Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.ses an dem Fenster auf Alles horchend und merkend, und re¬ Z. bemerkt hierüber sehr treffend: "meine eigenen früher ſes an dem Fenſter auf Alles horchend und merkend, und re¬ Z. bemerkt hieruͤber ſehr treffend: „meine eigenen fruͤher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0211" n="203"/> ſes an dem Fenſter auf Alles horchend und merkend, und re¬<lb/> dete ihn mit laͤchelndem Hohne an; bald aber gerieth er in<lb/> Entſetzen bei der Vorſtellung, daß der gute Engel von ihm Ab¬<lb/> ſchied nehme. Zweifel uͤber die Gewißheit ſeiner Erloͤſung quaͤlten<lb/> ihn, und es entſpann ſich zwiſchen ihm und dem unſichtbar<lb/> vor ihm ſtehenden Satan ein Dialog, in welchem letzterer ſei¬<lb/> nen Glaubensſaͤtzen Einwuͤrfe entgegenſtellte, wovon folgendes<lb/> Bruchſtuͤck eine Probe geben mag. Fr.: „Worauf gruͤndeſt du<lb/> deine Seeligkeit, deine Erloͤſung? — Antw.: Auf den ver¬<lb/> dienſtlichen Tod des Heilandes” — Fr.: „Woher weißt du,<lb/> daß Chriſti Tod rein von Suͤnden und Suͤndenſchuld macht?” —<lb/> Antw.: „aus der heiligen Schrift.” — Fr.: „Wer ſagt dir,<lb/> daß die Schrift die Quelle der Wahrheit ſei?” — Antw.:<lb/> „der in mir wohnende heilige Geiſt.” — Fr.: „Wie weißt<lb/> du, daß der Geiſt in dir der heilige Geiſt iſt? Kannſt du<lb/> mit deinem unheiligen Geiſte den goͤttlichen Geiſt pruͤfen?<lb/> Du nimmſt und ſchoͤpfſt den Geiſt aus der Schrift durch glaͤu¬<lb/> bige Annahme ihres Inhalts, und dann willſt du wiederum<lb/> mit dieſem Geiſte erkennen, daß die Schrift Erkenntnißquelle<lb/> der Wahrheit iſt? Wie unterſcheideſt du dein geiſtiges Be¬<lb/> wußtſein vom goͤttlichen Geiſte in dir?” u. ſ. w.</p><lb/> <p>Z. bemerkt hieruͤber ſehr treffend: „meine eigenen fruͤher<lb/> gehegten Zweifel und von mir ſelbſt gemachten Einwuͤrfe traten<lb/> hier in die ſingirte Perſoͤnlichkeit des Teufels, deſſen Ich mein<lb/> eigenes Ich war, reflectirt mir objectiv gegenuͤber.” Vergebens<lb/> gegen alle Einwuͤrfe ringend ſank er in unbeſchreiblicher Angſt<lb/> auf die Kniee, und eine Bibel als Panier feſthaltend konnte<lb/> er nichts mehr hervorbringen, als: „wachet, betet.” Waͤh¬<lb/> rend dieſes ununterbrochenen Ausrufs hatte er das Gefuͤhl ei¬<lb/> nes ungeheuern Falles, deſſen Dauer ihm gegen 2 Stunden<lb/> erſchien. Er glaubte in die Hoͤlle zu ſtuͤrzen, welche er fuͤr ſein<lb/> Fegefeuer hielt, daß alle Verdammten durch ſeine Niederfahrt<lb/> erloͤſt wuͤrden. Dabei ſetzte er den obigen Ausruf, durch das Kraͤ¬<lb/> hen eines Hahns noch mehr angetrieben, ununterbrochen fort,<lb/> bis ſeine Stimme heiſer und ſchwach wurde, und endlich unter un¬<lb/> ſaͤglicher Angſt der eingebildete Sturz aufhoͤrte. Gleich einem<lb/> Schamanen oder Derwiſch drehte er ſich auf der Erde raſch herum,<lb/> zuerſt in ſitzender, dann in liegender Stellung, wodurch, wie durch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [203/0211]
ſes an dem Fenſter auf Alles horchend und merkend, und re¬
dete ihn mit laͤchelndem Hohne an; bald aber gerieth er in
Entſetzen bei der Vorſtellung, daß der gute Engel von ihm Ab¬
ſchied nehme. Zweifel uͤber die Gewißheit ſeiner Erloͤſung quaͤlten
ihn, und es entſpann ſich zwiſchen ihm und dem unſichtbar
vor ihm ſtehenden Satan ein Dialog, in welchem letzterer ſei¬
nen Glaubensſaͤtzen Einwuͤrfe entgegenſtellte, wovon folgendes
Bruchſtuͤck eine Probe geben mag. Fr.: „Worauf gruͤndeſt du
deine Seeligkeit, deine Erloͤſung? — Antw.: Auf den ver¬
dienſtlichen Tod des Heilandes” — Fr.: „Woher weißt du,
daß Chriſti Tod rein von Suͤnden und Suͤndenſchuld macht?” —
Antw.: „aus der heiligen Schrift.” — Fr.: „Wer ſagt dir,
daß die Schrift die Quelle der Wahrheit ſei?” — Antw.:
„der in mir wohnende heilige Geiſt.” — Fr.: „Wie weißt
du, daß der Geiſt in dir der heilige Geiſt iſt? Kannſt du
mit deinem unheiligen Geiſte den goͤttlichen Geiſt pruͤfen?
Du nimmſt und ſchoͤpfſt den Geiſt aus der Schrift durch glaͤu¬
bige Annahme ihres Inhalts, und dann willſt du wiederum
mit dieſem Geiſte erkennen, daß die Schrift Erkenntnißquelle
der Wahrheit iſt? Wie unterſcheideſt du dein geiſtiges Be¬
wußtſein vom goͤttlichen Geiſte in dir?” u. ſ. w.
Z. bemerkt hieruͤber ſehr treffend: „meine eigenen fruͤher
gehegten Zweifel und von mir ſelbſt gemachten Einwuͤrfe traten
hier in die ſingirte Perſoͤnlichkeit des Teufels, deſſen Ich mein
eigenes Ich war, reflectirt mir objectiv gegenuͤber.” Vergebens
gegen alle Einwuͤrfe ringend ſank er in unbeſchreiblicher Angſt
auf die Kniee, und eine Bibel als Panier feſthaltend konnte
er nichts mehr hervorbringen, als: „wachet, betet.” Waͤh¬
rend dieſes ununterbrochenen Ausrufs hatte er das Gefuͤhl ei¬
nes ungeheuern Falles, deſſen Dauer ihm gegen 2 Stunden
erſchien. Er glaubte in die Hoͤlle zu ſtuͤrzen, welche er fuͤr ſein
Fegefeuer hielt, daß alle Verdammten durch ſeine Niederfahrt
erloͤſt wuͤrden. Dabei ſetzte er den obigen Ausruf, durch das Kraͤ¬
hen eines Hahns noch mehr angetrieben, ununterbrochen fort,
bis ſeine Stimme heiſer und ſchwach wurde, und endlich unter un¬
ſaͤglicher Angſt der eingebildete Sturz aufhoͤrte. Gleich einem
Schamanen oder Derwiſch drehte er ſich auf der Erde raſch herum,
zuerſt in ſitzender, dann in liegender Stellung, wodurch, wie durch
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