würdige Feier jenes Festes begangen werde, wenn Christen sich versammelten, um sich auf ihren allerheiligsten Glauben zu er¬ bauen. Die W. war kurz zuvor von den Wiedertäufern ein¬ geladen worden, einem am zweiten Pfingstabende zu begehen¬ den Liebesmahle beizuwohnen, empfand aber dabei eine große Bedenklichkeit, weshalb sie nur darauf erwiedern konnte: so Gott will. Jene Pfingstpredigt wurde ihr aber um so mehr eine Aufforderung, an dem Liebesmahle Theil zu nehmen, als auch eine Frau, gegen welche sie ihre Zweifel geäußert hatte, ihr erwiederte, sie würde durch das Ausbleiben eine Sünde begehen. Sie begab sich daher zur bezeichneten Stunde auf den Weg, fühlte sich aber in einem hohen Grade betroffen, als ihr eine innere Stimme zurief, sie werde gefangen genom¬ men werden. Schnell entschlossen umzukehren, empfand sie zu ihrer großen Bestürzung einen unwiderstehlichen Zug nach dem Versammlungshause der Wiedertäufer, so daß ihr Inneres ein wahrer Kampfplatz widerstreitender Antriebe wurde, welche ih¬ rer Meinung nach von aussen in sie eingedrungen waren. In diesem Spiel contrastirender Gefühle sprach sich unstreitig das ohnmächtige Ringen der Besonnenheit mit den unwiderstehli¬ chen Impulsen der Schwärmerei aus, worüber sie so wenig in einem deutlichen Bewußtsein sich aufklären konnte, daß ihr der ganze Vorgang in dem mystischen Lichte übernatürlicher Einwirkungen erschien. Das Liebesmahl selbst wurde durch Gesang unter Begleitung einer Violine und eines Fortepiano's eröffnet, und es folgte darauf der Genuß von Kuchen und Thee, während eine freiere Unterhaltung sich entspann, bei welcher man besonders ihre früheren Erlebnisse auszuspähen suchte. Sie war nun schon dergestalt befangen in ihren neuen Gefühlsregungen, daß sie wenigstens an diesem Abende eine große Seeligkeit empfand. In ähnlicher Weise freudig erregt war sie an einem späteren Feste, wo die Kinder der Ana¬ baptisten der versammelten Gemeinde vorgestellt, und unter Gesang und Gebet unter Auflegung der Hände gesegnet wur¬ den. Wirklich mochte diese Scene einen idyllisch patriarcha¬ lischen Charakter angenommen haben.
Indeß so leicht konnte ihre bisherige Gemüthsrichtung, in welche sie sich seit vielen Jahren mit Eifer und Anstren¬
wuͤrdige Feier jenes Feſtes begangen werde, wenn Chriſten ſich verſammelten, um ſich auf ihren allerheiligſten Glauben zu er¬ bauen. Die W. war kurz zuvor von den Wiedertaͤufern ein¬ geladen worden, einem am zweiten Pfingſtabende zu begehen¬ den Liebesmahle beizuwohnen, empfand aber dabei eine große Bedenklichkeit, weshalb ſie nur darauf erwiedern konnte: ſo Gott will. Jene Pfingſtpredigt wurde ihr aber um ſo mehr eine Aufforderung, an dem Liebesmahle Theil zu nehmen, als auch eine Frau, gegen welche ſie ihre Zweifel geaͤußert hatte, ihr erwiederte, ſie wuͤrde durch das Ausbleiben eine Suͤnde begehen. Sie begab ſich daher zur bezeichneten Stunde auf den Weg, fuͤhlte ſich aber in einem hohen Grade betroffen, als ihr eine innere Stimme zurief, ſie werde gefangen genom¬ men werden. Schnell entſchloſſen umzukehren, empfand ſie zu ihrer großen Beſtuͤrzung einen unwiderſtehlichen Zug nach dem Verſammlungshauſe der Wiedertaͤufer, ſo daß ihr Inneres ein wahrer Kampfplatz widerſtreitender Antriebe wurde, welche ih¬ rer Meinung nach von auſſen in ſie eingedrungen waren. In dieſem Spiel contraſtirender Gefuͤhle ſprach ſich unſtreitig das ohnmaͤchtige Ringen der Beſonnenheit mit den unwiderſtehli¬ chen Impulſen der Schwaͤrmerei aus, woruͤber ſie ſo wenig in einem deutlichen Bewußtſein ſich aufklaͤren konnte, daß ihr der ganze Vorgang in dem myſtiſchen Lichte uͤbernatuͤrlicher Einwirkungen erſchien. Das Liebesmahl ſelbſt wurde durch Geſang unter Begleitung einer Violine und eines Fortepiano's eroͤffnet, und es folgte darauf der Genuß von Kuchen und Thee, waͤhrend eine freiere Unterhaltung ſich entſpann, bei welcher man beſonders ihre fruͤheren Erlebniſſe auszuſpaͤhen ſuchte. Sie war nun ſchon dergeſtalt befangen in ihren neuen Gefuͤhlsregungen, daß ſie wenigſtens an dieſem Abende eine große Seeligkeit empfand. In aͤhnlicher Weiſe freudig erregt war ſie an einem ſpaͤteren Feſte, wo die Kinder der Ana¬ baptiſten der verſammelten Gemeinde vorgeſtellt, und unter Geſang und Gebet unter Auflegung der Haͤnde geſegnet wur¬ den. Wirklich mochte dieſe Scene einen idylliſch patriarcha¬ liſchen Charakter angenommen haben.
Indeß ſo leicht konnte ihre bisherige Gemuͤthsrichtung, in welche ſie ſich ſeit vielen Jahren mit Eifer und Anſtren¬
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wuͤrdige Feier jenes Feſtes begangen werde, wenn Chriſten ſich
verſammelten, um ſich auf ihren allerheiligſten Glauben zu er¬
bauen. Die W. war kurz zuvor von den Wiedertaͤufern ein¬
geladen worden, einem am zweiten Pfingſtabende zu begehen¬
den Liebesmahle beizuwohnen, empfand aber dabei eine große
Bedenklichkeit, weshalb ſie nur darauf erwiedern konnte: ſo
Gott will. Jene Pfingſtpredigt wurde ihr aber um ſo mehr
eine Aufforderung, an dem Liebesmahle Theil zu nehmen, als
auch eine Frau, gegen welche ſie ihre Zweifel geaͤußert hatte,
ihr erwiederte, ſie wuͤrde durch das Ausbleiben eine Suͤnde
begehen. Sie begab ſich daher zur bezeichneten Stunde auf
den Weg, fuͤhlte ſich aber in einem hohen Grade betroffen,
als ihr eine innere Stimme zurief, ſie werde gefangen genom¬
men werden. Schnell entſchloſſen umzukehren, empfand ſie zu
ihrer großen Beſtuͤrzung einen unwiderſtehlichen Zug nach dem
Verſammlungshauſe der Wiedertaͤufer, ſo daß ihr Inneres ein
wahrer Kampfplatz widerſtreitender Antriebe wurde, welche ih¬
rer Meinung nach von auſſen in ſie eingedrungen waren. In
dieſem Spiel contraſtirender Gefuͤhle ſprach ſich unſtreitig das
ohnmaͤchtige Ringen der Beſonnenheit mit den unwiderſtehli¬
chen Impulſen der Schwaͤrmerei aus, woruͤber ſie ſo wenig in
einem deutlichen Bewußtſein ſich aufklaͤren konnte, daß ihr
der ganze Vorgang in dem myſtiſchen Lichte uͤbernatuͤrlicher
Einwirkungen erſchien. Das Liebesmahl ſelbſt wurde durch
Geſang unter Begleitung einer Violine und eines Fortepiano's
eroͤffnet, und es folgte darauf der Genuß von Kuchen und
Thee, waͤhrend eine freiere Unterhaltung ſich entſpann, bei
welcher man beſonders ihre fruͤheren Erlebniſſe auszuſpaͤhen
ſuchte. Sie war nun ſchon dergeſtalt befangen in ihren neuen
Gefuͤhlsregungen, daß ſie wenigſtens an dieſem Abende eine
große Seeligkeit empfand. In aͤhnlicher Weiſe freudig erregt
war ſie an einem ſpaͤteren Feſte, wo die Kinder der Ana¬
baptiſten der verſammelten Gemeinde vorgeſtellt, und unter
Geſang und Gebet unter Auflegung der Haͤnde geſegnet wur¬
den. Wirklich mochte dieſe Scene einen idylliſch patriarcha¬
liſchen Charakter angenommen haben.
Indeß ſo leicht konnte ihre bisherige Gemuͤthsrichtung,
in welche ſie ſich ſeit vielen Jahren mit Eifer und Anſtren¬
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/72>, abgerufen am 05.07.2024.
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