solche Erleichterung im Kopfe, daß sie von Gott in ihrem In¬ nern erleuchtet zu sein glaubte, und ihm dafür innig dankte. Während einer anderen Schwangerschaft litt sie 3 Monate lang am kalten Fieber, welches endlich von einem Armenarzte ge¬ heilt wurde, nach welchem sie aber einen sehr heftigen Anfall von hysterischen Krämpfen bekam. Während 9 Stunden konnte sie nicht sprechen, nur seufzen, der Unterleib war krampfhaft zusammengezogen, und eine große Beklemmung auf der Brust versetzte ihr fast den Athem. Ihr frommer Sinn fand auch hierin eine heilsame Prüfung, welche Gott ihr auferlegt habe, daher nannte sie den Krampfanfall eine Reise nach dem Oel¬ berge, indem sie überzeugt war, daß Krankheiten Liebesruthen seien, mit denen, so wie mit anderen Leiden Gott seine Kin¬ der züchtige, um sie zu heiligen, wofür sie ihm dankbar sein müßten.
Während der vielen Monate, welche die F. unter meiner Aufsicht zubrachte, hat sich ihr Charakter stets im günstigsten Lichte gezeigt, da sie niemals ihre Sanftmuth, Ordnungsliebe und emsige Thätigkeit verleugnete, und in ihrer ganzen Er¬ scheinung das rührende Bild einer stillen, ergebenen Dulderin darbot, welche durch die Erinnerung an ein unter steten Mi߬ handlungen zugebrachtes Leben nie zum bitteren Rachegefühl ge¬ stimmt wurde. Ihr Verstand wird sich schwerlich jemals wieder aus den Schlingen des Wahnsinns befreien können, aber ihr Ge¬ müth hat eine sittliche Läuterung gewonnen, welche ihr Hoch¬ achtung und Theilnahme zuwenden muß. Eine solche Gesin¬ nung wirft daher ein helles Licht auf ihre Vergangenheit, und man darf ihr unbedenklich Glauben beimessen, daß die niemals heftig gegen ihren brutalen Ehemann gewesen sei, und oft Gott auf den Knieen um seine Besserung angefleht habe. Ja sie schloß alle übrigen Menschen, welche wie Brüder und Schwestern sich lieben sollten, in ihr Gebet ein; und erwägt man, daß sie fast nur unsittlichen Personen, von denen sie so viel erduldet hatte, im Leben begegnet war, daß nie Jemand sich ihrer Noth erbarmte, und daß sie oft Wochen lang im tiefsten Jammer mit ihren hungernden Kindern schmachtete, deren Elend ihr noch jetzt das Herz zerreißt, so legt alles dies das stärkste Zeugniß dafür ab, daß ächte Frömmigkeit
ſolche Erleichterung im Kopfe, daß ſie von Gott in ihrem In¬ nern erleuchtet zu ſein glaubte, und ihm dafuͤr innig dankte. Waͤhrend einer anderen Schwangerſchaft litt ſie 3 Monate lang am kalten Fieber, welches endlich von einem Armenarzte ge¬ heilt wurde, nach welchem ſie aber einen ſehr heftigen Anfall von hyſteriſchen Kraͤmpfen bekam. Waͤhrend 9 Stunden konnte ſie nicht ſprechen, nur ſeufzen, der Unterleib war krampfhaft zuſammengezogen, und eine große Beklemmung auf der Bruſt verſetzte ihr faſt den Athem. Ihr frommer Sinn fand auch hierin eine heilſame Pruͤfung, welche Gott ihr auferlegt habe, daher nannte ſie den Krampfanfall eine Reiſe nach dem Oel¬ berge, indem ſie uͤberzeugt war, daß Krankheiten Liebesruthen ſeien, mit denen, ſo wie mit anderen Leiden Gott ſeine Kin¬ der zuͤchtige, um ſie zu heiligen, wofuͤr ſie ihm dankbar ſein muͤßten.
Waͤhrend der vielen Monate, welche die F. unter meiner Aufſicht zubrachte, hat ſich ihr Charakter ſtets im guͤnſtigſten Lichte gezeigt, da ſie niemals ihre Sanftmuth, Ordnungsliebe und emſige Thaͤtigkeit verleugnete, und in ihrer ganzen Er¬ ſcheinung das ruͤhrende Bild einer ſtillen, ergebenen Dulderin darbot, welche durch die Erinnerung an ein unter ſteten Mi߬ handlungen zugebrachtes Leben nie zum bitteren Rachegefuͤhl ge¬ ſtimmt wurde. Ihr Verſtand wird ſich ſchwerlich jemals wieder aus den Schlingen des Wahnſinns befreien koͤnnen, aber ihr Ge¬ muͤth hat eine ſittliche Laͤuterung gewonnen, welche ihr Hoch¬ achtung und Theilnahme zuwenden muß. Eine ſolche Geſin¬ nung wirft daher ein helles Licht auf ihre Vergangenheit, und man darf ihr unbedenklich Glauben beimeſſen, daß die niemals heftig gegen ihren brutalen Ehemann geweſen ſei, und oft Gott auf den Knieen um ſeine Beſſerung angefleht habe. Ja ſie ſchloß alle uͤbrigen Menſchen, welche wie Bruͤder und Schweſtern ſich lieben ſollten, in ihr Gebet ein; und erwaͤgt man, daß ſie faſt nur unſittlichen Perſonen, von denen ſie ſo viel erduldet hatte, im Leben begegnet war, daß nie Jemand ſich ihrer Noth erbarmte, und daß ſie oft Wochen lang im tiefſten Jammer mit ihren hungernden Kindern ſchmachtete, deren Elend ihr noch jetzt das Herz zerreißt, ſo legt alles dies das ſtaͤrkſte Zeugniß dafuͤr ab, daß aͤchte Froͤmmigkeit
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ſolche Erleichterung im Kopfe, daß ſie von Gott in ihrem In¬
nern erleuchtet zu ſein glaubte, und ihm dafuͤr innig dankte.
Waͤhrend einer anderen Schwangerſchaft litt ſie 3 Monate lang
am kalten Fieber, welches endlich von einem Armenarzte ge¬
heilt wurde, nach welchem ſie aber einen ſehr heftigen Anfall
von hyſteriſchen Kraͤmpfen bekam. Waͤhrend 9 Stunden konnte
ſie nicht ſprechen, nur ſeufzen, der Unterleib war krampfhaft
zuſammengezogen, und eine große Beklemmung auf der Bruſt
verſetzte ihr faſt den Athem. Ihr frommer Sinn fand auch
hierin eine heilſame Pruͤfung, welche Gott ihr auferlegt habe,
daher nannte ſie den Krampfanfall eine Reiſe nach dem Oel¬
berge, indem ſie uͤberzeugt war, daß Krankheiten Liebesruthen
ſeien, mit denen, ſo wie mit anderen Leiden Gott ſeine Kin¬
der zuͤchtige, um ſie zu heiligen, wofuͤr ſie ihm dankbar ſein
muͤßten.
Waͤhrend der vielen Monate, welche die F. unter meiner
Aufſicht zubrachte, hat ſich ihr Charakter ſtets im guͤnſtigſten
Lichte gezeigt, da ſie niemals ihre Sanftmuth, Ordnungsliebe
und emſige Thaͤtigkeit verleugnete, und in ihrer ganzen Er¬
ſcheinung das ruͤhrende Bild einer ſtillen, ergebenen Dulderin
darbot, welche durch die Erinnerung an ein unter ſteten Mi߬
handlungen zugebrachtes Leben nie zum bitteren Rachegefuͤhl ge¬
ſtimmt wurde. Ihr Verſtand wird ſich ſchwerlich jemals wieder aus
den Schlingen des Wahnſinns befreien koͤnnen, aber ihr Ge¬
muͤth hat eine ſittliche Laͤuterung gewonnen, welche ihr Hoch¬
achtung und Theilnahme zuwenden muß. Eine ſolche Geſin¬
nung wirft daher ein helles Licht auf ihre Vergangenheit, und
man darf ihr unbedenklich Glauben beimeſſen, daß die niemals
heftig gegen ihren brutalen Ehemann geweſen ſei, und oft
Gott auf den Knieen um ſeine Beſſerung angefleht habe. Ja
ſie ſchloß alle uͤbrigen Menſchen, welche wie Bruͤder und
Schweſtern ſich lieben ſollten, in ihr Gebet ein; und erwaͤgt
man, daß ſie faſt nur unſittlichen Perſonen, von denen ſie ſo
viel erduldet hatte, im Leben begegnet war, daß nie Jemand
ſich ihrer Noth erbarmte, und daß ſie oft Wochen lang im
tiefſten Jammer mit ihren hungernden Kindern ſchmachtete,
deren Elend ihr noch jetzt das Herz zerreißt, ſo legt alles
dies das ſtaͤrkſte Zeugniß dafuͤr ab, daß aͤchte Froͤmmigkeit
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/119>, abgerufen am 26.07.2024.
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