Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.fragte, ob die Menschen so schön zeichnen könnten, wie der Endlich am Abende des 17. März 1845, welchen er ohne fragte, ob die Menſchen ſo ſchoͤn zeichnen koͤnnten, wie der Endlich am Abende des 17. Maͤrz 1845, welchen er ohne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0062" n="54"/> fragte, ob die Menſchen ſo ſchoͤn zeichnen koͤnnten, wie der<lb/> liebe Heiland. Mitunter war er in ſeiner verworrenen Bilder¬<lb/> jagd verloren, von der Außenwelt ganz abgewandt; dann aber<lb/> brauſte er, von irgend einer fanatiſchen Vorſtellung ergriffen,<lb/> in der groͤßten Heftigkeit auf. Bei einer ſolchen Gelegenheit<lb/> zerſchlug er eine Stahlfeder mit dem Buͤgeleiſen, und rief da¬<lb/> bei aus: ſo ſollen alle Menſchen zermalmt werden. Nicht nur<lb/> wollte er ſeine Frau aus dem Fenſter (der Kellerwohnung)<lb/> treiben, ſondern er ging auch mit einem Meſſer bewaffnet auf<lb/> ſeine Kinder los, um ſie, wie Abraham den Iſaak, zu ermor¬<lb/> den. Bekanntlich haben Fanatiker oft genug in raſender Ver¬<lb/> blendung dem Erzvater nachahmen zu muͤſſen geglaubt, und lei¬<lb/> der iſt mehrmals von ihnen die Moͤrderhand an geliebte Kinder<lb/> gelegt worden. In dieſem Falle iſt der blutduͤrſtige Entſchluß<lb/> wahrſcheinlich nur das Ergebniß einer zufaͤlligen Ideenaſſociation<lb/> geweſen, und mit ihr ſpurlos verſchwunden.</p><lb/> <p>Endlich am Abende des 17. Maͤrz 1845, welchen er ohne<lb/> zu arbeiten mit Dictiren zugebracht hatte, brach eine bis zur<lb/> Wuth geſteigerte Tobſucht bei ihm aus; er zertruͤmmerte das<lb/> Hausgeraͤth, zerſchnitt die Betten, und zwiſchenher tanzte, pfiff,<lb/> ſang, trommelte er, und rief den aus Furcht entfliehenden<lb/> Kindern zu: „raſch, raſch, jedem einen Kuß.” Eine große<lb/> Beaͤngſtigung noͤthigte ihn, ſich die Kleider bis aufs Hemde<lb/> abzureißen; dafuͤr umguͤrtete er ſich den Unterleib mit einem<lb/> Tiſchtuche, und umwickelte die Bruſt mit einem anderen Tuche<lb/> ſo feſt, daß ihm der Athem beklommen wurde. Er ſelbſt hat<lb/> von dieſer Scene noch die Erinnerung, daß er zuerſt einen<lb/> Feuerlaͤrm zu hoͤren glaubte, welcher ihn beaͤngſtigte, worauf<lb/> er ſich einbildete, mehrere Polizeibeamte ſtaͤnden vor den ver¬<lb/> ſchloſſenen Fenſterlaͤden, um ihn durch die Ritzen derſelben zu<lb/> beobachten, welches ein anweſender Hausbewohner ihm durch<lb/> Winken andeute. Indem nun die Furcht vor Verfolgung und<lb/> Verhaftung, welche als ſymboliſcher Ausdruck der ſinnloſen<lb/> Angſt uͤberaus haͤufig den Ausbruch der Seelenkrankheiten be¬<lb/> gleitet, unſern W. befiel, riß er gewaltſam das Fenſter auf,<lb/> ergriff die Flucht, und rief uͤberlaut: Engelein kommt, Enge¬<lb/> lein kommt (um ihn zu beſchuͤtzen). Barfuß, kaum mit ei¬<lb/> nem Hemde bekleidet, rannte er durch mehrere mit Eis und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [54/0062]
fragte, ob die Menſchen ſo ſchoͤn zeichnen koͤnnten, wie der
liebe Heiland. Mitunter war er in ſeiner verworrenen Bilder¬
jagd verloren, von der Außenwelt ganz abgewandt; dann aber
brauſte er, von irgend einer fanatiſchen Vorſtellung ergriffen,
in der groͤßten Heftigkeit auf. Bei einer ſolchen Gelegenheit
zerſchlug er eine Stahlfeder mit dem Buͤgeleiſen, und rief da¬
bei aus: ſo ſollen alle Menſchen zermalmt werden. Nicht nur
wollte er ſeine Frau aus dem Fenſter (der Kellerwohnung)
treiben, ſondern er ging auch mit einem Meſſer bewaffnet auf
ſeine Kinder los, um ſie, wie Abraham den Iſaak, zu ermor¬
den. Bekanntlich haben Fanatiker oft genug in raſender Ver¬
blendung dem Erzvater nachahmen zu muͤſſen geglaubt, und lei¬
der iſt mehrmals von ihnen die Moͤrderhand an geliebte Kinder
gelegt worden. In dieſem Falle iſt der blutduͤrſtige Entſchluß
wahrſcheinlich nur das Ergebniß einer zufaͤlligen Ideenaſſociation
geweſen, und mit ihr ſpurlos verſchwunden.
Endlich am Abende des 17. Maͤrz 1845, welchen er ohne
zu arbeiten mit Dictiren zugebracht hatte, brach eine bis zur
Wuth geſteigerte Tobſucht bei ihm aus; er zertruͤmmerte das
Hausgeraͤth, zerſchnitt die Betten, und zwiſchenher tanzte, pfiff,
ſang, trommelte er, und rief den aus Furcht entfliehenden
Kindern zu: „raſch, raſch, jedem einen Kuß.” Eine große
Beaͤngſtigung noͤthigte ihn, ſich die Kleider bis aufs Hemde
abzureißen; dafuͤr umguͤrtete er ſich den Unterleib mit einem
Tiſchtuche, und umwickelte die Bruſt mit einem anderen Tuche
ſo feſt, daß ihm der Athem beklommen wurde. Er ſelbſt hat
von dieſer Scene noch die Erinnerung, daß er zuerſt einen
Feuerlaͤrm zu hoͤren glaubte, welcher ihn beaͤngſtigte, worauf
er ſich einbildete, mehrere Polizeibeamte ſtaͤnden vor den ver¬
ſchloſſenen Fenſterlaͤden, um ihn durch die Ritzen derſelben zu
beobachten, welches ein anweſender Hausbewohner ihm durch
Winken andeute. Indem nun die Furcht vor Verfolgung und
Verhaftung, welche als ſymboliſcher Ausdruck der ſinnloſen
Angſt uͤberaus haͤufig den Ausbruch der Seelenkrankheiten be¬
gleitet, unſern W. befiel, riß er gewaltſam das Fenſter auf,
ergriff die Flucht, und rief uͤberlaut: Engelein kommt, Enge¬
lein kommt (um ihn zu beſchuͤtzen). Barfuß, kaum mit ei¬
nem Hemde bekleidet, rannte er durch mehrere mit Eis und
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