zurückgekehrt, gemeinschaftlich mit Zerubabel als Zeuge Gottes und als Prophet die Wiedererscheinung Christi auf Erden und das dadurch neu zu stiftende Gottesreich vorherverkündigen solle. Denn er habe von Jugend auf die Nachfolge Christi zu seinem Hauptaugenmerk gemacht, sich von schwerer Schuld rein erhalten, und sei deshalb von Gott zu Höherem auser¬ wählt worden. Dabei gab er deutlich sein Mißfallen an dem hochfahrenden und anmaaßlichen Betragen des Fremden zu er¬ kennen, und wiederholte heftige Wortwechsel mit ihm hatten endlich zur Folge, daß er dem ferneren Umgange mit ihm aus¬ wich. Sein Unstern wollte aber, daß er unmittelbar darauf die Bekanntschaft eines fanatischen Katholiken H. machte, von welchem er längere Zeit hindurch fast jeden Abend einen Be¬ such empfing, wo er sich sodann mit ihm in die Kammer ein¬ schloß, und mit ihm mystische Gespräche so laut führte, daß seine Frau das Meiste davon hören konnte. Nach ihrer Aus¬ sage wiederholte H. häufig, es werde schon im nächsten Jahre ein allgemeiner Religionskrieg ausbrechen, in welchem nur ein Theil der Menschen errettet, deren Mehrzahl aber durch die Kraft Gottes umkommen würde. Jener Krieg werde bis zum Jahre 1850 dauern, wo dann von Berlin nur noch ein klei¬ ner Theil übrig bleiben werde, um später völlig in Trüm¬ mer zu verfallen. Denn die Prediger hätten ein falsches Chri¬ stenthum verbreitet, weil sie durch die Verkündigung der rei¬ nen Lehre sich um ihr Amt bringen würden; sie sowohl als die Herrscher seien Schelme. Von allen vier Weltgegenden würden Boten in weißen Kleidern und mit Sensen bewaffnet hier ein¬ treffen, den Krieg anzukündigen, den Gottlosen die Köpfe ab¬ zuhauen, und die Frommen zu beschützen. G. solle als Vor¬ gänger unter diesen Boten in weißen Kleidern auftreten, denn er sei einer der beiden Zeugen in der Apokalypse, welcher in der Kirche die Wahrheit verkünden, dafür aber den Märtyrer¬ tod sterben solle, während H. als anderer Zeuge zum Darein¬ hauen und Stechen bestimmt sei, und ein Alter von 100 Jah¬ ren erreichen werde. Zugleich borgte H. dem G. Geld ab, welches er ihm doch später wiedererstattete; er theilte ihm meh¬ rere mystische Schriften mit, in welchen G. fleißig las, verbot ihm den Genuß des Fleisches, weil er dadurch zum Thier
zuruͤckgekehrt, gemeinſchaftlich mit Zerubabel als Zeuge Gottes und als Prophet die Wiedererſcheinung Chriſti auf Erden und das dadurch neu zu ſtiftende Gottesreich vorherverkuͤndigen ſolle. Denn er habe von Jugend auf die Nachfolge Chriſti zu ſeinem Hauptaugenmerk gemacht, ſich von ſchwerer Schuld rein erhalten, und ſei deshalb von Gott zu Hoͤherem auser¬ waͤhlt worden. Dabei gab er deutlich ſein Mißfallen an dem hochfahrenden und anmaaßlichen Betragen des Fremden zu er¬ kennen, und wiederholte heftige Wortwechſel mit ihm hatten endlich zur Folge, daß er dem ferneren Umgange mit ihm aus¬ wich. Sein Unſtern wollte aber, daß er unmittelbar darauf die Bekanntſchaft eines fanatiſchen Katholiken H. machte, von welchem er laͤngere Zeit hindurch faſt jeden Abend einen Be¬ ſuch empfing, wo er ſich ſodann mit ihm in die Kammer ein¬ ſchloß, und mit ihm myſtiſche Geſpraͤche ſo laut fuͤhrte, daß ſeine Frau das Meiſte davon hoͤren konnte. Nach ihrer Aus¬ ſage wiederholte H. haͤufig, es werde ſchon im naͤchſten Jahre ein allgemeiner Religionskrieg ausbrechen, in welchem nur ein Theil der Menſchen errettet, deren Mehrzahl aber durch die Kraft Gottes umkommen wuͤrde. Jener Krieg werde bis zum Jahre 1850 dauern, wo dann von Berlin nur noch ein klei¬ ner Theil uͤbrig bleiben werde, um ſpaͤter voͤllig in Truͤm¬ mer zu verfallen. Denn die Prediger haͤtten ein falſches Chri¬ ſtenthum verbreitet, weil ſie durch die Verkuͤndigung der rei¬ nen Lehre ſich um ihr Amt bringen wuͤrden; ſie ſowohl als die Herrſcher ſeien Schelme. Von allen vier Weltgegenden wuͤrden Boten in weißen Kleidern und mit Senſen bewaffnet hier ein¬ treffen, den Krieg anzukuͤndigen, den Gottloſen die Koͤpfe ab¬ zuhauen, und die Frommen zu beſchuͤtzen. G. ſolle als Vor¬ gaͤnger unter dieſen Boten in weißen Kleidern auftreten, denn er ſei einer der beiden Zeugen in der Apokalypſe, welcher in der Kirche die Wahrheit verkuͤnden, dafuͤr aber den Maͤrtyrer¬ tod ſterben ſolle, waͤhrend H. als anderer Zeuge zum Darein¬ hauen und Stechen beſtimmt ſei, und ein Alter von 100 Jah¬ ren erreichen werde. Zugleich borgte H. dem G. Geld ab, welches er ihm doch ſpaͤter wiedererſtattete; er theilte ihm meh¬ rere myſtiſche Schriften mit, in welchen G. fleißig las, verbot ihm den Genuß des Fleiſches, weil er dadurch zum Thier
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0199"n="191"/>
zuruͤckgekehrt, gemeinſchaftlich mit Zerubabel als Zeuge Gottes<lb/>
und als Prophet die Wiedererſcheinung Chriſti auf Erden und<lb/>
das dadurch neu zu ſtiftende Gottesreich vorherverkuͤndigen<lb/>ſolle. Denn er habe von Jugend auf die Nachfolge Chriſti zu<lb/>ſeinem Hauptaugenmerk gemacht, ſich von ſchwerer Schuld<lb/>
rein erhalten, und ſei deshalb von Gott zu Hoͤherem auser¬<lb/>
waͤhlt worden. Dabei gab er deutlich ſein Mißfallen an dem<lb/>
hochfahrenden und anmaaßlichen Betragen des Fremden zu er¬<lb/>
kennen, und wiederholte heftige Wortwechſel mit ihm hatten<lb/>
endlich zur Folge, daß er dem ferneren Umgange mit ihm aus¬<lb/>
wich. Sein Unſtern wollte aber, daß er unmittelbar darauf<lb/>
die Bekanntſchaft eines fanatiſchen Katholiken H. machte, von<lb/>
welchem er laͤngere Zeit hindurch faſt jeden Abend einen Be¬<lb/>ſuch empfing, wo er ſich ſodann mit ihm in die Kammer ein¬<lb/>ſchloß, und mit ihm myſtiſche Geſpraͤche ſo laut fuͤhrte, daß<lb/>ſeine Frau das Meiſte davon hoͤren konnte. Nach ihrer Aus¬<lb/>ſage wiederholte H. haͤufig, es werde ſchon im naͤchſten Jahre<lb/>
ein allgemeiner Religionskrieg ausbrechen, in welchem nur ein<lb/>
Theil der Menſchen errettet, deren Mehrzahl aber durch die<lb/>
Kraft Gottes umkommen wuͤrde. Jener Krieg werde bis zum<lb/>
Jahre 1850 dauern, wo dann von Berlin nur noch ein klei¬<lb/>
ner Theil uͤbrig bleiben werde, um ſpaͤter voͤllig in Truͤm¬<lb/>
mer zu verfallen. Denn die Prediger haͤtten ein falſches Chri¬<lb/>ſtenthum verbreitet, weil ſie durch die Verkuͤndigung der rei¬<lb/>
nen Lehre ſich um ihr Amt bringen wuͤrden; ſie ſowohl als die<lb/>
Herrſcher ſeien Schelme. Von allen vier Weltgegenden wuͤrden<lb/>
Boten in weißen Kleidern und mit Senſen bewaffnet hier ein¬<lb/>
treffen, den Krieg anzukuͤndigen, den Gottloſen die Koͤpfe ab¬<lb/>
zuhauen, und die Frommen zu beſchuͤtzen. G. ſolle als Vor¬<lb/>
gaͤnger unter dieſen Boten in weißen Kleidern auftreten, denn<lb/>
er ſei einer der beiden Zeugen in der Apokalypſe, welcher in<lb/>
der Kirche die Wahrheit verkuͤnden, dafuͤr aber den Maͤrtyrer¬<lb/>
tod ſterben ſolle, waͤhrend H. als anderer Zeuge zum Darein¬<lb/>
hauen und Stechen beſtimmt ſei, und ein Alter von 100 Jah¬<lb/>
ren erreichen werde. Zugleich borgte H. dem G. Geld ab,<lb/>
welches er ihm doch ſpaͤter wiedererſtattete; er theilte ihm meh¬<lb/>
rere myſtiſche Schriften mit, in welchen G. fleißig las, verbot<lb/>
ihm den Genuß des Fleiſches, weil er dadurch zum Thier<lb/></p></div></body></text></TEI>
[191/0199]
zuruͤckgekehrt, gemeinſchaftlich mit Zerubabel als Zeuge Gottes
und als Prophet die Wiedererſcheinung Chriſti auf Erden und
das dadurch neu zu ſtiftende Gottesreich vorherverkuͤndigen
ſolle. Denn er habe von Jugend auf die Nachfolge Chriſti zu
ſeinem Hauptaugenmerk gemacht, ſich von ſchwerer Schuld
rein erhalten, und ſei deshalb von Gott zu Hoͤherem auser¬
waͤhlt worden. Dabei gab er deutlich ſein Mißfallen an dem
hochfahrenden und anmaaßlichen Betragen des Fremden zu er¬
kennen, und wiederholte heftige Wortwechſel mit ihm hatten
endlich zur Folge, daß er dem ferneren Umgange mit ihm aus¬
wich. Sein Unſtern wollte aber, daß er unmittelbar darauf
die Bekanntſchaft eines fanatiſchen Katholiken H. machte, von
welchem er laͤngere Zeit hindurch faſt jeden Abend einen Be¬
ſuch empfing, wo er ſich ſodann mit ihm in die Kammer ein¬
ſchloß, und mit ihm myſtiſche Geſpraͤche ſo laut fuͤhrte, daß
ſeine Frau das Meiſte davon hoͤren konnte. Nach ihrer Aus¬
ſage wiederholte H. haͤufig, es werde ſchon im naͤchſten Jahre
ein allgemeiner Religionskrieg ausbrechen, in welchem nur ein
Theil der Menſchen errettet, deren Mehrzahl aber durch die
Kraft Gottes umkommen wuͤrde. Jener Krieg werde bis zum
Jahre 1850 dauern, wo dann von Berlin nur noch ein klei¬
ner Theil uͤbrig bleiben werde, um ſpaͤter voͤllig in Truͤm¬
mer zu verfallen. Denn die Prediger haͤtten ein falſches Chri¬
ſtenthum verbreitet, weil ſie durch die Verkuͤndigung der rei¬
nen Lehre ſich um ihr Amt bringen wuͤrden; ſie ſowohl als die
Herrſcher ſeien Schelme. Von allen vier Weltgegenden wuͤrden
Boten in weißen Kleidern und mit Senſen bewaffnet hier ein¬
treffen, den Krieg anzukuͤndigen, den Gottloſen die Koͤpfe ab¬
zuhauen, und die Frommen zu beſchuͤtzen. G. ſolle als Vor¬
gaͤnger unter dieſen Boten in weißen Kleidern auftreten, denn
er ſei einer der beiden Zeugen in der Apokalypſe, welcher in
der Kirche die Wahrheit verkuͤnden, dafuͤr aber den Maͤrtyrer¬
tod ſterben ſolle, waͤhrend H. als anderer Zeuge zum Darein¬
hauen und Stechen beſtimmt ſei, und ein Alter von 100 Jah¬
ren erreichen werde. Zugleich borgte H. dem G. Geld ab,
welches er ihm doch ſpaͤter wiedererſtattete; er theilte ihm meh¬
rere myſtiſche Schriften mit, in welchen G. fleißig las, verbot
ihm den Genuß des Fleiſches, weil er dadurch zum Thier
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/199>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.