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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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neuen Secte bekannten, welche sich allmählich über die ganze
Erde ausbreiten würde, und daß auch in Berlin eine Schaar
von Gläubigen im Begriffe stehe, sich derselben anzuschließen.
Deshalb zauderte er in tiefer Bewegung um so weniger, seine
Bereitwilligkeit dazu auszusprechen, als es ihm zur dringenden
Pflicht gemacht wurde, dem Rufe des Herrn augenblicklich
Folge zu leisten. So war er einer der 6 Mitglieder, durch
deren Taufe am Morgen vor dem Pfingsttage 1837 die hie¬
sige Gemeinde der Wiedertäufer gestiftet wurde. Zwar be¬
fremdete ihn die geringe Zahl derselben, da er auf eine große
Schaar von Bekehrten, namentlich auf den Beitritt der evan¬
gelischen Geistlichkeit gehofft und sich gefreut hatte, einer der
ersten im neuen Bunde zu sein, und dadurch den geistlichen
Trost und Zuspruch zu erhalten, dessen er in seiner Rathlo¬
sigkeit sehr bedürftig war. Jedoch ließ er sich über sein Be¬
denken so leicht beschwichtigen, daß er im frommen Eifer er¬
glühend, seiner ewigen Seeligkeit gewiß geworden, in eine
Gemeinde von Heiligen aufgenommen zu sein glaubte, und
erst spät darüber zur Besinnung kam, daß seine neuen Glau¬
bensgenossen gleich ihm schwache und sündige Menschen seien.

Vielleicht läßt sich mit diesen Zügen am stärksten die
Bethörung seines Verstandes durch religiöse Ueberspanntheit bei
großer Gutmüthigkeit bezeichnen, welche bei Anderen nichts Ar¬
ges sucht und findet, weil sie selbst davon frei ist. Bei den
häufigen Versammlungen der Wiedertäufer zeichnete er sich durch
eine so heiße Inbrunst aus, daß er auf den Wunsch der Ge¬
meinde häufig aufgerufen wurde, Gebete zu halten, welche er
im Herzensdrange improvisirt zu haben behauptet. Eine ver¬
steckte Regung von Eitelkeit, welche später in so großen Zügen
hervortrat, wurde nicht nur dadurch, sondern auch durch die
ausdrückliche Versicherung eines Mitgliedes erweckt, daß er
große Gaben besitze, welche freilich noch sehr der Leitung und
Pflege bedürften, durch welche er aber dann zu hohen Ehren
in ihrem Bunde und in der Welt gelangen könne. Zu die¬
ser Aeußerung hatten die früher schon erwähnten Glaubens¬
streitigkeiten Veranlassung gegeben, durch welche aus der neuen
Gemeinde fast von Anfang an jede Eintracht verbannt wurde.
Einer dieser Controverspunkte betraf die göttliche Gnadenwahl,

neuen Secte bekannten, welche ſich allmaͤhlich uͤber die ganze
Erde ausbreiten wuͤrde, und daß auch in Berlin eine Schaar
von Glaͤubigen im Begriffe ſtehe, ſich derſelben anzuſchließen.
Deshalb zauderte er in tiefer Bewegung um ſo weniger, ſeine
Bereitwilligkeit dazu auszuſprechen, als es ihm zur dringenden
Pflicht gemacht wurde, dem Rufe des Herrn augenblicklich
Folge zu leiſten. So war er einer der 6 Mitglieder, durch
deren Taufe am Morgen vor dem Pfingſttage 1837 die hie¬
ſige Gemeinde der Wiedertaͤufer geſtiftet wurde. Zwar be¬
fremdete ihn die geringe Zahl derſelben, da er auf eine große
Schaar von Bekehrten, namentlich auf den Beitritt der evan¬
geliſchen Geiſtlichkeit gehofft und ſich gefreut hatte, einer der
erſten im neuen Bunde zu ſein, und dadurch den geiſtlichen
Troſt und Zuſpruch zu erhalten, deſſen er in ſeiner Rathlo¬
ſigkeit ſehr beduͤrftig war. Jedoch ließ er ſich uͤber ſein Be¬
denken ſo leicht beſchwichtigen, daß er im frommen Eifer er¬
gluͤhend, ſeiner ewigen Seeligkeit gewiß geworden, in eine
Gemeinde von Heiligen aufgenommen zu ſein glaubte, und
erſt ſpaͤt daruͤber zur Beſinnung kam, daß ſeine neuen Glau¬
bensgenoſſen gleich ihm ſchwache und ſuͤndige Menſchen ſeien.

Vielleicht laͤßt ſich mit dieſen Zuͤgen am ſtaͤrkſten die
Bethoͤrung ſeines Verſtandes durch religioͤſe Ueberſpanntheit bei
großer Gutmuͤthigkeit bezeichnen, welche bei Anderen nichts Ar¬
ges ſucht und findet, weil ſie ſelbſt davon frei iſt. Bei den
haͤufigen Verſammlungen der Wiedertaͤufer zeichnete er ſich durch
eine ſo heiße Inbrunſt aus, daß er auf den Wunſch der Ge¬
meinde haͤufig aufgerufen wurde, Gebete zu halten, welche er
im Herzensdrange improviſirt zu haben behauptet. Eine ver¬
ſteckte Regung von Eitelkeit, welche ſpaͤter in ſo großen Zuͤgen
hervortrat, wurde nicht nur dadurch, ſondern auch durch die
ausdruͤckliche Verſicherung eines Mitgliedes erweckt, daß er
große Gaben beſitze, welche freilich noch ſehr der Leitung und
Pflege beduͤrften, durch welche er aber dann zu hohen Ehren
in ihrem Bunde und in der Welt gelangen koͤnne. Zu die¬
ſer Aeußerung hatten die fruͤher ſchon erwaͤhnten Glaubens¬
ſtreitigkeiten Veranlaſſung gegeben, durch welche aus der neuen
Gemeinde faſt von Anfang an jede Eintracht verbannt wurde.
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[174/0182] neuen Secte bekannten, welche ſich allmaͤhlich uͤber die ganze Erde ausbreiten wuͤrde, und daß auch in Berlin eine Schaar von Glaͤubigen im Begriffe ſtehe, ſich derſelben anzuſchließen. Deshalb zauderte er in tiefer Bewegung um ſo weniger, ſeine Bereitwilligkeit dazu auszuſprechen, als es ihm zur dringenden Pflicht gemacht wurde, dem Rufe des Herrn augenblicklich Folge zu leiſten. So war er einer der 6 Mitglieder, durch deren Taufe am Morgen vor dem Pfingſttage 1837 die hie¬ ſige Gemeinde der Wiedertaͤufer geſtiftet wurde. Zwar be¬ fremdete ihn die geringe Zahl derſelben, da er auf eine große Schaar von Bekehrten, namentlich auf den Beitritt der evan¬ geliſchen Geiſtlichkeit gehofft und ſich gefreut hatte, einer der erſten im neuen Bunde zu ſein, und dadurch den geiſtlichen Troſt und Zuſpruch zu erhalten, deſſen er in ſeiner Rathlo¬ ſigkeit ſehr beduͤrftig war. Jedoch ließ er ſich uͤber ſein Be¬ denken ſo leicht beſchwichtigen, daß er im frommen Eifer er¬ gluͤhend, ſeiner ewigen Seeligkeit gewiß geworden, in eine Gemeinde von Heiligen aufgenommen zu ſein glaubte, und erſt ſpaͤt daruͤber zur Beſinnung kam, daß ſeine neuen Glau¬ bensgenoſſen gleich ihm ſchwache und ſuͤndige Menſchen ſeien. Vielleicht laͤßt ſich mit dieſen Zuͤgen am ſtaͤrkſten die Bethoͤrung ſeines Verſtandes durch religioͤſe Ueberſpanntheit bei großer Gutmuͤthigkeit bezeichnen, welche bei Anderen nichts Ar¬ ges ſucht und findet, weil ſie ſelbſt davon frei iſt. Bei den haͤufigen Verſammlungen der Wiedertaͤufer zeichnete er ſich durch eine ſo heiße Inbrunſt aus, daß er auf den Wunſch der Ge¬ meinde haͤufig aufgerufen wurde, Gebete zu halten, welche er im Herzensdrange improviſirt zu haben behauptet. Eine ver¬ ſteckte Regung von Eitelkeit, welche ſpaͤter in ſo großen Zuͤgen hervortrat, wurde nicht nur dadurch, ſondern auch durch die ausdruͤckliche Verſicherung eines Mitgliedes erweckt, daß er große Gaben beſitze, welche freilich noch ſehr der Leitung und Pflege beduͤrften, durch welche er aber dann zu hohen Ehren in ihrem Bunde und in der Welt gelangen koͤnne. Zu die¬ ſer Aeußerung hatten die fruͤher ſchon erwaͤhnten Glaubens¬ ſtreitigkeiten Veranlaſſung gegeben, durch welche aus der neuen Gemeinde faſt von Anfang an jede Eintracht verbannt wurde. Einer dieſer Controverspunkte betraf die goͤttliche Gnadenwahl,

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/182>, abgerufen am 24.11.2024.