deren hochherzige Gesinnung innige Hochachtung einflößen muß, wenn auch einzelne Missionäre als Schwärmer und Fanatiker in einem sehr zweideutigen Lichte erscheinen. Die Spötter über diese Angelegenheit vergessen es gänzlich, daß noch nie¬ mals Versuche zur Entwilderung und geistig sittlichen Cultur der rohen Volksstämme auf andere Weise als durch die Aus¬ breitung des Christenthums unter ihnen gelungen sind, wel¬ ches auch dadurch seinen göttlichen Ursprung deutlich bezeugt, daß jedes auf diese Weise für die Menschheit gewonnene Volk erst eine lange Reihe von Entwickelungsstufen, wie unsre Vor¬ ältern, durchlaufen muß, ehe es von seiner ursprünglichen Roh¬ heit zu dem Genuß der geistig sittlichen Freiheit auf der Grund¬ lage eines geläuterten Glaubens gelangen kann. Das Chri¬ stenthum kann und soll eben wegen seiner göttlichen Natur Allen Alles sein, so daß aus ihm Jeder volle Befriedigung zu schöpfen vermag, der erleuchtetste, tiefsinnigste Philosoph, wie der schlichteste Verstand, dessen Gesichtskreis nicht über die Grenze der engsten Verhältnisse hinausreicht. Wer darf also fordern, daß der Gottesdienst, welcher so unendlich verschiedenen Bedürfnissen des Geistes und Herzens Befriedigung verschaffen soll, überall in der nämlichen Form und Fassung gehalten, in einer bestimmten Begriffssphäre abgeschlossen werde? Gönnt doch den Mühseeligen und Beladenen, welche sich nicht zu hö¬ herer Weltbetrachtung aufschwingen können, eine schlichte, ihren Bedürfnissen angemessene christliche Lehre, welche ihnen Muth und Trost einflößt, indem sie das Leben darstellt als den Kampf des gläubigen Gemüths gegen die Leiden und Verlockungen die¬ ser Welt, als die Nachfolge des Kreuzes Christi. Sie haben ja hier Noth genug zu erdulden, und wie wollten sie sie ertra¬ gen, wenn nicht auf die Trauerbühne ihres verkümmerten Da¬ seins ein himmlischer Lichtstrahl fiele, welcher ihr Bewußtsein erleuchtend sie gegen gänzliches Verdumpfen in Verzweiflung über endloses Erdenweh schützte?
Aber freilich läßt der Vortrag, in welchen solche asceti¬ sche Lehren eingekleidet werden, häufig nur allzuviel zu wün¬ schen übrig, da er oft genug nicht aus einem liebevollen Herzen, sondern aus einem fanatischen Munde kommt, welcher die schon geängstigten Gemüther mit den Strafgerichten Gottes über die
deren hochherzige Geſinnung innige Hochachtung einfloͤßen muß, wenn auch einzelne Miſſionaͤre als Schwaͤrmer und Fanatiker in einem ſehr zweideutigen Lichte erſcheinen. Die Spoͤtter uͤber dieſe Angelegenheit vergeſſen es gaͤnzlich, daß noch nie¬ mals Verſuche zur Entwilderung und geiſtig ſittlichen Cultur der rohen Volksſtaͤmme auf andere Weiſe als durch die Aus¬ breitung des Chriſtenthums unter ihnen gelungen ſind, wel¬ ches auch dadurch ſeinen goͤttlichen Urſprung deutlich bezeugt, daß jedes auf dieſe Weiſe fuͤr die Menſchheit gewonnene Volk erſt eine lange Reihe von Entwickelungsſtufen, wie unſre Vor¬ aͤltern, durchlaufen muß, ehe es von ſeiner urſpruͤnglichen Roh¬ heit zu dem Genuß der geiſtig ſittlichen Freiheit auf der Grund¬ lage eines gelaͤuterten Glaubens gelangen kann. Das Chri¬ ſtenthum kann und ſoll eben wegen ſeiner goͤttlichen Natur Allen Alles ſein, ſo daß aus ihm Jeder volle Befriedigung zu ſchoͤpfen vermag, der erleuchtetſte, tiefſinnigſte Philoſoph, wie der ſchlichteſte Verſtand, deſſen Geſichtskreis nicht uͤber die Grenze der engſten Verhaͤltniſſe hinausreicht. Wer darf alſo fordern, daß der Gottesdienſt, welcher ſo unendlich verſchiedenen Beduͤrfniſſen des Geiſtes und Herzens Befriedigung verſchaffen ſoll, uͤberall in der naͤmlichen Form und Faſſung gehalten, in einer beſtimmten Begriffsſphaͤre abgeſchloſſen werde? Goͤnnt doch den Muͤhſeeligen und Beladenen, welche ſich nicht zu hoͤ¬ herer Weltbetrachtung aufſchwingen koͤnnen, eine ſchlichte, ihren Beduͤrfniſſen angemeſſene chriſtliche Lehre, welche ihnen Muth und Troſt einfloͤßt, indem ſie das Leben darſtellt als den Kampf des glaͤubigen Gemuͤths gegen die Leiden und Verlockungen die¬ ſer Welt, als die Nachfolge des Kreuzes Chriſti. Sie haben ja hier Noth genug zu erdulden, und wie wollten ſie ſie ertra¬ gen, wenn nicht auf die Trauerbuͤhne ihres verkuͤmmerten Da¬ ſeins ein himmliſcher Lichtſtrahl fiele, welcher ihr Bewußtſein erleuchtend ſie gegen gaͤnzliches Verdumpfen in Verzweiflung uͤber endloſes Erdenweh ſchuͤtzte?
Aber freilich laͤßt der Vortrag, in welchen ſolche asceti¬ ſche Lehren eingekleidet werden, haͤufig nur allzuviel zu wuͤn¬ ſchen uͤbrig, da er oft genug nicht aus einem liebevollen Herzen, ſondern aus einem fanatiſchen Munde kommt, welcher die ſchon geaͤngſtigten Gemuͤther mit den Strafgerichten Gottes uͤber die
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deren hochherzige Geſinnung innige Hochachtung einfloͤßen muß,
wenn auch einzelne Miſſionaͤre als Schwaͤrmer und Fanatiker
in einem ſehr zweideutigen Lichte erſcheinen. Die Spoͤtter
uͤber dieſe Angelegenheit vergeſſen es gaͤnzlich, daß noch nie¬
mals Verſuche zur Entwilderung und geiſtig ſittlichen Cultur
der rohen Volksſtaͤmme auf andere Weiſe als durch die Aus¬
breitung des Chriſtenthums unter ihnen gelungen ſind, wel¬
ches auch dadurch ſeinen goͤttlichen Urſprung deutlich bezeugt,
daß jedes auf dieſe Weiſe fuͤr die Menſchheit gewonnene Volk
erſt eine lange Reihe von Entwickelungsſtufen, wie unſre Vor¬
aͤltern, durchlaufen muß, ehe es von ſeiner urſpruͤnglichen Roh¬
heit zu dem Genuß der geiſtig ſittlichen Freiheit auf der Grund¬
lage eines gelaͤuterten Glaubens gelangen kann. Das Chri¬
ſtenthum kann und ſoll eben wegen ſeiner goͤttlichen Natur
Allen Alles ſein, ſo daß aus ihm Jeder volle Befriedigung
zu ſchoͤpfen vermag, der erleuchtetſte, tiefſinnigſte Philoſoph,
wie der ſchlichteſte Verſtand, deſſen Geſichtskreis nicht uͤber die
Grenze der engſten Verhaͤltniſſe hinausreicht. Wer darf alſo
fordern, daß der Gottesdienſt, welcher ſo unendlich verſchiedenen
Beduͤrfniſſen des Geiſtes und Herzens Befriedigung verſchaffen
ſoll, uͤberall in der naͤmlichen Form und Faſſung gehalten, in
einer beſtimmten Begriffsſphaͤre abgeſchloſſen werde? Goͤnnt
doch den Muͤhſeeligen und Beladenen, welche ſich nicht zu hoͤ¬
herer Weltbetrachtung aufſchwingen koͤnnen, eine ſchlichte, ihren
Beduͤrfniſſen angemeſſene chriſtliche Lehre, welche ihnen Muth
und Troſt einfloͤßt, indem ſie das Leben darſtellt als den Kampf
des glaͤubigen Gemuͤths gegen die Leiden und Verlockungen die¬
ſer Welt, als die Nachfolge des Kreuzes Chriſti. Sie haben
ja hier Noth genug zu erdulden, und wie wollten ſie ſie ertra¬
gen, wenn nicht auf die Trauerbuͤhne ihres verkuͤmmerten Da¬
ſeins ein himmliſcher Lichtſtrahl fiele, welcher ihr Bewußtſein
erleuchtend ſie gegen gaͤnzliches Verdumpfen in Verzweiflung
uͤber endloſes Erdenweh ſchuͤtzte?
Aber freilich laͤßt der Vortrag, in welchen ſolche asceti¬
ſche Lehren eingekleidet werden, haͤufig nur allzuviel zu wuͤn¬
ſchen uͤbrig, da er oft genug nicht aus einem liebevollen Herzen,
ſondern aus einem fanatiſchen Munde kommt, welcher die ſchon
geaͤngſtigten Gemuͤther mit den Strafgerichten Gottes uͤber die
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/163>, abgerufen am 05.07.2024.
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