Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

waren: Zoroaster, Moses, Confucius, Mohamed, Constantin,
Karl der Große, Gustav Adolph, Heinrich IV., Joseph II.,
Friedrich der Große, Epaminondas, du Guesclin, Bayard,
Canning. Ein großer Politiker opfert nicht wie Alexander
der Große, Cäsar und Napoleon die Welt seinem Ich, son¬
dern Sich der Welt auf." -- Ich übergehe des Verf. com¬
merziellen, staatswissenschaftlichen und finanziellen Projecte,
deren eins z. B. die Tilgung der preußischen Staatsschul¬
den betrifft, welches er dem Finanzministerio überreicht haben
will.

So durchkreuzten sich eine Reihe von Jahren hindurch
unzählige schiefe Begriffe in seinem Kopfe, welche alle mensch¬
lichen Angelegenheiten umfassend, jede Möglichkeit einer Be¬
richtigung durch nüchtene Erfahrung ausschlossen, und daher
seine Besonnenheit gänzlich vernichten mußten. Seine herr¬
schenden Vorstellungen von einer, alle Völker und Religions¬
partheien vereinigenden Theokratie erzeugten daher in seinem
trübverworrenen Geiste den Wahn, daß er den Beruf habe,
letztere auf Erden zu begründen. Es kam nur noch auf die
Mittel zur Ausführung seines großen Werkes an, und über
sie war er um so weniger verlegen, da ihm der Sultan Mah¬
mud der über allen Vorurtheilen erhabene Herrscher zu sein
schien, welcher ihm dazu die Hand bieten werde. Folglich
mußte er diesen für seinen Plan zu gewinnen suchen, und
er versprach sich davon, wie er mir sagte, den größten Vor¬
theil, weil in der Türkei die Bekenner jedes Glaubens bei¬
sammen leben, deren Vereinigung von Constantinopel aus
am leichtesten zu bewerkstelligen sein würde. Ueberdies ist im
Umfange jenes Reichs Jerusalem gelegen, welches er sich zum
Herrschersitze erkoren hatte, wahrscheinlich weil die alte Haupt¬
stadt des jüdischen Volks, in welcher auch das Christenthum
gegründet wurde, Jahrhunderte hindurch das Ziel der from¬
men Sehnsucht war, welche in Zion das Reich Gottes auf
Erden stiften wollte. An dem Gelingen seines Vorhabens
zweifelte er eben so wenig, als jemals ein Schwärmer über
die Ausführbarkeit seiner Entwürfe in Verlegenheit gewesen
ist; er verkaufte daher seine Handlung, und schiffte sich in
Triest nach Constantinopel ein, welches er wohlbehalten er¬

waren: Zoroaſter, Moſes, Confucius, Mohamed, Conſtantin,
Karl der Große, Guſtav Adolph, Heinrich IV., Joſeph II.,
Friedrich der Große, Epaminondas, du Guesclin, Bayard,
Canning. Ein großer Politiker opfert nicht wie Alexander
der Große, Caͤſar und Napoleon die Welt ſeinem Ich, ſon¬
dern Sich der Welt auf.” — Ich uͤbergehe des Verf. com¬
merziellen, ſtaatswiſſenſchaftlichen und finanziellen Projecte,
deren eins z. B. die Tilgung der preußiſchen Staatsſchul¬
den betrifft, welches er dem Finanzminiſterio uͤberreicht haben
will.

So durchkreuzten ſich eine Reihe von Jahren hindurch
unzaͤhlige ſchiefe Begriffe in ſeinem Kopfe, welche alle menſch¬
lichen Angelegenheiten umfaſſend, jede Moͤglichkeit einer Be¬
richtigung durch nuͤchtene Erfahrung ausſchloſſen, und daher
ſeine Beſonnenheit gaͤnzlich vernichten mußten. Seine herr¬
ſchenden Vorſtellungen von einer, alle Voͤlker und Religions¬
partheien vereinigenden Theokratie erzeugten daher in ſeinem
truͤbverworrenen Geiſte den Wahn, daß er den Beruf habe,
letztere auf Erden zu begruͤnden. Es kam nur noch auf die
Mittel zur Ausfuͤhrung ſeines großen Werkes an, und uͤber
ſie war er um ſo weniger verlegen, da ihm der Sultan Mah¬
mud der uͤber allen Vorurtheilen erhabene Herrſcher zu ſein
ſchien, welcher ihm dazu die Hand bieten werde. Folglich
mußte er dieſen fuͤr ſeinen Plan zu gewinnen ſuchen, und
er verſprach ſich davon, wie er mir ſagte, den groͤßten Vor¬
theil, weil in der Tuͤrkei die Bekenner jedes Glaubens bei¬
ſammen leben, deren Vereinigung von Conſtantinopel aus
am leichteſten zu bewerkſtelligen ſein wuͤrde. Ueberdies iſt im
Umfange jenes Reichs Jeruſalem gelegen, welches er ſich zum
Herrſcherſitze erkoren hatte, wahrſcheinlich weil die alte Haupt¬
ſtadt des juͤdiſchen Volks, in welcher auch das Chriſtenthum
gegruͤndet wurde, Jahrhunderte hindurch das Ziel der from¬
men Sehnſucht war, welche in Zion das Reich Gottes auf
Erden ſtiften wollte. An dem Gelingen ſeines Vorhabens
zweifelte er eben ſo wenig, als jemals ein Schwaͤrmer uͤber
die Ausfuͤhrbarkeit ſeiner Entwuͤrfe in Verlegenheit geweſen
iſt; er verkaufte daher ſeine Handlung, und ſchiffte ſich in
Trieſt nach Conſtantinopel ein, welches er wohlbehalten er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="220"/>
waren: Zoroa&#x017F;ter, Mo&#x017F;es, Confucius, Mohamed, Con&#x017F;tantin,<lb/>
Karl der Große, Gu&#x017F;tav Adolph, Heinrich <hi rendition="#aq">IV</hi>., Jo&#x017F;eph <hi rendition="#aq">II</hi>.,<lb/>
Friedrich der Große, Epaminondas, du Guesclin, Bayard,<lb/>
Canning. Ein großer Politiker opfert nicht wie Alexander<lb/>
der Große, Ca&#x0364;&#x017F;ar und Napoleon die Welt &#x017F;einem Ich, &#x017F;on¬<lb/>
dern Sich der Welt auf.&#x201D; &#x2014; Ich u&#x0364;bergehe des Verf. com¬<lb/>
merziellen, &#x017F;taatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen und finanziellen Projecte,<lb/>
deren eins z. B. die Tilgung der preußi&#x017F;chen Staats&#x017F;chul¬<lb/>
den betrifft, welches er dem Finanzmini&#x017F;terio u&#x0364;berreicht haben<lb/>
will.</p><lb/>
        <p>So durchkreuzten &#x017F;ich eine Reihe von Jahren hindurch<lb/>
unza&#x0364;hlige &#x017F;chiefe Begriffe in &#x017F;einem Kopfe, welche alle men&#x017F;ch¬<lb/>
lichen Angelegenheiten umfa&#x017F;&#x017F;end, jede Mo&#x0364;glichkeit einer Be¬<lb/>
richtigung durch nu&#x0364;chtene Erfahrung aus&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und daher<lb/>
&#x017F;eine Be&#x017F;onnenheit ga&#x0364;nzlich vernichten mußten. Seine herr¬<lb/>
&#x017F;chenden Vor&#x017F;tellungen von einer, alle Vo&#x0364;lker und Religions¬<lb/>
partheien vereinigenden Theokratie erzeugten daher in &#x017F;einem<lb/>
tru&#x0364;bverworrenen Gei&#x017F;te den Wahn, daß er den Beruf habe,<lb/>
letztere auf Erden zu begru&#x0364;nden. Es kam nur noch auf die<lb/>
Mittel zur Ausfu&#x0364;hrung &#x017F;eines großen Werkes an, und u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;ie war er um &#x017F;o weniger verlegen, da ihm der Sultan Mah¬<lb/>
mud der u&#x0364;ber allen Vorurtheilen erhabene Herr&#x017F;cher zu &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;chien, welcher ihm dazu die Hand bieten werde. Folglich<lb/>
mußte er die&#x017F;en fu&#x0364;r &#x017F;einen Plan zu gewinnen &#x017F;uchen, und<lb/>
er ver&#x017F;prach &#x017F;ich davon, wie er mir &#x017F;agte, den gro&#x0364;ßten Vor¬<lb/>
theil, weil in der Tu&#x0364;rkei die Bekenner jedes Glaubens bei¬<lb/>
&#x017F;ammen leben, deren Vereinigung von Con&#x017F;tantinopel aus<lb/>
am leichte&#x017F;ten zu bewerk&#x017F;telligen &#x017F;ein wu&#x0364;rde. Ueberdies i&#x017F;t im<lb/>
Umfange jenes Reichs Jeru&#x017F;alem gelegen, welches er &#x017F;ich zum<lb/>
Herr&#x017F;cher&#x017F;itze erkoren hatte, wahr&#x017F;cheinlich weil die alte Haupt¬<lb/>
&#x017F;tadt des ju&#x0364;di&#x017F;chen Volks, in welcher auch das Chri&#x017F;tenthum<lb/>
gegru&#x0364;ndet wurde, Jahrhunderte hindurch das Ziel der from¬<lb/>
men Sehn&#x017F;ucht war, welche in Zion das Reich Gottes auf<lb/>
Erden &#x017F;tiften wollte. An dem Gelingen &#x017F;eines Vorhabens<lb/>
zweifelte er eben &#x017F;o wenig, als jemals ein Schwa&#x0364;rmer u&#x0364;ber<lb/>
die Ausfu&#x0364;hrbarkeit &#x017F;einer Entwu&#x0364;rfe in Verlegenheit gewe&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t; er verkaufte daher &#x017F;eine Handlung, und &#x017F;chiffte &#x017F;ich in<lb/>
Trie&#x017F;t nach Con&#x017F;tantinopel ein, welches er wohlbehalten er¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0228] waren: Zoroaſter, Moſes, Confucius, Mohamed, Conſtantin, Karl der Große, Guſtav Adolph, Heinrich IV., Joſeph II., Friedrich der Große, Epaminondas, du Guesclin, Bayard, Canning. Ein großer Politiker opfert nicht wie Alexander der Große, Caͤſar und Napoleon die Welt ſeinem Ich, ſon¬ dern Sich der Welt auf.” — Ich uͤbergehe des Verf. com¬ merziellen, ſtaatswiſſenſchaftlichen und finanziellen Projecte, deren eins z. B. die Tilgung der preußiſchen Staatsſchul¬ den betrifft, welches er dem Finanzminiſterio uͤberreicht haben will. So durchkreuzten ſich eine Reihe von Jahren hindurch unzaͤhlige ſchiefe Begriffe in ſeinem Kopfe, welche alle menſch¬ lichen Angelegenheiten umfaſſend, jede Moͤglichkeit einer Be¬ richtigung durch nuͤchtene Erfahrung ausſchloſſen, und daher ſeine Beſonnenheit gaͤnzlich vernichten mußten. Seine herr¬ ſchenden Vorſtellungen von einer, alle Voͤlker und Religions¬ partheien vereinigenden Theokratie erzeugten daher in ſeinem truͤbverworrenen Geiſte den Wahn, daß er den Beruf habe, letztere auf Erden zu begruͤnden. Es kam nur noch auf die Mittel zur Ausfuͤhrung ſeines großen Werkes an, und uͤber ſie war er um ſo weniger verlegen, da ihm der Sultan Mah¬ mud der uͤber allen Vorurtheilen erhabene Herrſcher zu ſein ſchien, welcher ihm dazu die Hand bieten werde. Folglich mußte er dieſen fuͤr ſeinen Plan zu gewinnen ſuchen, und er verſprach ſich davon, wie er mir ſagte, den groͤßten Vor¬ theil, weil in der Tuͤrkei die Bekenner jedes Glaubens bei¬ ſammen leben, deren Vereinigung von Conſtantinopel aus am leichteſten zu bewerkſtelligen ſein wuͤrde. Ueberdies iſt im Umfange jenes Reichs Jeruſalem gelegen, welches er ſich zum Herrſcherſitze erkoren hatte, wahrſcheinlich weil die alte Haupt¬ ſtadt des juͤdiſchen Volks, in welcher auch das Chriſtenthum gegruͤndet wurde, Jahrhunderte hindurch das Ziel der from¬ men Sehnſucht war, welche in Zion das Reich Gottes auf Erden ſtiften wollte. An dem Gelingen ſeines Vorhabens zweifelte er eben ſo wenig, als jemals ein Schwaͤrmer uͤber die Ausfuͤhrbarkeit ſeiner Entwuͤrfe in Verlegenheit geweſen iſt; er verkaufte daher ſeine Handlung, und ſchiffte ſich in Trieſt nach Conſtantinopel ein, welches er wohlbehalten er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/228
Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/228>, abgerufen am 25.11.2024.