Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.lesungen, wobei er sich dachte, daß sein Erscheinen auf die leſungen, wobei er ſich dachte, daß ſein Erſcheinen auf die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0214" n="206"/> leſungen, wobei er ſich dachte, daß ſein Erſcheinen auf die<lb/> ganze Univerſitaͤt einen reinigenden und erhebenden Einfluß<lb/> ausuͤbe, daß aber auch er hinwiederum auf eine myſtiſch ver¬<lb/> borgene Weiſe eigenthuͤmliche Geiſtes- und Leibeskraͤfte dabei<lb/> gewinne. Er ſah alle Menſchen in einem wechſelſeitigen Pro¬<lb/> ceß mit ihm und unter ſich begriffen, woraus eine neue wun¬<lb/> derherrliche Schoͤpfung, Sonne, Mond und Sterne mit ein¬<lb/> begriffen, hervorgehen werde. Er traͤumte ſich in den Beſitz<lb/> einer ſo großen Macht hinein, daß er nur Worte in wuͤthen¬<lb/> der oder befehlender Form auszuſprechen brauche, um auf das<lb/> Ganze der Welt zu wirken. Beſonders fuͤhlte er ſich durch<lb/> das koͤnigliche Schloß angezogen, auf deſſen Hoͤfen er Se¬<lb/> genswuͤnſche in lateiniſcher, deutſcher und franzoͤſiſcher Sprache<lb/> uͤber das koͤnigliche Haus ausſprach, indem er die Diener deſ¬<lb/> ſelben zum Eifer und treuen Gehorſam, zur weiſen und kraͤf¬<lb/> tigen Befoͤrderung der Wohlfahrt des Vaterlandes ermahnte.<lb/> Jeder Stand, jedes Gewerbe, jede Kunſt und Wiſſenſchaft<lb/> ſuchte er durch exorciſirende Formeln zu reinigen, welche er auch<lb/> unter Gebeten und Bekreuzigungen und uͤber die Badewanne<lb/> ausſprach, deren ſein kranker Bruder ſich bediente, dem er<lb/> durch ſeine perſoͤnliche Naͤhe vollſtaͤndige Heilung zu bringen<lb/> glaubte. Dabei gerieth er aber mit demſelben oft in heftigen<lb/> Streit, indem er deſſen Denk- und Handlungsweiſe berichti¬<lb/> gen wollte. Einer dieſer Controverspunkte betraf die Lehre<lb/> vom Teufel, welche er fruͤher im orthodoxen Sinne aufgefaßt<lb/> hatte. Beim Ausbruch ſeiner Krankheit ging ihm aber die<lb/> ewige Unſeeligkeit des Teufels und ſeines Anhanges zu Her¬<lb/> zen, er konnte die ewige Hoͤllenpein nicht mit der allbarmher¬<lb/> zigen und allmaͤchtigen Liebe in Einklang bringen, und glaubte<lb/> daher, daß dieſelbe nur eine gewiſſe Zeit dauern werde.<lb/> Hiermit brachte er in Berlin die Vorſtellung in Verbindung,<lb/> daß die Exiſtenz des Teufels bei der Entſtehung und Fortbil¬<lb/> dung des Chriſtenthums von großer Bedeutung geweſen ſei.<lb/> Die Verſuchung durch den Satan habe erſt den Erloͤſer zur<lb/> vollkraͤftigen Erkenntniß ſeines Berufs, zur entſchiedenen Fe¬<lb/> ſtigkeit ſeines Willens gefuͤhrt. Das dem Chriſtenthume ent¬<lb/> gegengetretene Heiden- und Judenthum habe erſt durch ſeine<lb/> kraͤftige Oppoſition den Geiſt der Apoſtel und aller Glaubens¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [206/0214]
leſungen, wobei er ſich dachte, daß ſein Erſcheinen auf die
ganze Univerſitaͤt einen reinigenden und erhebenden Einfluß
ausuͤbe, daß aber auch er hinwiederum auf eine myſtiſch ver¬
borgene Weiſe eigenthuͤmliche Geiſtes- und Leibeskraͤfte dabei
gewinne. Er ſah alle Menſchen in einem wechſelſeitigen Pro¬
ceß mit ihm und unter ſich begriffen, woraus eine neue wun¬
derherrliche Schoͤpfung, Sonne, Mond und Sterne mit ein¬
begriffen, hervorgehen werde. Er traͤumte ſich in den Beſitz
einer ſo großen Macht hinein, daß er nur Worte in wuͤthen¬
der oder befehlender Form auszuſprechen brauche, um auf das
Ganze der Welt zu wirken. Beſonders fuͤhlte er ſich durch
das koͤnigliche Schloß angezogen, auf deſſen Hoͤfen er Se¬
genswuͤnſche in lateiniſcher, deutſcher und franzoͤſiſcher Sprache
uͤber das koͤnigliche Haus ausſprach, indem er die Diener deſ¬
ſelben zum Eifer und treuen Gehorſam, zur weiſen und kraͤf¬
tigen Befoͤrderung der Wohlfahrt des Vaterlandes ermahnte.
Jeder Stand, jedes Gewerbe, jede Kunſt und Wiſſenſchaft
ſuchte er durch exorciſirende Formeln zu reinigen, welche er auch
unter Gebeten und Bekreuzigungen und uͤber die Badewanne
ausſprach, deren ſein kranker Bruder ſich bediente, dem er
durch ſeine perſoͤnliche Naͤhe vollſtaͤndige Heilung zu bringen
glaubte. Dabei gerieth er aber mit demſelben oft in heftigen
Streit, indem er deſſen Denk- und Handlungsweiſe berichti¬
gen wollte. Einer dieſer Controverspunkte betraf die Lehre
vom Teufel, welche er fruͤher im orthodoxen Sinne aufgefaßt
hatte. Beim Ausbruch ſeiner Krankheit ging ihm aber die
ewige Unſeeligkeit des Teufels und ſeines Anhanges zu Her¬
zen, er konnte die ewige Hoͤllenpein nicht mit der allbarmher¬
zigen und allmaͤchtigen Liebe in Einklang bringen, und glaubte
daher, daß dieſelbe nur eine gewiſſe Zeit dauern werde.
Hiermit brachte er in Berlin die Vorſtellung in Verbindung,
daß die Exiſtenz des Teufels bei der Entſtehung und Fortbil¬
dung des Chriſtenthums von großer Bedeutung geweſen ſei.
Die Verſuchung durch den Satan habe erſt den Erloͤſer zur
vollkraͤftigen Erkenntniß ſeines Berufs, zur entſchiedenen Fe¬
ſtigkeit ſeines Willens gefuͤhrt. Das dem Chriſtenthume ent¬
gegengetretene Heiden- und Judenthum habe erſt durch ſeine
kraͤftige Oppoſition den Geiſt der Apoſtel und aller Glaubens¬
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