Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.den hatte, um nicht mit einer vielleicht zahlreichen Familie in Nicht wenig wurde sie in ihren Ansichten, welche sie den hatte, um nicht mit einer vielleicht zahlreichen Familie in Nicht wenig wurde ſie in ihren Anſichten, welche ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0077" n="69"/> den hatte, um nicht mit einer vielleicht zahlreichen Familie in<lb/> Noth zu gerathen. Einen beſonders widerwaͤrtigen Eindruck<lb/> machte es auf ſie, daß bei dieſer wie bei vielen anderen Ge¬<lb/> legenheiten, auf Drohungen und Strafreden bald Liebkoſun¬<lb/> gen und Schmeicheleien folgten, und ihr namentlich das Gluͤck<lb/> der Ehe in der unverkennbaren Abſicht geprieſen wurde, ſie<lb/> fuͤr einen fanatiſchen Seidenwirkergeſellen zu gewinnen, wel¬<lb/> cher ihr in einer hoͤchſt laͤcherlichen Geſtalt erſchien. Ungeach¬<lb/> tet er ein ganz unwiſſender, roher Menſch war, hatte er es<lb/> doch uͤbernommen, mehrere Kinder im Glauben der Wieder¬<lb/> taͤufer zu unterweiſen, wobei er ſich ſo ungeſchickt benahm,<lb/> daß die Kinder, anſtatt die aufgegebenen Bibelverſe zu lernen,<lb/> und ſeine kauderwaͤlſche Erklaͤrung derſelben anzuhoͤren, durch¬<lb/> einander laͤrmten und tobten. Die W., welche aufgefordert<lb/> wurde, ihm Beiſtand zu leiſten, ſonderte die Maͤdchen von<lb/> den Knaben ab, und wußte erſtere zur Aufmerkſamkeit und<lb/> zum ſtillen Fleiße zu bewegen. Hieruͤber gab es aber einen<lb/> neuen Streit, weil jener Geſelle von ihr verlangte, daß ſie<lb/> gemeinſchaftlich mit ihm Unterricht ertheilen ſolle.</p><lb/> <p>Nicht wenig wurde ſie in ihren Anſichten, welche ſie<lb/> ſich uͤber ihre Glaubensgenoſſen bilden mußte, durch zwei<lb/> Redner beſtaͤrkt, deren einer, ein Hamburger Wiedertaͤufer,<lb/> laut ſeine Mißbilligung uͤber die in der hieſigen Gemeinde<lb/> herrſchende Zwietracht ausſprach. Um ſo tieferen Eindruck<lb/> machte daher auf ſie die Predigt eines hieſigen evangeliſchen<lb/> Geiſtlichen uͤber den Frieden der chriſtlichen Geſinnung. Ueber<lb/> dieſen Kirchenbeſuch wurde ſie von jenem Hamburger zur Rede<lb/> geſtellt, welcher ihr denſelben als eine Verſuͤndigung gegen<lb/> ihre Gemeinde vorwarf. Als ſie ſich dagegen mit dem Grunde<lb/> vertheidigte, daß das Anhoͤren einer chriſtlichen Predigt un¬<lb/> moͤglich eine Suͤnde ſein koͤnne, erwiederte er, ſie habe bei<lb/> der Aufnahme in den Bund der Wiedertaͤufer der evangeliſchen<lb/> Kirche entſagt. Auf ihre entſchiedene Erklaͤrung, daß ſie dies<lb/> nicht gethan, wußte er nur zu erwiedern, Gott habe ſie dort¬<lb/> hin (in den Betſaal) geſetzt, damit ſie dieſen Platz einnehmen<lb/> ſolle. Ueberhaupt redete er die Gemeinde in wiederholten Vor¬<lb/> traͤgen mit wahren Donnerworten an, und hielt die fuͤrchter¬<lb/> lichſten Strafgerichte uͤber die Suͤnden der Menſchen. Ohne<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0077]
den hatte, um nicht mit einer vielleicht zahlreichen Familie in
Noth zu gerathen. Einen beſonders widerwaͤrtigen Eindruck
machte es auf ſie, daß bei dieſer wie bei vielen anderen Ge¬
legenheiten, auf Drohungen und Strafreden bald Liebkoſun¬
gen und Schmeicheleien folgten, und ihr namentlich das Gluͤck
der Ehe in der unverkennbaren Abſicht geprieſen wurde, ſie
fuͤr einen fanatiſchen Seidenwirkergeſellen zu gewinnen, wel¬
cher ihr in einer hoͤchſt laͤcherlichen Geſtalt erſchien. Ungeach¬
tet er ein ganz unwiſſender, roher Menſch war, hatte er es
doch uͤbernommen, mehrere Kinder im Glauben der Wieder¬
taͤufer zu unterweiſen, wobei er ſich ſo ungeſchickt benahm,
daß die Kinder, anſtatt die aufgegebenen Bibelverſe zu lernen,
und ſeine kauderwaͤlſche Erklaͤrung derſelben anzuhoͤren, durch¬
einander laͤrmten und tobten. Die W., welche aufgefordert
wurde, ihm Beiſtand zu leiſten, ſonderte die Maͤdchen von
den Knaben ab, und wußte erſtere zur Aufmerkſamkeit und
zum ſtillen Fleiße zu bewegen. Hieruͤber gab es aber einen
neuen Streit, weil jener Geſelle von ihr verlangte, daß ſie
gemeinſchaftlich mit ihm Unterricht ertheilen ſolle.
Nicht wenig wurde ſie in ihren Anſichten, welche ſie
ſich uͤber ihre Glaubensgenoſſen bilden mußte, durch zwei
Redner beſtaͤrkt, deren einer, ein Hamburger Wiedertaͤufer,
laut ſeine Mißbilligung uͤber die in der hieſigen Gemeinde
herrſchende Zwietracht ausſprach. Um ſo tieferen Eindruck
machte daher auf ſie die Predigt eines hieſigen evangeliſchen
Geiſtlichen uͤber den Frieden der chriſtlichen Geſinnung. Ueber
dieſen Kirchenbeſuch wurde ſie von jenem Hamburger zur Rede
geſtellt, welcher ihr denſelben als eine Verſuͤndigung gegen
ihre Gemeinde vorwarf. Als ſie ſich dagegen mit dem Grunde
vertheidigte, daß das Anhoͤren einer chriſtlichen Predigt un¬
moͤglich eine Suͤnde ſein koͤnne, erwiederte er, ſie habe bei
der Aufnahme in den Bund der Wiedertaͤufer der evangeliſchen
Kirche entſagt. Auf ihre entſchiedene Erklaͤrung, daß ſie dies
nicht gethan, wußte er nur zu erwiedern, Gott habe ſie dort¬
hin (in den Betſaal) geſetzt, damit ſie dieſen Platz einnehmen
ſolle. Ueberhaupt redete er die Gemeinde in wiederholten Vor¬
traͤgen mit wahren Donnerworten an, und hielt die fuͤrchter¬
lichſten Strafgerichte uͤber die Suͤnden der Menſchen. Ohne
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