und in Ermangelung eines anderen Gegenstandes richtete sich ihre Neigung auf einen Handlungsdiener ihres Vaters, weil sie wohl fühlte, daß sie zu keinen höheren Ansprüchen berech¬ tigt sei. Sie mußte indeß, wie so viele ihres Geschlechts, ihre Neigung in sich verschließen, da sie von jenem nicht einmal beachtet und ausgezeichnet wurde, und wenn ihre hoffnungs¬ lose Liebe sie auch nicht in eine wirkliche Gemüthskrankheit versetzte, so bedürfte sie doch mehrerer Jahre, um ihre frühere Ruhe wieder zu gewinnen, welche eigentlich nur eine trübe Resignation auf ein von ihr nicht zu erlangendes Lebensglück sein konnte.
Inzwischen waren die Vermögensumstände ihres früher wohlhabenden Vaters, dem es wohl an kaufmännischer Be¬ triebsamkeit gefehlt haben mag, so weit heruntergekommen, daß er, ohne gerade Bankrutt gemacht zu haben, genöthigt war, sein Geschäft aufzugeben und sich mit seiner Familie in Berlin anzusiedeln, wo seine Töchter mit emsigem Fleiße in Anfertigen weiblicher Arbeiten so viel erwarben, daß sie we¬ nigstens gegen drückende Noth geschützt blieben. Diese be¬ schränkte Lage nebst den unzertrennlich damit verbundenen Sorgen für die Zukunft machte besonders auf das schwache Gemüth unsrer damals 28 Jahre alten Kranken einen tiefen Eindruck, so daß sie oft weinte und wehklagte, und von ihrer Mutter getröstet werden mußte. Durch die Missionsblätter, welche ihr Vater schon seit längerer Zeit gehalten hatte, auf die Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter den Heiden aufmerksam gemacht, fing sie an, den Versammlungs¬ saal derselben zu besuchen, wo außer den Andachtsübungen besonders die Berichte über die günstigen und ungünstigen Un¬ ternehmungen der Missionäre in fremden Ländern ihr Gemüth tief bewegten. Es liegt in der Natur der Sache, daß solche Berichte in einem ascetischen, streng kirchlichen Geiste gehalten sein müssen, da jeder Missionär sich mit Glaubensmuth, Selbst¬ verläugnung, namentlich im Verzichtleisten auf die meisten Lebensfreuden, ja mit Todesverachtung ausrüsten muß, um sich seinem gefahrvollen Beruf mit Erfolg widmen zu können. Wer wollte es nicht freudig anerkennen, daß auch die Gegen¬ wart noch eine Menge von Glaubenshelden aufzuweisen hat,
und in Ermangelung eines anderen Gegenſtandes richtete ſich ihre Neigung auf einen Handlungsdiener ihres Vaters, weil ſie wohl fuͤhlte, daß ſie zu keinen hoͤheren Anſpruͤchen berech¬ tigt ſei. Sie mußte indeß, wie ſo viele ihres Geſchlechts, ihre Neigung in ſich verſchließen, da ſie von jenem nicht einmal beachtet und ausgezeichnet wurde, und wenn ihre hoffnungs¬ loſe Liebe ſie auch nicht in eine wirkliche Gemuͤthskrankheit verſetzte, ſo beduͤrfte ſie doch mehrerer Jahre, um ihre fruͤhere Ruhe wieder zu gewinnen, welche eigentlich nur eine truͤbe Reſignation auf ein von ihr nicht zu erlangendes Lebensgluͤck ſein konnte.
Inzwiſchen waren die Vermoͤgensumſtaͤnde ihres fruͤher wohlhabenden Vaters, dem es wohl an kaufmaͤnniſcher Be¬ triebſamkeit gefehlt haben mag, ſo weit heruntergekommen, daß er, ohne gerade Bankrutt gemacht zu haben, genoͤthigt war, ſein Geſchaͤft aufzugeben und ſich mit ſeiner Familie in Berlin anzuſiedeln, wo ſeine Toͤchter mit emſigem Fleiße in Anfertigen weiblicher Arbeiten ſo viel erwarben, daß ſie we¬ nigſtens gegen druͤckende Noth geſchuͤtzt blieben. Dieſe be¬ ſchraͤnkte Lage nebſt den unzertrennlich damit verbundenen Sorgen fuͤr die Zukunft machte beſonders auf das ſchwache Gemuͤth unſrer damals 28 Jahre alten Kranken einen tiefen Eindruck, ſo daß ſie oft weinte und wehklagte, und von ihrer Mutter getroͤſtet werden mußte. Durch die Miſſionsblaͤtter, welche ihr Vater ſchon ſeit laͤngerer Zeit gehalten hatte, auf die Geſellſchaft zur Befoͤrderung des Chriſtenthums unter den Heiden aufmerkſam gemacht, fing ſie an, den Verſammlungs¬ ſaal derſelben zu beſuchen, wo außer den Andachtsuͤbungen beſonders die Berichte uͤber die guͤnſtigen und unguͤnſtigen Un¬ ternehmungen der Miſſionaͤre in fremden Laͤndern ihr Gemuͤth tief bewegten. Es liegt in der Natur der Sache, daß ſolche Berichte in einem ascetiſchen, ſtreng kirchlichen Geiſte gehalten ſein muͤſſen, da jeder Miſſionaͤr ſich mit Glaubensmuth, Selbſt¬ verlaͤugnung, namentlich im Verzichtleiſten auf die meiſten Lebensfreuden, ja mit Todesverachtung ausruͤſten muß, um ſich ſeinem gefahrvollen Beruf mit Erfolg widmen zu koͤnnen. Wer wollte es nicht freudig anerkennen, daß auch die Gegen¬ wart noch eine Menge von Glaubenshelden aufzuweiſen hat,
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und in Ermangelung eines anderen Gegenſtandes richtete ſich
ihre Neigung auf einen Handlungsdiener ihres Vaters, weil
ſie wohl fuͤhlte, daß ſie zu keinen hoͤheren Anſpruͤchen berech¬
tigt ſei. Sie mußte indeß, wie ſo viele ihres Geſchlechts, ihre
Neigung in ſich verſchließen, da ſie von jenem nicht einmal
beachtet und ausgezeichnet wurde, und wenn ihre hoffnungs¬
loſe Liebe ſie auch nicht in eine wirkliche Gemuͤthskrankheit
verſetzte, ſo beduͤrfte ſie doch mehrerer Jahre, um ihre fruͤhere
Ruhe wieder zu gewinnen, welche eigentlich nur eine truͤbe
Reſignation auf ein von ihr nicht zu erlangendes Lebensgluͤck
ſein konnte.
Inzwiſchen waren die Vermoͤgensumſtaͤnde ihres fruͤher
wohlhabenden Vaters, dem es wohl an kaufmaͤnniſcher Be¬
triebſamkeit gefehlt haben mag, ſo weit heruntergekommen,
daß er, ohne gerade Bankrutt gemacht zu haben, genoͤthigt
war, ſein Geſchaͤft aufzugeben und ſich mit ſeiner Familie in
Berlin anzuſiedeln, wo ſeine Toͤchter mit emſigem Fleiße in
Anfertigen weiblicher Arbeiten ſo viel erwarben, daß ſie we¬
nigſtens gegen druͤckende Noth geſchuͤtzt blieben. Dieſe be¬
ſchraͤnkte Lage nebſt den unzertrennlich damit verbundenen
Sorgen fuͤr die Zukunft machte beſonders auf das ſchwache
Gemuͤth unſrer damals 28 Jahre alten Kranken einen tiefen
Eindruck, ſo daß ſie oft weinte und wehklagte, und von ihrer
Mutter getroͤſtet werden mußte. Durch die Miſſionsblaͤtter,
welche ihr Vater ſchon ſeit laͤngerer Zeit gehalten hatte, auf
die Geſellſchaft zur Befoͤrderung des Chriſtenthums unter den
Heiden aufmerkſam gemacht, fing ſie an, den Verſammlungs¬
ſaal derſelben zu beſuchen, wo außer den Andachtsuͤbungen
beſonders die Berichte uͤber die guͤnſtigen und unguͤnſtigen Un¬
ternehmungen der Miſſionaͤre in fremden Laͤndern ihr Gemuͤth
tief bewegten. Es liegt in der Natur der Sache, daß ſolche
Berichte in einem ascetiſchen, ſtreng kirchlichen Geiſte gehalten
ſein muͤſſen, da jeder Miſſionaͤr ſich mit Glaubensmuth, Selbſt¬
verlaͤugnung, namentlich im Verzichtleiſten auf die meiſten
Lebensfreuden, ja mit Todesverachtung ausruͤſten muß, um ſich
ſeinem gefahrvollen Beruf mit Erfolg widmen zu koͤnnen.
Wer wollte es nicht freudig anerkennen, daß auch die Gegen¬
wart noch eine Menge von Glaubenshelden aufzuweiſen hat,
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/162>, abgerufen am 26.07.2024.
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