göttlichen Lichts aus dem Evangelium beraubt seien. Aus seinem in früher Jugend gehegten Wunsche, die biblische Wahr¬ heit zu verkündigen, entsprang daher in späterer Zeit ein so sehnliches Verlangen, als Missionär unter den Heiden das Evangelium zu predigen, daß er wiederholt den ihm befreun¬ deten Prediger deshalb um Rath befragte. Dieser rieth ihm zwar davon ab, da er schon zu alt sei, um die dazu erfor¬ derlichen fremden Sprachen noch mit Erfolg lernen zu können, indeß erregte dies in ihm eben so wenig ein Bedenken, als die Vorstellung, daß er als Missionär sich wahrscheinlich von seiner Familie werde trennen müssen, indem er sich mit dem Ausspruch Christi ermuthigte: Wer Vater und Mutter, Weib und Kind, das Leben mehr liebt als mich, der ist meiner nicht werth. Deshalb schrieb er noch vor wenigen Jahren an einen hochgestellten Mann, um durch dessen Vermittelung Auf¬ nahme in eine Missionsanstalt zu finden, wobei er sich des Ausdrucks bediente, daß ihm vom Geiste Gottes eingegeben worden sei, was Andere sich erst erwerben könnten, nachdem sie Tausende von Thalern auf ewandt hätten. Da er keine Antwort erhielt, so sah er hierin einen Fingerzeig, daß Gott seinen Vorsatz verwerfe, daher er denn von demselben abstand. Uebrigens versichert er nichts weniger als ein Kopfhänger, vielmehr so lebensfroh gewesen zu sein, daß er mit seiner Familie öfters anständige Vergnügungsörter besucht, und noch lieber in der freien Natur sich ergangen habe.
Am Weihnachtsfeste 1845 traf er in der Kirche mit einem ihm unbekannten Manne H. zusammen, und ließ sich vor Anfang des Gottesdienstes in ein Gespräch mit ihm ein. Es muß derselbe ein fanatischer Schwärmer gewesen sein, da er dem G. nicht nur versicherte, daß Gott und Christus ihm erschienen seien, und ihm befohlen hätten, an dem Glaubens¬ werke der Zeit zu arbeiten, sondern auch an G., welcher ihm bei einer späteren Gelegenheit das Concept des oben er¬ wähnten Briefes als Beweis seines frommen Strebens zeigte, die krankende Aeußerung richtete, der Brief sei nicht aus göttlicher Gesinnung, sondern aus Eingebung des Teufels her¬ vorgegangen. Denn G. würde, wenn ihm seine Bitte ge¬ währt worden wäre, den Menschen gedankt haben, da doch
goͤttlichen Lichts aus dem Evangelium beraubt ſeien. Aus ſeinem in fruͤher Jugend gehegten Wunſche, die bibliſche Wahr¬ heit zu verkuͤndigen, entſprang daher in ſpaͤterer Zeit ein ſo ſehnliches Verlangen, als Miſſionaͤr unter den Heiden das Evangelium zu predigen, daß er wiederholt den ihm befreun¬ deten Prediger deshalb um Rath befragte. Dieſer rieth ihm zwar davon ab, da er ſchon zu alt ſei, um die dazu erfor¬ derlichen fremden Sprachen noch mit Erfolg lernen zu koͤnnen, indeß erregte dies in ihm eben ſo wenig ein Bedenken, als die Vorſtellung, daß er als Miſſionaͤr ſich wahrſcheinlich von ſeiner Familie werde trennen muͤſſen, indem er ſich mit dem Ausſpruch Chriſti ermuthigte: Wer Vater und Mutter, Weib und Kind, das Leben mehr liebt als mich, der iſt meiner nicht werth. Deshalb ſchrieb er noch vor wenigen Jahren an einen hochgeſtellten Mann, um durch deſſen Vermittelung Auf¬ nahme in eine Miſſionsanſtalt zu finden, wobei er ſich des Ausdrucks bediente, daß ihm vom Geiſte Gottes eingegeben worden ſei, was Andere ſich erſt erwerben koͤnnten, nachdem ſie Tauſende von Thalern auf ewandt haͤtten. Da er keine Antwort erhielt, ſo ſah er hierin einen Fingerzeig, daß Gott ſeinen Vorſatz verwerfe, daher er denn von demſelben abſtand. Uebrigens verſichert er nichts weniger als ein Kopfhaͤnger, vielmehr ſo lebensfroh geweſen zu ſein, daß er mit ſeiner Familie oͤfters anſtaͤndige Vergnuͤgungsoͤrter beſucht, und noch lieber in der freien Natur ſich ergangen habe.
Am Weihnachtsfeſte 1845 traf er in der Kirche mit einem ihm unbekannten Manne H. zuſammen, und ließ ſich vor Anfang des Gottesdienſtes in ein Geſpraͤch mit ihm ein. Es muß derſelbe ein fanatiſcher Schwaͤrmer geweſen ſein, da er dem G. nicht nur verſicherte, daß Gott und Chriſtus ihm erſchienen ſeien, und ihm befohlen haͤtten, an dem Glaubens¬ werke der Zeit zu arbeiten, ſondern auch an G., welcher ihm bei einer ſpaͤteren Gelegenheit das Concept des oben er¬ waͤhnten Briefes als Beweis ſeines frommen Strebens zeigte, die krankende Aeußerung richtete, der Brief ſei nicht aus goͤttlicher Geſinnung, ſondern aus Eingebung des Teufels her¬ vorgegangen. Denn G. wuͤrde, wenn ihm ſeine Bitte ge¬ waͤhrt worden waͤre, den Menſchen gedankt haben, da doch
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goͤttlichen Lichts aus dem Evangelium beraubt ſeien. Aus
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heit zu verkuͤndigen, entſprang daher in ſpaͤterer Zeit ein ſo
ſehnliches Verlangen, als Miſſionaͤr unter den Heiden das
Evangelium zu predigen, daß er wiederholt den ihm befreun¬
deten Prediger deshalb um Rath befragte. Dieſer rieth ihm
zwar davon ab, da er ſchon zu alt ſei, um die dazu erfor¬
derlichen fremden Sprachen noch mit Erfolg lernen zu koͤnnen,
indeß erregte dies in ihm eben ſo wenig ein Bedenken, als
die Vorſtellung, daß er als Miſſionaͤr ſich wahrſcheinlich von
ſeiner Familie werde trennen muͤſſen, indem er ſich mit dem
Ausſpruch Chriſti ermuthigte: Wer Vater und Mutter, Weib
und Kind, das Leben mehr liebt als mich, der iſt meiner
nicht werth. Deshalb ſchrieb er noch vor wenigen Jahren an
einen hochgeſtellten Mann, um durch deſſen Vermittelung Auf¬
nahme in eine Miſſionsanſtalt zu finden, wobei er ſich des
Ausdrucks bediente, daß ihm vom Geiſte Gottes eingegeben
worden ſei, was Andere ſich erſt erwerben koͤnnten, nachdem
ſie Tauſende von Thalern auf ewandt haͤtten. Da er keine
Antwort erhielt, ſo ſah er hierin einen Fingerzeig, daß Gott
ſeinen Vorſatz verwerfe, daher er denn von demſelben abſtand.
Uebrigens verſichert er nichts weniger als ein Kopfhaͤnger,
vielmehr ſo lebensfroh geweſen zu ſein, daß er mit ſeiner
Familie oͤfters anſtaͤndige Vergnuͤgungsoͤrter beſucht, und noch
lieber in der freien Natur ſich ergangen habe.
Am Weihnachtsfeſte 1845 traf er in der Kirche mit
einem ihm unbekannten Manne H. zuſammen, und ließ ſich
vor Anfang des Gottesdienſtes in ein Geſpraͤch mit ihm ein.
Es muß derſelbe ein fanatiſcher Schwaͤrmer geweſen ſein, da
er dem G. nicht nur verſicherte, daß Gott und Chriſtus ihm
erſchienen ſeien, und ihm befohlen haͤtten, an dem Glaubens¬
werke der Zeit zu arbeiten, ſondern auch an G., welcher
ihm bei einer ſpaͤteren Gelegenheit das Concept des oben er¬
waͤhnten Briefes als Beweis ſeines frommen Strebens zeigte,
die krankende Aeußerung richtete, der Brief ſei nicht aus
goͤttlicher Geſinnung, ſondern aus Eingebung des Teufels her¬
vorgegangen. Denn G. wuͤrde, wenn ihm ſeine Bitte ge¬
waͤhrt worden waͤre, den Menſchen gedankt haben, da doch
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/196>, abgerufen am 05.07.2024.
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