Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.ren, band er zusammen, und warf am Abend dies Bündel an In der Meinung, daß der Böse Schuld an allen Zerwürf¬ 3 *
ren, band er zuſammen, und warf am Abend dies Buͤndel an In der Meinung, daß der Boͤſe Schuld an allen Zerwuͤrf¬ 3 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043" n="35"/> ren, band er zuſammen, und warf am Abend dies Buͤndel an<lb/> derſelben Stelle weg, wo er ſich des Stiefels entledigt hatte.<lb/> Dann ging es an ein fleißiges Abwaſchen der Wohnung, welches<lb/> er in den naͤchſten Tagen wiederholte, und da auch dies ihm noch<lb/> nicht als Desinfection von dem hoͤlliſchen Miasma genuͤgte, ſo<lb/> zog er fortwaͤhrend Kreiſe um ſich, um den Satan von ſich abzu¬<lb/> halten. Aber die Furcht vor demſelben erfuͤllte ihn dergeſtalt,<lb/> daß er ſchon ganz von ihm verunreinigt zu ſein glaubte, und des¬<lb/> halb ſeinen Bruder bat, als ein durch die Abendmahlsfeier Ge¬<lb/> heiligter mit den geweihten Holzſtaͤben unter die Betten zu fah¬<lb/> ren, um den Teufel aus ſeinem Verſteck unter denſelben zu ver¬<lb/> ſcheuchen. Dies muͤſſe demſelben, meinte er, gelingen, da der<lb/> fromme Glaube Berge verſetzen koͤnne. Aus bruͤderlicher Liebe<lb/> duldete er denſelben auch des Nachts nicht in der gemeinſchaftli¬<lb/> chen Schlafkammer, da er von Teufelsviſionen geaͤngſtigt, jenen<lb/> wenigſtens von gleicher Noth befreien wollte.</p><lb/> <p>In der Meinung, daß der Boͤſe Schuld an allen Zerwuͤrf¬<lb/> niſſen in der Familie ſei, und ſich deshalb unter der Geſtalt einer<lb/> zaͤnkiſchen Nachbarin zu ſeiner Schweſter geſchlichen habe, um ſie<lb/> gegen ihre Verwandten aufzuhetzen, hielt er es fuͤr ſeine Pflicht,<lb/> dagegen anzukaͤmpfen. Zu dieſem Zweck nahm er am Sonntag<lb/> fruͤh zuvoͤrderſt wieder das Beſprengen und Abwaſchen der Woh¬<lb/> nung zum Vertreiben des Teufels vor, und las hierauf ſeiner<lb/> Schweſter die Kapitel aus der Bibel vor, welche er durch das<lb/> Einlegen der geheiligten Papierſtreifen als die dazu paſſenden be¬<lb/> zeichnet hatte. Um nicht geſtoͤrt zu werden, hatte er die Thuͤre<lb/> verriegelt, und da einige inzwiſchen angelangte Vettern eingelaſ¬<lb/> ſen zu werden forderten, ſo fuͤhrte dies zu einem heftigen Auf¬<lb/> tritt. Jene Vettern hatten naͤmlich mehrmals uͤber ſeinen Wahn¬<lb/> ſinn mit verletzendem Hohn geſpottet, und ihn mit Ungeſtuͤm zum<lb/> Eſſen aufgefordert, eben dadurch aber in der Ueberzeugung be¬<lb/> ſtaͤrkt, daß ſie vom Teufel beſeſſen, ihn zum Boͤſen verfuͤhren<lb/> und deshalb gewaltſam eindringen wollten. Als daher die Thuͤre<lb/> ſeines Straͤubens ungeachtet geoͤffnet wurde, fluͤchtete er ſich in<lb/> ſeine Kammer, wo er ſich wieder fleißig mit Bibelleſen beſchaͤf¬<lb/> tigte, und namentlich die Verkuͤndigung Chriſti von der Zerſtoͤ¬<lb/> rung Jeruſalems ſich zu Herzen nahm. Denn da er von der<lb/> Verderbtheit der Menſchen uͤberzeugt, den baldigen Untergang<lb/> <fw place="bottom" type="sig">3 *<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [35/0043]
ren, band er zuſammen, und warf am Abend dies Buͤndel an
derſelben Stelle weg, wo er ſich des Stiefels entledigt hatte.
Dann ging es an ein fleißiges Abwaſchen der Wohnung, welches
er in den naͤchſten Tagen wiederholte, und da auch dies ihm noch
nicht als Desinfection von dem hoͤlliſchen Miasma genuͤgte, ſo
zog er fortwaͤhrend Kreiſe um ſich, um den Satan von ſich abzu¬
halten. Aber die Furcht vor demſelben erfuͤllte ihn dergeſtalt,
daß er ſchon ganz von ihm verunreinigt zu ſein glaubte, und des¬
halb ſeinen Bruder bat, als ein durch die Abendmahlsfeier Ge¬
heiligter mit den geweihten Holzſtaͤben unter die Betten zu fah¬
ren, um den Teufel aus ſeinem Verſteck unter denſelben zu ver¬
ſcheuchen. Dies muͤſſe demſelben, meinte er, gelingen, da der
fromme Glaube Berge verſetzen koͤnne. Aus bruͤderlicher Liebe
duldete er denſelben auch des Nachts nicht in der gemeinſchaftli¬
chen Schlafkammer, da er von Teufelsviſionen geaͤngſtigt, jenen
wenigſtens von gleicher Noth befreien wollte.
In der Meinung, daß der Boͤſe Schuld an allen Zerwuͤrf¬
niſſen in der Familie ſei, und ſich deshalb unter der Geſtalt einer
zaͤnkiſchen Nachbarin zu ſeiner Schweſter geſchlichen habe, um ſie
gegen ihre Verwandten aufzuhetzen, hielt er es fuͤr ſeine Pflicht,
dagegen anzukaͤmpfen. Zu dieſem Zweck nahm er am Sonntag
fruͤh zuvoͤrderſt wieder das Beſprengen und Abwaſchen der Woh¬
nung zum Vertreiben des Teufels vor, und las hierauf ſeiner
Schweſter die Kapitel aus der Bibel vor, welche er durch das
Einlegen der geheiligten Papierſtreifen als die dazu paſſenden be¬
zeichnet hatte. Um nicht geſtoͤrt zu werden, hatte er die Thuͤre
verriegelt, und da einige inzwiſchen angelangte Vettern eingelaſ¬
ſen zu werden forderten, ſo fuͤhrte dies zu einem heftigen Auf¬
tritt. Jene Vettern hatten naͤmlich mehrmals uͤber ſeinen Wahn¬
ſinn mit verletzendem Hohn geſpottet, und ihn mit Ungeſtuͤm zum
Eſſen aufgefordert, eben dadurch aber in der Ueberzeugung be¬
ſtaͤrkt, daß ſie vom Teufel beſeſſen, ihn zum Boͤſen verfuͤhren
und deshalb gewaltſam eindringen wollten. Als daher die Thuͤre
ſeines Straͤubens ungeachtet geoͤffnet wurde, fluͤchtete er ſich in
ſeine Kammer, wo er ſich wieder fleißig mit Bibelleſen beſchaͤf¬
tigte, und namentlich die Verkuͤndigung Chriſti von der Zerſtoͤ¬
rung Jeruſalems ſich zu Herzen nahm. Denn da er von der
Verderbtheit der Menſchen uͤberzeugt, den baldigen Untergang
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