Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.mit einem Couvert versehen hatte, und eben das 5te Siegel auf¬ Wirklich führte er diesen Entschluß mit derselben zähen mit einem Couvert verſehen hatte, und eben das 5te Siegel auf¬ Wirklich fuͤhrte er dieſen Entſchluß mit derſelben zaͤhen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="39"/> mit einem Couvert verſehen hatte, und eben das 5te Siegel auf¬<lb/> druͤcken wollte, hoͤrte er einen ſtarken Knall, woruͤber er in<lb/> ein heftiges Zittern verfiel, indem er glaubte, daß der Teu¬<lb/> fel von neuem uͤber ihn Gewalt bekomme, weil er ſich zum<lb/> Siegel eines Petſchaftes bediente, welches er aus einer fruͤ¬<lb/> heren Wohnung einmal weggenommen hatte. Eiligſt riß er<lb/> das Couvert wieder auf, noͤthigte ſeine Schweſter, die Kaſ¬<lb/> ſenanweiſungen bei dem Kaufmann, von welchem ſie dieſel¬<lb/> ben geholt hatte, wieder in Courant umzuſetzen. Nun ſtieg<lb/> ſeine Noth auf den hoͤchſten Grad, denn der Teufel war mit<lb/> den Kaſſenanweiſungen zu dem Kaufmanne gewandert, um<lb/> alle ſeine Waaren zu verderben, zugleich war derſelbe aber<lb/> auch mit dem Gelde zu R. zuruͤckgekehrt, welcher daſſelbe<lb/> nicht an ſeinen huͤlfsbeduͤrftigen Vater ſenden durfte, um ihn<lb/> nicht dem zeitlichen und ewigen Untergange preis zu geben.<lb/> Mit einem Worte, der herrſchende Teufelsgedanke wurde der<lb/> Rahmen, welcher alle ſeine Vorſtellungen umſchloß, und ihn<lb/> dadurch in Verzweiflung ſtuͤrzte. In dieſer grenzenloſen Be¬<lb/> draͤngniß flehte R. zu Gott um Huͤlfe, und es erklaͤrt ſich<lb/> leicht aus ſeiner damaligen Gemuͤthsverfaſſung, daß er wieder<lb/> den Vorſatz faßte, ſich aller Nahrung zu enthalten, um Gott<lb/> zur Erhoͤrung ſeines Gebets und zur Offenbarung eines ret¬<lb/> tenden Gedankens zu bewegen.</p><lb/> <p>Wirklich fuͤhrte er dieſen Entſchluß mit derſelben zaͤhen<lb/> Hartnaͤckigkeit aus, welche er das erſte Mal gezeigt hatte,<lb/> wie es denn uͤberhaupt charakteriſtiſch iſt, daß paſſive Gemuͤ¬<lb/> ther, welche zu keiner reſoluten Handlung faͤhig ſind, eine<lb/> negative Standhaftigkeit im Erdulden der hoͤchſten Leiden und<lb/> in freiwillig uͤbernommenen Bußuͤbungen entwickeln koͤnnen,<lb/> woran die entſchloſſenſte Energie Thatkraͤftiger oft ſcheitern<lb/> wuͤrde. Ein auffallendes Beiſpiel davon im Großen bieten<lb/> uns die hindoſtaniſchen Schwaͤrmer dar, welche bei aller Feig¬<lb/> heit des Nationalcharakters unter Selbſtpeinigungen der grau¬<lb/> ſamſten Art eine Reihe von Jahren zubringen. R. faſtete<lb/> wiederum eine ganze Woche, ehe ſich ſeine Angehoͤrigen ent¬<lb/> ſchloſſen, ihn nach der Charité zuruͤckzubringen, und da er nur<lb/> zuweilen ſeinen brennenden Durſt mit etwas Waſſer ſtillte,<lb/> ſo mußten nach ſo vielen Stuͤrmen auf Gemuͤth und Koͤrper<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0047]
mit einem Couvert verſehen hatte, und eben das 5te Siegel auf¬
druͤcken wollte, hoͤrte er einen ſtarken Knall, woruͤber er in
ein heftiges Zittern verfiel, indem er glaubte, daß der Teu¬
fel von neuem uͤber ihn Gewalt bekomme, weil er ſich zum
Siegel eines Petſchaftes bediente, welches er aus einer fruͤ¬
heren Wohnung einmal weggenommen hatte. Eiligſt riß er
das Couvert wieder auf, noͤthigte ſeine Schweſter, die Kaſ¬
ſenanweiſungen bei dem Kaufmann, von welchem ſie dieſel¬
ben geholt hatte, wieder in Courant umzuſetzen. Nun ſtieg
ſeine Noth auf den hoͤchſten Grad, denn der Teufel war mit
den Kaſſenanweiſungen zu dem Kaufmanne gewandert, um
alle ſeine Waaren zu verderben, zugleich war derſelbe aber
auch mit dem Gelde zu R. zuruͤckgekehrt, welcher daſſelbe
nicht an ſeinen huͤlfsbeduͤrftigen Vater ſenden durfte, um ihn
nicht dem zeitlichen und ewigen Untergange preis zu geben.
Mit einem Worte, der herrſchende Teufelsgedanke wurde der
Rahmen, welcher alle ſeine Vorſtellungen umſchloß, und ihn
dadurch in Verzweiflung ſtuͤrzte. In dieſer grenzenloſen Be¬
draͤngniß flehte R. zu Gott um Huͤlfe, und es erklaͤrt ſich
leicht aus ſeiner damaligen Gemuͤthsverfaſſung, daß er wieder
den Vorſatz faßte, ſich aller Nahrung zu enthalten, um Gott
zur Erhoͤrung ſeines Gebets und zur Offenbarung eines ret¬
tenden Gedankens zu bewegen.
Wirklich fuͤhrte er dieſen Entſchluß mit derſelben zaͤhen
Hartnaͤckigkeit aus, welche er das erſte Mal gezeigt hatte,
wie es denn uͤberhaupt charakteriſtiſch iſt, daß paſſive Gemuͤ¬
ther, welche zu keiner reſoluten Handlung faͤhig ſind, eine
negative Standhaftigkeit im Erdulden der hoͤchſten Leiden und
in freiwillig uͤbernommenen Bußuͤbungen entwickeln koͤnnen,
woran die entſchloſſenſte Energie Thatkraͤftiger oft ſcheitern
wuͤrde. Ein auffallendes Beiſpiel davon im Großen bieten
uns die hindoſtaniſchen Schwaͤrmer dar, welche bei aller Feig¬
heit des Nationalcharakters unter Selbſtpeinigungen der grau¬
ſamſten Art eine Reihe von Jahren zubringen. R. faſtete
wiederum eine ganze Woche, ehe ſich ſeine Angehoͤrigen ent¬
ſchloſſen, ihn nach der Charité zuruͤckzubringen, und da er nur
zuweilen ſeinen brennenden Durſt mit etwas Waſſer ſtillte,
ſo mußten nach ſo vielen Stuͤrmen auf Gemuͤth und Koͤrper
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