testen ascetischen Uebungen, durch eine bis zur Schwärmerei gesteigerte Andacht ganz überwältigen konnten, sondern oft ge¬ nug durch sie in Verzweiflung gestürzt, ja mitunter zum Selbstmorde angetrieben wurden. Die weitere Entwickelung dieser hochwichtigen Erfahrung für eine spätere Gelegenheit mir versparend, deute ich nur auf jene bekannte Bezaube¬ rung des Bewußtseins durch die Wollust hin, welche aus dem¬ selben durch ihre heißen Wallungen in einem Augenblicke alle besseren Vorsätze und Gefühle verbannt, um in der nachfol¬ genden Reue, ja Verzweiflung die Kraft des Willens noch mehr zu lähmen. So fällt die unersetzliche Entwickelungszeit der verführten Knaben und Jünglinge einem zerstörenden Kampfe anheim, in welchem sie hart die schreienden Mängel der Jugenderziehung büßen müssen, und während viele unter ihnen geistig und leiblich zu Grunde gehen, muß man noch diejenigen glücklich preisen, welche sich einen hinreichenden Schatz von besserer Gesinnung bewahrten, um durch sie zu immer erneuten Anstrengungen in der Unterdrückung ihrer Begierden und in der geistigen Fortbildung angetrieben zu werden.
Unser Z. gehörte diesen letzteren an, und wenn ihm auch ein großer Theil seiner Jugendkraft und Lebensfreude geraubt wurde, so gelang es ihm doch, in seiner Gymnasial¬ bildung so gute Fortschritte zu machen, daß er mit dem Zeug¬ niß der Reife ausgestattet auf einer Universität das Studium der Theologie beginnen konnte. Es würde mich zu weit füh¬ ren, wenn ich die lebendige Schilderung aufnehmen wollte, welche Z. von seiner oft empfundenen Seelennoth entworfen hat; es genüge die Bemerkung, daß er sich doch allmählig zu einer größeren Geistesklarheit und Willenskraft emporarbei¬ tete, und deshalb seine Begierden besser zu zügeln lernte. Indeß auf der Universität erwartete ihn eine neue harte Prü¬ fung, da in exegetischen und philosophischen Vorträgen sein bisher streng orthodoxer Glaube in ein Meer von Zweifeln ge¬ stürzt wurde, welche ihn zuletzt zu einem gemäßigten Ratio¬ nalismus führten, wozu besonders der vertraute Umgang mit hellen und frischen Köpfen unter seinen Commilitonen wesent¬ lich beitrug. Die nächsten Jahre, welche er als Hauslehrer
teſten ascetiſchen Uebungen, durch eine bis zur Schwaͤrmerei geſteigerte Andacht ganz uͤberwaͤltigen konnten, ſondern oft ge¬ nug durch ſie in Verzweiflung geſtuͤrzt, ja mitunter zum Selbſtmorde angetrieben wurden. Die weitere Entwickelung dieſer hochwichtigen Erfahrung fuͤr eine ſpaͤtere Gelegenheit mir verſparend, deute ich nur auf jene bekannte Bezaube¬ rung des Bewußtſeins durch die Wolluſt hin, welche aus dem¬ ſelben durch ihre heißen Wallungen in einem Augenblicke alle beſſeren Vorſaͤtze und Gefuͤhle verbannt, um in der nachfol¬ genden Reue, ja Verzweiflung die Kraft des Willens noch mehr zu laͤhmen. So faͤllt die unerſetzliche Entwickelungszeit der verfuͤhrten Knaben und Juͤnglinge einem zerſtoͤrenden Kampfe anheim, in welchem ſie hart die ſchreienden Maͤngel der Jugenderziehung buͤßen muͤſſen, und waͤhrend viele unter ihnen geiſtig und leiblich zu Grunde gehen, muß man noch diejenigen gluͤcklich preiſen, welche ſich einen hinreichenden Schatz von beſſerer Geſinnung bewahrten, um durch ſie zu immer erneuten Anſtrengungen in der Unterdruͤckung ihrer Begierden und in der geiſtigen Fortbildung angetrieben zu werden.
Unſer Z. gehoͤrte dieſen letzteren an, und wenn ihm auch ein großer Theil ſeiner Jugendkraft und Lebensfreude geraubt wurde, ſo gelang es ihm doch, in ſeiner Gymnaſial¬ bildung ſo gute Fortſchritte zu machen, daß er mit dem Zeug¬ niß der Reife ausgeſtattet auf einer Univerſitaͤt das Studium der Theologie beginnen konnte. Es wuͤrde mich zu weit fuͤh¬ ren, wenn ich die lebendige Schilderung aufnehmen wollte, welche Z. von ſeiner oft empfundenen Seelennoth entworfen hat; es genuͤge die Bemerkung, daß er ſich doch allmaͤhlig zu einer groͤßeren Geiſtesklarheit und Willenskraft emporarbei¬ tete, und deshalb ſeine Begierden beſſer zu zuͤgeln lernte. Indeß auf der Univerſitaͤt erwartete ihn eine neue harte Pruͤ¬ fung, da in exegetiſchen und philoſophiſchen Vortraͤgen ſein bisher ſtreng orthodoxer Glaube in ein Meer von Zweifeln ge¬ ſtuͤrzt wurde, welche ihn zuletzt zu einem gemaͤßigten Ratio¬ nalismus fuͤhrten, wozu beſonders der vertraute Umgang mit hellen und friſchen Koͤpfen unter ſeinen Commilitonen weſent¬ lich beitrug. Die naͤchſten Jahre, welche er als Hauslehrer
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[200/0208]
teſten ascetiſchen Uebungen, durch eine bis zur Schwaͤrmerei
geſteigerte Andacht ganz uͤberwaͤltigen konnten, ſondern oft ge¬
nug durch ſie in Verzweiflung geſtuͤrzt, ja mitunter zum
Selbſtmorde angetrieben wurden. Die weitere Entwickelung
dieſer hochwichtigen Erfahrung fuͤr eine ſpaͤtere Gelegenheit
mir verſparend, deute ich nur auf jene bekannte Bezaube¬
rung des Bewußtſeins durch die Wolluſt hin, welche aus dem¬
ſelben durch ihre heißen Wallungen in einem Augenblicke alle
beſſeren Vorſaͤtze und Gefuͤhle verbannt, um in der nachfol¬
genden Reue, ja Verzweiflung die Kraft des Willens noch
mehr zu laͤhmen. So faͤllt die unerſetzliche Entwickelungszeit
der verfuͤhrten Knaben und Juͤnglinge einem zerſtoͤrenden
Kampfe anheim, in welchem ſie hart die ſchreienden Maͤngel
der Jugenderziehung buͤßen muͤſſen, und waͤhrend viele unter
ihnen geiſtig und leiblich zu Grunde gehen, muß man noch
diejenigen gluͤcklich preiſen, welche ſich einen hinreichenden
Schatz von beſſerer Geſinnung bewahrten, um durch ſie zu
immer erneuten Anſtrengungen in der Unterdruͤckung ihrer
Begierden und in der geiſtigen Fortbildung angetrieben zu
werden.
Unſer Z. gehoͤrte dieſen letzteren an, und wenn ihm
auch ein großer Theil ſeiner Jugendkraft und Lebensfreude
geraubt wurde, ſo gelang es ihm doch, in ſeiner Gymnaſial¬
bildung ſo gute Fortſchritte zu machen, daß er mit dem Zeug¬
niß der Reife ausgeſtattet auf einer Univerſitaͤt das Studium
der Theologie beginnen konnte. Es wuͤrde mich zu weit fuͤh¬
ren, wenn ich die lebendige Schilderung aufnehmen wollte,
welche Z. von ſeiner oft empfundenen Seelennoth entworfen
hat; es genuͤge die Bemerkung, daß er ſich doch allmaͤhlig
zu einer groͤßeren Geiſtesklarheit und Willenskraft emporarbei¬
tete, und deshalb ſeine Begierden beſſer zu zuͤgeln lernte.
Indeß auf der Univerſitaͤt erwartete ihn eine neue harte Pruͤ¬
fung, da in exegetiſchen und philoſophiſchen Vortraͤgen ſein
bisher ſtreng orthodoxer Glaube in ein Meer von Zweifeln ge¬
ſtuͤrzt wurde, welche ihn zuletzt zu einem gemaͤßigten Ratio¬
nalismus fuͤhrten, wozu beſonders der vertraute Umgang mit
hellen und friſchen Koͤpfen unter ſeinen Commilitonen weſent¬
lich beitrug. Die naͤchſten Jahre, welche er als Hauslehrer
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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