Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.10. K., 42 Jahre alt, wurde in Manheim von katholischen 10. K., 42 Jahre alt, wurde in Manheim von katholiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0132" n="124"/> </div> <div n="1"> <head>10.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">K</hi><hi rendition="#b">.</hi>, 42 Jahre alt, wurde in Manheim von katholiſchen<lb/> Aeltern geboren, erlernte das Zimmerhandwerk, und trat als<lb/> Geſelle eine mehrjaͤhrige Wanderſchaft an, welche ihn zuletzt<lb/> nach Berlin fuͤhrte, woſelbſt er ſich mit einer geſchiedenen evan¬<lb/> geliſchen Frau verheirathete, und mit ihr in einer ſehr gluͤck¬<lb/> lichen Ehe lebte. Dieſer Umſtand gab Veranlaſſung, daß ihm<lb/> von einem katholiſchen Geiſtlichen der Genuß des heiligen Abend¬<lb/> mahls verweigert wurde, da ſeine Ehe nur als Concubinat an¬<lb/> zuſehen ſei; er muͤſſe ſich daher von ſeiner Frau ſcheiden laſſen,<lb/> wenn er in die Gemeinde der Rechtglaͤubigen wieder aufgenom¬<lb/> men werden wolle. Dieſe Excommunication belaſtete ihn eine<lb/> lange Reihe von Jahren hindurch mit Gewiſſensſcrupeln, da er<lb/> ſtets im Kampfe zwiſchen ſeinem religioͤſen Herzensbeduͤrfniß<lb/> und der innigen Liebe zu ſeiner braven Frau ſchwankte; indeß<lb/> angeſtrengte Arbeiten, bei denen er ſich ſtets der kraͤftigſten<lb/> Geſundheit erfreute, erhielten ihn wenigſtens in leidlicher Faſ¬<lb/> ſung, ſo daß er ſich oft ſeiner quaͤlenden Sorgen entſchlagen<lb/> konnte. Nun faßte er aber in ſeinem bereits vorgeruͤckten Al¬<lb/> ter den Entſchluß, das Examen als Zimmermeiſter abzulegen,<lb/> um ſich eine ſelbſtſtaͤndige Stellung und dadurch einen reich¬<lb/> licheren Erwerb zu verſchaffen, weshalb er mehrere Monate<lb/> Unterricht in der Mathematik, im Zeichnen und in anderen das<lb/> Baufach betreffenden Gegenſtaͤnden nahm, um ſich fuͤr die Pruͤ¬<lb/> fung vorzubereiten. Er ſoll darin gute Fortſchritte gemacht ha¬<lb/> ben, ſo daß er ſich einen guͤnſtigen Erfolg verſprechen konnte;<lb/> indeß der ploͤtzliche Uebergang von den gewohnten koͤrperlichen<lb/> Arbeiten zu den ihm fremden geiſtigen Anſtrengungen verſetzte<lb/> ihn in eine peinliche Aufregung, welche bald die Beſorgniß<lb/> erzeugte, daß er im Examen nicht beſtehen werde. Tief be¬<lb/> kuͤmmert uͤber das Scheitern ſeiner Hoffnungen gerieth er bald<lb/> in eine voͤllige Verzweiflung, welche von fieberhaften Erſchei¬<lb/> nungen begleitet, ſeine Aufnahme in die Abtheilung der Cha¬<lb/> rité fuͤr innere Kranke am 12. Mai 1842 nothwendig machte.<lb/> Er ſchrie und tobte, klagte ſich unverzeihlicher Suͤnden an, be¬<lb/> jammerte das Schickſal ſeiner durch ihn ungluͤcklich gewordenen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0132]
10.
K., 42 Jahre alt, wurde in Manheim von katholiſchen
Aeltern geboren, erlernte das Zimmerhandwerk, und trat als
Geſelle eine mehrjaͤhrige Wanderſchaft an, welche ihn zuletzt
nach Berlin fuͤhrte, woſelbſt er ſich mit einer geſchiedenen evan¬
geliſchen Frau verheirathete, und mit ihr in einer ſehr gluͤck¬
lichen Ehe lebte. Dieſer Umſtand gab Veranlaſſung, daß ihm
von einem katholiſchen Geiſtlichen der Genuß des heiligen Abend¬
mahls verweigert wurde, da ſeine Ehe nur als Concubinat an¬
zuſehen ſei; er muͤſſe ſich daher von ſeiner Frau ſcheiden laſſen,
wenn er in die Gemeinde der Rechtglaͤubigen wieder aufgenom¬
men werden wolle. Dieſe Excommunication belaſtete ihn eine
lange Reihe von Jahren hindurch mit Gewiſſensſcrupeln, da er
ſtets im Kampfe zwiſchen ſeinem religioͤſen Herzensbeduͤrfniß
und der innigen Liebe zu ſeiner braven Frau ſchwankte; indeß
angeſtrengte Arbeiten, bei denen er ſich ſtets der kraͤftigſten
Geſundheit erfreute, erhielten ihn wenigſtens in leidlicher Faſ¬
ſung, ſo daß er ſich oft ſeiner quaͤlenden Sorgen entſchlagen
konnte. Nun faßte er aber in ſeinem bereits vorgeruͤckten Al¬
ter den Entſchluß, das Examen als Zimmermeiſter abzulegen,
um ſich eine ſelbſtſtaͤndige Stellung und dadurch einen reich¬
licheren Erwerb zu verſchaffen, weshalb er mehrere Monate
Unterricht in der Mathematik, im Zeichnen und in anderen das
Baufach betreffenden Gegenſtaͤnden nahm, um ſich fuͤr die Pruͤ¬
fung vorzubereiten. Er ſoll darin gute Fortſchritte gemacht ha¬
ben, ſo daß er ſich einen guͤnſtigen Erfolg verſprechen konnte;
indeß der ploͤtzliche Uebergang von den gewohnten koͤrperlichen
Arbeiten zu den ihm fremden geiſtigen Anſtrengungen verſetzte
ihn in eine peinliche Aufregung, welche bald die Beſorgniß
erzeugte, daß er im Examen nicht beſtehen werde. Tief be¬
kuͤmmert uͤber das Scheitern ſeiner Hoffnungen gerieth er bald
in eine voͤllige Verzweiflung, welche von fieberhaften Erſchei¬
nungen begleitet, ſeine Aufnahme in die Abtheilung der Cha¬
rité fuͤr innere Kranke am 12. Mai 1842 nothwendig machte.
Er ſchrie und tobte, klagte ſich unverzeihlicher Suͤnden an, be¬
jammerte das Schickſal ſeiner durch ihn ungluͤcklich gewordenen
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