Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.zündung mehrmals von neuem erregt worden war. Es war 12. G., 54 Jahre alt, wurde von ihrem Vater, einem Hüt- zuͤndung mehrmals von neuem erregt worden war. Es war 12. G., 54 Jahre alt, wurde von ihrem Vater, einem Huͤt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0146" n="138"/> zuͤndung mehrmals von neuem erregt worden war. Es war<lb/> ein hartnaͤckiger, faſt verzweifelter Kampf mit einer fuͤrchter¬<lb/> lichen Krankheit, welche Anfangs ſo wenig weichen wollte, daß<lb/> die Leidende noch immerfort die Anfechtungen des Satans zu<lb/> erdulden glaubte, und dadurch ihres Lebens ſo uͤberdruͤſſig<lb/> wurde, daß ihre Sehnſucht nach dem Tode eine geſchaͤrfte<lb/> Wachſamkeit zur Verhuͤtung einer That der Verzweiflung noͤ¬<lb/> thig machte. Endlich im Februar 1846 trat eine voͤllige Ge¬<lb/> muͤthsruhe ein, indem die L. verſicherte, von allen Angriffen<lb/> des Teufels ſich nunmehr gaͤnzlich frei zu fuͤhlen. Dem fer¬<lb/> neren Wirken der Salbe wurde nun Einhalt gethan, um der<lb/> ſchwer gepruͤften Dulderin die noͤthige Ruhe zu goͤnnen. Meh¬<lb/> rere Wochen verharrte ſie noch in einem dumpfen, hinbruͤten¬<lb/> den, faſt an Betaͤubung grenzenden Zuſtande als unvermeid¬<lb/> licher Folge der ſchweren Erſchuͤtterung, von welcher ſie zu¬<lb/> gleich in der Seele und im Koͤrper betroffen worden war; in¬<lb/> deß ihre koͤrperlichen Kraͤfte nahmen mit jedem Tage zu, und<lb/> gaben ihr auch in geiſtiger Beziehung mehr Haltung und Reg¬<lb/> ſamkeit, ſo daß ſie an den weiblichen Arbeiten und am Unter¬<lb/> richte Theil nehmen konnte. Gegen Ende Februars wurde<lb/> ihre Geneſung durch die Freude des Wiederſehens ihrer Ange¬<lb/> hoͤrigen, namentlich ihres heiß geliebten Kindes, um welches<lb/> ſie Unſaͤgliches erduldet, wie durch einen Zauberſchlag vollen¬<lb/> det. Gern haͤtte ich ſie zur Sicherſtellung dieſes guͤnſtigen<lb/> Erfolges noch einige Monate unter fortgeſetzter Heilpflege er¬<lb/> halten; indeß ihr Ehemann forderte ſie mit einer ſolchen Ent¬<lb/> ſchiedenheit zuruͤck, daß ſie am 26. Maͤrz zu ihm zuruͤckkehren<lb/> mußte.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>12.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">G</hi><hi rendition="#b">.</hi>, 54 Jahre alt, wurde von ihrem Vater, einem Huͤt-<lb/> tenfactor, unehelich erzeugt, und nebſt ihrem Bruder der Mut¬<lb/> ter ſchon im fruͤheſten Alter entnommen, ſo daß ſie mit derſel¬<lb/> ben nie in ein innigeres Verhaͤltniß trat. Ihr Vater uͤbergab<lb/> ſie der Pflege ſeiner Haushaͤlterin, welche eine wohlgeſinnte<lb/> Perſon geweſen ſein ſoll, ſo daß beide der muͤtterlichen Sorg¬<lb/> falt beraubten Kinder wenigſtens nicht verwahrloſet und ſchlecht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [138/0146]
zuͤndung mehrmals von neuem erregt worden war. Es war
ein hartnaͤckiger, faſt verzweifelter Kampf mit einer fuͤrchter¬
lichen Krankheit, welche Anfangs ſo wenig weichen wollte, daß
die Leidende noch immerfort die Anfechtungen des Satans zu
erdulden glaubte, und dadurch ihres Lebens ſo uͤberdruͤſſig
wurde, daß ihre Sehnſucht nach dem Tode eine geſchaͤrfte
Wachſamkeit zur Verhuͤtung einer That der Verzweiflung noͤ¬
thig machte. Endlich im Februar 1846 trat eine voͤllige Ge¬
muͤthsruhe ein, indem die L. verſicherte, von allen Angriffen
des Teufels ſich nunmehr gaͤnzlich frei zu fuͤhlen. Dem fer¬
neren Wirken der Salbe wurde nun Einhalt gethan, um der
ſchwer gepruͤften Dulderin die noͤthige Ruhe zu goͤnnen. Meh¬
rere Wochen verharrte ſie noch in einem dumpfen, hinbruͤten¬
den, faſt an Betaͤubung grenzenden Zuſtande als unvermeid¬
licher Folge der ſchweren Erſchuͤtterung, von welcher ſie zu¬
gleich in der Seele und im Koͤrper betroffen worden war; in¬
deß ihre koͤrperlichen Kraͤfte nahmen mit jedem Tage zu, und
gaben ihr auch in geiſtiger Beziehung mehr Haltung und Reg¬
ſamkeit, ſo daß ſie an den weiblichen Arbeiten und am Unter¬
richte Theil nehmen konnte. Gegen Ende Februars wurde
ihre Geneſung durch die Freude des Wiederſehens ihrer Ange¬
hoͤrigen, namentlich ihres heiß geliebten Kindes, um welches
ſie Unſaͤgliches erduldet, wie durch einen Zauberſchlag vollen¬
det. Gern haͤtte ich ſie zur Sicherſtellung dieſes guͤnſtigen
Erfolges noch einige Monate unter fortgeſetzter Heilpflege er¬
halten; indeß ihr Ehemann forderte ſie mit einer ſolchen Ent¬
ſchiedenheit zuruͤck, daß ſie am 26. Maͤrz zu ihm zuruͤckkehren
mußte.
12.
G., 54 Jahre alt, wurde von ihrem Vater, einem Huͤt-
tenfactor, unehelich erzeugt, und nebſt ihrem Bruder der Mut¬
ter ſchon im fruͤheſten Alter entnommen, ſo daß ſie mit derſel¬
ben nie in ein innigeres Verhaͤltniß trat. Ihr Vater uͤbergab
ſie der Pflege ſeiner Haushaͤlterin, welche eine wohlgeſinnte
Perſon geweſen ſein ſoll, ſo daß beide der muͤtterlichen Sorg¬
falt beraubten Kinder wenigſtens nicht verwahrloſet und ſchlecht
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