Gott allein die Ehre gebühre. Wenn Gott ihn zu seinem Werke berufen wolle, so werde er ihm sein Wort ohne Stu¬ dium eingeben, ja er brauche sich dann so wenig um die Menschen zu kümmern, daß selbst der König kommen, und ihn zu seinem frommen Berufe auffordern werde. Beide Männer sahen sich öfter bei gegenseitigen Besuchen, wo H. sich den Propheten und König Zerubabel nannte, und dem G. aus einem Buche Mehreres vorlas, welches er als Ein¬ gebungen Gottes niedergeschrieben zu haben behauptete. Un¬ streitig imponirte der Fremde dem G. in einem hohen Grade, so daß dieser an seiner eigenen Frömmigkeit irre wurde, und von innerer Beängstigung getrieben die Pausen während der Arbeit benutzte, um auf den Knieen unter heißen Thränen inbrünstig zu Gott zu beten, er möge ihm alle Fehler, welche er wissentlich oder unwissentlich begangen habe, verzeihen, und ihn dem Heilande ähnlich machen. Eine innere Stimme rief ihm dann zu, es sei ihm Alles vergeben, er solle nur dem Erlöser nachfolgen; worauf er sich voll Freudigkeit und mit großem Eifer wieder an die Arbeit begab. Auch muß er sich schon damals mitunter in einer schwärmerisch aufgeregten Stimmung befunden haben, denn in der Neujahrsnacht hatte er einen Traum, wo er mitten im Winter Früchte von einem Baum pflückte, und auf einen Wagen lud. Die Früchte wurden immer zahlreicher, so daß er damit eine lange Wa¬ genreihe befrachten konnte, welche von einer unabsehbaren Reihe feierlich in Schwarz gekleideter Menschen begleitet wurde. Hierüber nachsinnend glaubte er im Wachen, daß sein Wir¬ ken im Verbreiten des göttlichen Worts gesegnet sein werde, worin ihn mehrere Andeutungen des Fremden bestärkten. In¬ deß wurde ihm der Charakter desselben immer verdächtiger, so daß er ihn geradezu für einen Schwärmer hielt, weil der¬ selbe vorgab, er habe in Glaubensangelegenheiten bereits 600 Thaler ausgegeben, welche ihm aber zehnfach ersetzt werden würden, und dabei die Bemerkung einfließen ließ, man müsse sich Geld erwerben, um die Menschen an sich zu ziehen. G. sah hierin um so mehr eine hochmüthige, unchristliche Gesin¬ nung, als der Fremde sich geringschätzig über die ärmliche Ein¬ richtung seiner Wohnung geäußert, und die eigene Behausung
Gott allein die Ehre gebuͤhre. Wenn Gott ihn zu ſeinem Werke berufen wolle, ſo werde er ihm ſein Wort ohne Stu¬ dium eingeben, ja er brauche ſich dann ſo wenig um die Menſchen zu kuͤmmern, daß ſelbſt der Koͤnig kommen, und ihn zu ſeinem frommen Berufe auffordern werde. Beide Maͤnner ſahen ſich oͤfter bei gegenſeitigen Beſuchen, wo H. ſich den Propheten und Koͤnig Zerubabel nannte, und dem G. aus einem Buche Mehreres vorlas, welches er als Ein¬ gebungen Gottes niedergeſchrieben zu haben behauptete. Un¬ ſtreitig imponirte der Fremde dem G. in einem hohen Grade, ſo daß dieſer an ſeiner eigenen Froͤmmigkeit irre wurde, und von innerer Beaͤngſtigung getrieben die Pauſen waͤhrend der Arbeit benutzte, um auf den Knieen unter heißen Thraͤnen inbruͤnſtig zu Gott zu beten, er moͤge ihm alle Fehler, welche er wiſſentlich oder unwiſſentlich begangen habe, verzeihen, und ihn dem Heilande aͤhnlich machen. Eine innere Stimme rief ihm dann zu, es ſei ihm Alles vergeben, er ſolle nur dem Erloͤſer nachfolgen; worauf er ſich voll Freudigkeit und mit großem Eifer wieder an die Arbeit begab. Auch muß er ſich ſchon damals mitunter in einer ſchwaͤrmeriſch aufgeregten Stimmung befunden haben, denn in der Neujahrsnacht hatte er einen Traum, wo er mitten im Winter Fruͤchte von einem Baum pfluͤckte, und auf einen Wagen lud. Die Fruͤchte wurden immer zahlreicher, ſo daß er damit eine lange Wa¬ genreihe befrachten konnte, welche von einer unabſehbaren Reihe feierlich in Schwarz gekleideter Menſchen begleitet wurde. Hieruͤber nachſinnend glaubte er im Wachen, daß ſein Wir¬ ken im Verbreiten des goͤttlichen Worts geſegnet ſein werde, worin ihn mehrere Andeutungen des Fremden beſtaͤrkten. In¬ deß wurde ihm der Charakter deſſelben immer verdaͤchtiger, ſo daß er ihn geradezu fuͤr einen Schwaͤrmer hielt, weil der¬ ſelbe vorgab, er habe in Glaubensangelegenheiten bereits 600 Thaler ausgegeben, welche ihm aber zehnfach erſetzt werden wuͤrden, und dabei die Bemerkung einfließen ließ, man muͤſſe ſich Geld erwerben, um die Menſchen an ſich zu ziehen. G. ſah hierin um ſo mehr eine hochmuͤthige, unchriſtliche Geſin¬ nung, als der Fremde ſich geringſchaͤtzig uͤber die aͤrmliche Ein¬ richtung ſeiner Wohnung geaͤußert, und die eigene Behauſung
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Gott allein die Ehre gebuͤhre. Wenn Gott ihn zu ſeinem
Werke berufen wolle, ſo werde er ihm ſein Wort ohne Stu¬
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Menſchen zu kuͤmmern, daß ſelbſt der Koͤnig kommen, und
ihn zu ſeinem frommen Berufe auffordern werde. Beide
Maͤnner ſahen ſich oͤfter bei gegenſeitigen Beſuchen, wo H.
ſich den Propheten und Koͤnig Zerubabel nannte, und dem
G. aus einem Buche Mehreres vorlas, welches er als Ein¬
gebungen Gottes niedergeſchrieben zu haben behauptete. Un¬
ſtreitig imponirte der Fremde dem G. in einem hohen Grade,
ſo daß dieſer an ſeiner eigenen Froͤmmigkeit irre wurde, und
von innerer Beaͤngſtigung getrieben die Pauſen waͤhrend der
Arbeit benutzte, um auf den Knieen unter heißen Thraͤnen
inbruͤnſtig zu Gott zu beten, er moͤge ihm alle Fehler, welche
er wiſſentlich oder unwiſſentlich begangen habe, verzeihen,
und ihn dem Heilande aͤhnlich machen. Eine innere Stimme
rief ihm dann zu, es ſei ihm Alles vergeben, er ſolle nur
dem Erloͤſer nachfolgen; worauf er ſich voll Freudigkeit und
mit großem Eifer wieder an die Arbeit begab. Auch muß er
ſich ſchon damals mitunter in einer ſchwaͤrmeriſch aufgeregten
Stimmung befunden haben, denn in der Neujahrsnacht hatte
er einen Traum, wo er mitten im Winter Fruͤchte von einem
Baum pfluͤckte, und auf einen Wagen lud. Die Fruͤchte
wurden immer zahlreicher, ſo daß er damit eine lange Wa¬
genreihe befrachten konnte, welche von einer unabſehbaren
Reihe feierlich in Schwarz gekleideter Menſchen begleitet wurde.
Hieruͤber nachſinnend glaubte er im Wachen, daß ſein Wir¬
ken im Verbreiten des goͤttlichen Worts geſegnet ſein werde,
worin ihn mehrere Andeutungen des Fremden beſtaͤrkten. In¬
deß wurde ihm der Charakter deſſelben immer verdaͤchtiger,
ſo daß er ihn geradezu fuͤr einen Schwaͤrmer hielt, weil der¬
ſelbe vorgab, er habe in Glaubensangelegenheiten bereits 600
Thaler ausgegeben, welche ihm aber zehnfach erſetzt werden
wuͤrden, und dabei die Bemerkung einfließen ließ, man muͤſſe
ſich Geld erwerben, um die Menſchen an ſich zu ziehen. G.
ſah hierin um ſo mehr eine hochmuͤthige, unchriſtliche Geſin¬
nung, als der Fremde ſich geringſchaͤtzig uͤber die aͤrmliche Ein¬
richtung ſeiner Wohnung geaͤußert, und die eigene Behauſung
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/197>, abgerufen am 26.07.2024.
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