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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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Glauben ausübten, dessen Gemeinden in der tiefsten Unter¬
drückung schmachteten. Namentlich bezeichneten sie die Agende
als Menschenwerk, welches an die Stelle des göttlichen Wor¬
tes gesetzt werden solle; kurz sie boten Alles auf, den E. zum
Bruch mit seinen religiösen Grundsätzen zu bringen. Erst 17
Jahre alt wußte er sich in seiner großen Bestürzung nicht zu
helfen und zu rathen, und wenn auch eine leise Ahnung ihm
sagte, daß jener Fanatismus mit dem Geiste des Christenthums
im Widerspruch stehe, so konnte er sich doch der Furcht vor
der ewigen Verdammniß nicht erwehren. In wahrer Herzens¬
noth wandte er sich an einen Hamburger Wiedertäufer, wel¬
cher mit dem Conventikel im Hause des Kaufmanns in nä¬
here Verbindung getreten war, um die Mitglieder desselben für
seine Secte zu gewinnen. Derselbe suchte ihn durch ein lieb¬
reiches und aufmunterndes Benehmen zu gewinnen, tadelte
streng das Verfahren der Altlutheraner, ermahnte ihn, sich
an die Bibel zu halten, und übergab ihm zugleich einige
Tracrätlein, welche die angeblichen Vorzüge und Verdienste der
Anabaptisten in ein helles Licht stellen sollten. Begierig ver¬
schlang E. den Inhalt derselben, weil die dadurch seinem
Geiste gegebene andere Richtung ihn von seiner bisherigen
Angst befreite, und was den dadurch erlangten religiösen An¬
sichten an Klarheit fehlte, wurde reichlich ersetzt durch den
hinreißenden Zauber, den alle mystischen Schriften auf hinrei¬
chend vorbereitete Gemüther ausüben. Um ihn daher zum
Uebertritt zu der Secte der Wiedertäufer zu bewegen, hätte
es kaum der feierlichen Salbung und der imponirenden Wür¬
de bedurft, mit welcher der Hamburger ihn anredete, daß es
seine heilige Pflicht sei, Christus in Allem nachzufolgen, an
welche Ermahnung mit einigen Redewendungen die Behaup¬
tung geknüpft wurde, daß in den Worten des Erlösers auf
die Weigerung des Johannes, ihn im Jordan zu taufen (laß
also sein, also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu thun),
die Einsetzung der Wiedertaufe enthalten sei. Wie seltsam
eine solche Schlußfolge jedem Unbefangenen erscheinen mag,
so hatte sie doch für unsern E. in seiner damaligen Gemüths¬
stimmung volle Beweiskraft, zumal da ihm versichert wurde,
daß in England und Amerika sich bereits 4 Millionen zu der

Glauben ausuͤbten, deſſen Gemeinden in der tiefſten Unter¬
druͤckung ſchmachteten. Namentlich bezeichneten ſie die Agende
als Menſchenwerk, welches an die Stelle des goͤttlichen Wor¬
tes geſetzt werden ſolle; kurz ſie boten Alles auf, den E. zum
Bruch mit ſeinen religioͤſen Grundſaͤtzen zu bringen. Erſt 17
Jahre alt wußte er ſich in ſeiner großen Beſtuͤrzung nicht zu
helfen und zu rathen, und wenn auch eine leiſe Ahnung ihm
ſagte, daß jener Fanatismus mit dem Geiſte des Chriſtenthums
im Widerſpruch ſtehe, ſo konnte er ſich doch der Furcht vor
der ewigen Verdammniß nicht erwehren. In wahrer Herzens¬
noth wandte er ſich an einen Hamburger Wiedertaͤufer, wel¬
cher mit dem Conventikel im Hauſe des Kaufmanns in naͤ¬
here Verbindung getreten war, um die Mitglieder deſſelben fuͤr
ſeine Secte zu gewinnen. Derſelbe ſuchte ihn durch ein lieb¬
reiches und aufmunterndes Benehmen zu gewinnen, tadelte
ſtreng das Verfahren der Altlutheraner, ermahnte ihn, ſich
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Anabaptiſten in ein helles Licht ſtellen ſollten. Begierig ver¬
ſchlang E. den Inhalt derſelben, weil die dadurch ſeinem
Geiſte gegebene andere Richtung ihn von ſeiner bisherigen
Angſt befreite, und was den dadurch erlangten religioͤſen An¬
ſichten an Klarheit fehlte, wurde reichlich erſetzt durch den
hinreißenden Zauber, den alle myſtiſchen Schriften auf hinrei¬
chend vorbereitete Gemuͤther ausuͤben. Um ihn daher zum
Uebertritt zu der Secte der Wiedertaͤufer zu bewegen, haͤtte
es kaum der feierlichen Salbung und der imponirenden Wuͤr¬
de bedurft, mit welcher der Hamburger ihn anredete, daß es
ſeine heilige Pflicht ſei, Chriſtus in Allem nachzufolgen, an
welche Ermahnung mit einigen Redewendungen die Behaup¬
tung geknuͤpft wurde, daß in den Worten des Erloͤſers auf
die Weigerung des Johannes, ihn im Jordan zu taufen (laß
alſo ſein, alſo gebuͤhrt es uns, alle Gerechtigkeit zu thun),
die Einſetzung der Wiedertaufe enthalten ſei. Wie ſeltſam
eine ſolche Schlußfolge jedem Unbefangenen erſcheinen mag,
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[173/0181] Glauben ausuͤbten, deſſen Gemeinden in der tiefſten Unter¬ druͤckung ſchmachteten. Namentlich bezeichneten ſie die Agende als Menſchenwerk, welches an die Stelle des goͤttlichen Wor¬ tes geſetzt werden ſolle; kurz ſie boten Alles auf, den E. zum Bruch mit ſeinen religioͤſen Grundſaͤtzen zu bringen. Erſt 17 Jahre alt wußte er ſich in ſeiner großen Beſtuͤrzung nicht zu helfen und zu rathen, und wenn auch eine leiſe Ahnung ihm ſagte, daß jener Fanatismus mit dem Geiſte des Chriſtenthums im Widerſpruch ſtehe, ſo konnte er ſich doch der Furcht vor der ewigen Verdammniß nicht erwehren. In wahrer Herzens¬ noth wandte er ſich an einen Hamburger Wiedertaͤufer, wel¬ cher mit dem Conventikel im Hauſe des Kaufmanns in naͤ¬ here Verbindung getreten war, um die Mitglieder deſſelben fuͤr ſeine Secte zu gewinnen. Derſelbe ſuchte ihn durch ein lieb¬ reiches und aufmunterndes Benehmen zu gewinnen, tadelte ſtreng das Verfahren der Altlutheraner, ermahnte ihn, ſich an die Bibel zu halten, und uͤbergab ihm zugleich einige Tracraͤtlein, welche die angeblichen Vorzuͤge und Verdienſte der Anabaptiſten in ein helles Licht ſtellen ſollten. Begierig ver¬ ſchlang E. den Inhalt derſelben, weil die dadurch ſeinem Geiſte gegebene andere Richtung ihn von ſeiner bisherigen Angſt befreite, und was den dadurch erlangten religioͤſen An¬ ſichten an Klarheit fehlte, wurde reichlich erſetzt durch den hinreißenden Zauber, den alle myſtiſchen Schriften auf hinrei¬ chend vorbereitete Gemuͤther ausuͤben. Um ihn daher zum Uebertritt zu der Secte der Wiedertaͤufer zu bewegen, haͤtte es kaum der feierlichen Salbung und der imponirenden Wuͤr¬ de bedurft, mit welcher der Hamburger ihn anredete, daß es ſeine heilige Pflicht ſei, Chriſtus in Allem nachzufolgen, an welche Ermahnung mit einigen Redewendungen die Behaup¬ tung geknuͤpft wurde, daß in den Worten des Erloͤſers auf die Weigerung des Johannes, ihn im Jordan zu taufen (laß alſo ſein, alſo gebuͤhrt es uns, alle Gerechtigkeit zu thun), die Einſetzung der Wiedertaufe enthalten ſei. Wie ſeltſam eine ſolche Schlußfolge jedem Unbefangenen erſcheinen mag, ſo hatte ſie doch fuͤr unſern E. in ſeiner damaligen Gemuͤths¬ ſtimmung volle Beweiskraft, zumal da ihm verſichert wurde, daß in England und Amerika ſich bereits 4 Millionen zu der

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/181>, abgerufen am 24.11.2024.