Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.lich auszuarbeiten, wobei sie zwar viele Schwierigkeiten zu über¬ Im Jahre 1841 wohnte sie bei einer Altlutheranerin, lich auszuarbeiten, wobei ſie zwar viele Schwierigkeiten zu uͤber¬ Im Jahre 1841 wohnte ſie bei einer Altlutheranerin, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0069" n="61"/> lich auszuarbeiten, wobei ſie zwar viele Schwierigkeiten zu uͤber¬<lb/> winden hatte, aber zugleich eine innige Freudigkeit empfand,<lb/> weil ſie fuͤr eine, ihrem lebendigſten Intereſſe ſo ganz entſpre¬<lb/> chende Wirkſamkeit ſich auszubilden hoffte, und eben deshalb<lb/> ſich ſehr kuͤmmerlich behalf, weil ſie ihre Erwerbsthaͤtigkeit bis<lb/> auf die dringendſten Beduͤrfniſſe einſchraͤnkte. Gleichzeitig las<lb/> ſie mehrere paͤdagogiſche Schriften, ſuchte mit Schulamts-Can¬<lb/> didaten in naͤhere Beruͤhrung zu kommen, und bot mit einem<lb/> Worte Alles auf, um ſelbſt Lehrerin zu werden.</p><lb/> <p>Im Jahre 1841 wohnte ſie bei einer Altlutheranerin,<lb/> welche ihren Glauben als den allein ſeelig machenden pries,<lb/> und dabei hinzufuͤgte, daß Alle, welche nicht denſelben theilten,<lb/> verdammt werden wuͤrden. Ein oft zum Beſuch einſprechender<lb/> gleichgeſinnter Schuhmachergeſelle ſprach wiederholt im fanati¬<lb/> ſchen Eifer das heftigſte Anathema gegen die Wiedertaͤufer aus,<lb/> von denen er ſagte, ſie gingen in Engelsgeſtalt umher, aber<lb/> hinter ihnen ſei der Teufel. Von beiden mehrmals zum Be¬<lb/> ſuch des altlutheriſchen Gottesdienſtes aufgefordert, entſchloß ſie<lb/> ſich endlich, einmal an demſelben Theil zu nehmen. Der dabei<lb/> gehaltene Vortrag bezog ſich auf einen aͤrgerlichen Auftritt in einer<lb/> kleinen Provinzialſtadt, woſelbſt der Poͤbel die Fenſter des Bet¬<lb/> ſaals der Altlutheraner eingeworfen hatte, nachdem ihnen vom<lb/> Magiſtrate die Austheilung des Abendmahls nach ihrem Ritus<lb/> unterſagt worden war. Der Redner hielt uͤber jenes Ereigniß<lb/> eine donnernde Predigt, in welcher er den goͤttlichen Zorn auf<lb/> die Stoͤrer des altlutheriſchen Cultus herabrief. Die fanati¬<lb/> ſchen Exclamationen jenes Mannes empoͤrten die W. in ihrem<lb/> Innern, da ſie in ihnen, gleichwie in den liebloſen Urtheilen<lb/> des Schuhmachers nur eine hoͤchſt unchriſtliche Geſinnung er¬<lb/> blicken konnte, und ſie wies daher entſchieden die Einladung<lb/> zu ferneren Beſuchen jener Verſammlung zuruͤck, in welcher<lb/> ihr eine ſo gehaͤſſige Geſinnung entgegengetreten war. Ja<lb/> ſie fand ſogar in der Verdaͤchtigung der Wiedertaͤufer eine in¬<lb/> directe Apologie derſelben, und ſie beſchloß daher, letztere kennen<lb/> zu lernen, um ſich ein ſicheres Urtheil hieruͤber zu bilden. Sie<lb/> wurde von denſelben mit großer Zuvorkommenheit aufgenom¬<lb/> men, in welcher ſie zwar einige Verſtellung wahrzunehmen<lb/> glaubte; indeß da die Andachtsuͤbungen derſelben ihrer Sinnes¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0069]
lich auszuarbeiten, wobei ſie zwar viele Schwierigkeiten zu uͤber¬
winden hatte, aber zugleich eine innige Freudigkeit empfand,
weil ſie fuͤr eine, ihrem lebendigſten Intereſſe ſo ganz entſpre¬
chende Wirkſamkeit ſich auszubilden hoffte, und eben deshalb
ſich ſehr kuͤmmerlich behalf, weil ſie ihre Erwerbsthaͤtigkeit bis
auf die dringendſten Beduͤrfniſſe einſchraͤnkte. Gleichzeitig las
ſie mehrere paͤdagogiſche Schriften, ſuchte mit Schulamts-Can¬
didaten in naͤhere Beruͤhrung zu kommen, und bot mit einem
Worte Alles auf, um ſelbſt Lehrerin zu werden.
Im Jahre 1841 wohnte ſie bei einer Altlutheranerin,
welche ihren Glauben als den allein ſeelig machenden pries,
und dabei hinzufuͤgte, daß Alle, welche nicht denſelben theilten,
verdammt werden wuͤrden. Ein oft zum Beſuch einſprechender
gleichgeſinnter Schuhmachergeſelle ſprach wiederholt im fanati¬
ſchen Eifer das heftigſte Anathema gegen die Wiedertaͤufer aus,
von denen er ſagte, ſie gingen in Engelsgeſtalt umher, aber
hinter ihnen ſei der Teufel. Von beiden mehrmals zum Be¬
ſuch des altlutheriſchen Gottesdienſtes aufgefordert, entſchloß ſie
ſich endlich, einmal an demſelben Theil zu nehmen. Der dabei
gehaltene Vortrag bezog ſich auf einen aͤrgerlichen Auftritt in einer
kleinen Provinzialſtadt, woſelbſt der Poͤbel die Fenſter des Bet¬
ſaals der Altlutheraner eingeworfen hatte, nachdem ihnen vom
Magiſtrate die Austheilung des Abendmahls nach ihrem Ritus
unterſagt worden war. Der Redner hielt uͤber jenes Ereigniß
eine donnernde Predigt, in welcher er den goͤttlichen Zorn auf
die Stoͤrer des altlutheriſchen Cultus herabrief. Die fanati¬
ſchen Exclamationen jenes Mannes empoͤrten die W. in ihrem
Innern, da ſie in ihnen, gleichwie in den liebloſen Urtheilen
des Schuhmachers nur eine hoͤchſt unchriſtliche Geſinnung er¬
blicken konnte, und ſie wies daher entſchieden die Einladung
zu ferneren Beſuchen jener Verſammlung zuruͤck, in welcher
ihr eine ſo gehaͤſſige Geſinnung entgegengetreten war. Ja
ſie fand ſogar in der Verdaͤchtigung der Wiedertaͤufer eine in¬
directe Apologie derſelben, und ſie beſchloß daher, letztere kennen
zu lernen, um ſich ein ſicheres Urtheil hieruͤber zu bilden. Sie
wurde von denſelben mit großer Zuvorkommenheit aufgenom¬
men, in welcher ſie zwar einige Verſtellung wahrzunehmen
glaubte; indeß da die Andachtsuͤbungen derſelben ihrer Sinnes¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |