juden nicht? Giebt es nicht Staatskundige, Tiefdenker, Universalköpfe unter ihnen? Wer leiht das Geld zu den Kriegen her, welche die Könige führen? In diesem Volke, das sage ich dir, bricht die Morgenröthe unserer besseren Zukunft an. Nein, ich ließe sie Richter werden, Lehrer der Jugend, ein Jude müßte Theologie studiren und in der Kirche predigten können.
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/65>, abgerufen am 16.02.2025. |