Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sei Dank! Geben Sie mir die Papiere zum Aufheben, Sie sind so arglos, so zutraulich ; wenn man auch darum Sie noch brächte! -- Und da ich auf diese wunderbare Bitte einige Momente zaudernd stand: O Gott! rief sie, ich will etwas Gutes thun, und er vertraut mir nicht! -- Ihre Stimme zitterte. Ueberwältigt von der Güte dieser Unerklärlichen sank ich vor ihr auf die Kniee und reichte ihr die Papiere hin. Sie barg das Päckchen unter dem Tuche auf ihrem Busen. An meinem Herzen verwahre ich dich, mit meinem Leben will ich dich vertheidigen! rief sie, sagte mir, der ich noch immer wie ein Narr auf den Knieen lag, eine süße gute Nacht und war hinweg. Ich sprang auf, wollte ihr nacheilen, aber die Thüre wich keinem Drücken, Klinken und Klopfen. Der Arzt ließ mich fragen, ob er zu mir kommen dürfe? Wie gerne hätte ich seinen Besuch abgelehnt, indessen wollte ich nicht so unhöflich sein. Er war nun theilnehmender als vorher, er erkundigte sich, wie Sidonie, ob ich Alles verloren habe? Mein Herz wußte von dem Unglück kaum noch etwas, ich war im Geiste mit süßen Dingen beschäftigt. Ich bat ihn, sich meinetwegen zu beruhigen, das Beste sei dem Diebe entgangen und befinde sich in guter Verwahrung. Ob ich diese Worte mit einem besonderen Accent ausgesprochen, ob ich einen unvorsichtigen Blick auf die verhängnißvolle Seitenthüre geworfen habe? ich weiß es nicht. Er sah, indem sein Gesicht sich verlängerte, zornig jene Thüre an und erwiderte nichts, als ein gedehntes: So! -- Nach eini- sei Dank! Geben Sie mir die Papiere zum Aufheben, Sie sind so arglos, so zutraulich ; wenn man auch darum Sie noch brächte! — Und da ich auf diese wunderbare Bitte einige Momente zaudernd stand: O Gott! rief sie, ich will etwas Gutes thun, und er vertraut mir nicht! — Ihre Stimme zitterte. Ueberwältigt von der Güte dieser Unerklärlichen sank ich vor ihr auf die Kniee und reichte ihr die Papiere hin. Sie barg das Päckchen unter dem Tuche auf ihrem Busen. An meinem Herzen verwahre ich dich, mit meinem Leben will ich dich vertheidigen! rief sie, sagte mir, der ich noch immer wie ein Narr auf den Knieen lag, eine süße gute Nacht und war hinweg. Ich sprang auf, wollte ihr nacheilen, aber die Thüre wich keinem Drücken, Klinken und Klopfen. Der Arzt ließ mich fragen, ob er zu mir kommen dürfe? Wie gerne hätte ich seinen Besuch abgelehnt, indessen wollte ich nicht so unhöflich sein. Er war nun theilnehmender als vorher, er erkundigte sich, wie Sidonie, ob ich Alles verloren habe? Mein Herz wußte von dem Unglück kaum noch etwas, ich war im Geiste mit süßen Dingen beschäftigt. Ich bat ihn, sich meinetwegen zu beruhigen, das Beste sei dem Diebe entgangen und befinde sich in guter Verwahrung. Ob ich diese Worte mit einem besonderen Accent ausgesprochen, ob ich einen unvorsichtigen Blick auf die verhängnißvolle Seitenthüre geworfen habe? ich weiß es nicht. Er sah, indem sein Gesicht sich verlängerte, zornig jene Thüre an und erwiderte nichts, als ein gedehntes: So! — Nach eini- <TEI> <text> <body> <div n="6"> <p><pb facs="#f0043"/> sei Dank! Geben Sie mir die Papiere zum Aufheben, Sie sind so arglos, so zutraulich ; wenn man auch darum Sie noch brächte! — Und da ich auf diese wunderbare Bitte einige Momente zaudernd stand: O Gott! rief sie, ich will etwas Gutes thun, und er vertraut mir nicht! — Ihre Stimme zitterte. Ueberwältigt von der Güte dieser Unerklärlichen sank ich vor ihr auf die Kniee und reichte ihr die Papiere hin. Sie barg das Päckchen unter dem Tuche auf ihrem Busen. An meinem Herzen verwahre ich dich, mit meinem Leben will ich dich vertheidigen! rief sie, sagte mir, der ich noch immer wie ein Narr auf den Knieen lag, eine süße gute Nacht und war hinweg. Ich sprang auf, wollte ihr nacheilen, aber die Thüre wich keinem Drücken, Klinken und Klopfen.</p><lb/> <p>Der Arzt ließ mich fragen, ob er zu mir kommen dürfe? Wie gerne hätte ich seinen Besuch abgelehnt, indessen wollte ich nicht so unhöflich sein. Er war nun theilnehmender als vorher, er erkundigte sich, wie Sidonie, ob ich Alles verloren habe? Mein Herz wußte von dem Unglück kaum noch etwas, ich war im Geiste mit süßen Dingen beschäftigt. Ich bat ihn, sich meinetwegen zu beruhigen, das Beste sei dem Diebe entgangen und befinde sich in guter Verwahrung. Ob ich diese Worte mit einem besonderen Accent ausgesprochen, ob ich einen unvorsichtigen Blick auf die verhängnißvolle Seitenthüre geworfen habe? ich weiß es nicht. Er sah, indem sein Gesicht sich verlängerte, zornig jene Thüre an und erwiderte nichts, als ein gedehntes: So! — Nach eini-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
sei Dank! Geben Sie mir die Papiere zum Aufheben, Sie sind so arglos, so zutraulich ; wenn man auch darum Sie noch brächte! — Und da ich auf diese wunderbare Bitte einige Momente zaudernd stand: O Gott! rief sie, ich will etwas Gutes thun, und er vertraut mir nicht! — Ihre Stimme zitterte. Ueberwältigt von der Güte dieser Unerklärlichen sank ich vor ihr auf die Kniee und reichte ihr die Papiere hin. Sie barg das Päckchen unter dem Tuche auf ihrem Busen. An meinem Herzen verwahre ich dich, mit meinem Leben will ich dich vertheidigen! rief sie, sagte mir, der ich noch immer wie ein Narr auf den Knieen lag, eine süße gute Nacht und war hinweg. Ich sprang auf, wollte ihr nacheilen, aber die Thüre wich keinem Drücken, Klinken und Klopfen.
Der Arzt ließ mich fragen, ob er zu mir kommen dürfe? Wie gerne hätte ich seinen Besuch abgelehnt, indessen wollte ich nicht so unhöflich sein. Er war nun theilnehmender als vorher, er erkundigte sich, wie Sidonie, ob ich Alles verloren habe? Mein Herz wußte von dem Unglück kaum noch etwas, ich war im Geiste mit süßen Dingen beschäftigt. Ich bat ihn, sich meinetwegen zu beruhigen, das Beste sei dem Diebe entgangen und befinde sich in guter Verwahrung. Ob ich diese Worte mit einem besonderen Accent ausgesprochen, ob ich einen unvorsichtigen Blick auf die verhängnißvolle Seitenthüre geworfen habe? ich weiß es nicht. Er sah, indem sein Gesicht sich verlängerte, zornig jene Thüre an und erwiderte nichts, als ein gedehntes: So! — Nach eini-
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/43>, abgerufen am 16.02.2025. |