Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.sich selbst mit zwei Kindern spielend und tanzend, und sie war Indem sie nun in allen jenen Träumen göttliche Offen¬ ſich ſelbſt mit zwei Kindern ſpielend und tanzend, und ſie war Indem ſie nun in allen jenen Traͤumen goͤttliche Offen¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="96"/> ſich ſelbſt mit zwei Kindern ſpielend und tanzend, und ſie war<lb/> nun uͤberzeugt, daß dies das Paradies ſei, in welches nur<lb/> wenige Menſchen, welche ſich von dem Verſtorbenen zum rech¬<lb/> ten evangeliſchen Glauben wuͤrden bekehren laſſen, gelangen<lb/> wuͤrden, denn es ſtehe ja in der Schrift, viele ſeien berufen,<lb/> aber wenige auserwaͤhlt. In einem anderen Traume glaubte<lb/> ſie den Verſtorbenen an der Hand im Himmel herumzufuͤhren,<lb/> bei welcher Gelegenheit ſie die Pforte zu einem von blutrothen<lb/> Flammen erfuͤllten unermeßlichen Raum eroͤffnete, welcher ihrer<lb/> Meinung nach die Hoͤlle ſein muͤſſe, in welche alle Diejenigen<lb/> verſtoßen werden wuͤrden, welche ſich durch ſie und den Ver¬<lb/> ſtorbenen nicht bekehren ließen. Was aber am meiſten ihr Er¬<lb/> ſtaunen erregte, war der Contraſt ihrer naͤchtlichen Verſetzung<lb/> in den Himmel, waͤhrend ſie am Tage auf der Erde geſchaͤf¬<lb/> tig ſei. Sie wußte ſich dies nicht anders zu erklaͤren, als daß<lb/> ſie mit zwei Seelen geboren ſei, von welcher die eine im Him¬<lb/> mel wohne, woſelbſt ſie durch die Gnade Gottes den Verſtor¬<lb/> benen wieder zum Leben erweckt habe, waͤhrend die andere<lb/> wiederum nur unter dem Beiſtande Gottes noch auf Erden<lb/> weilen koͤnne, weil ſie außerdem von den vielen erhaltenen<lb/> Schlaͤgen habe ſterben muͤſſen.</p><lb/> <p>Indem ſie nun in allen jenen Traͤumen goͤttliche Offen¬<lb/> barungen, welche als ſolche gewiß in Erfuͤllung gehen wuͤrden,<lb/> ſehen zu muͤſſen glaubte, beſtaͤrkte ſie ſich immer mehr in der<lb/> Vorſtellung ihrer meſſianiſchen Beſtimmung. Denn da ſie ſich<lb/> ſagte, man muͤſſe Gott als dem unſichtbaren Geiſte mehr fol¬<lb/> gen, als der Welt, und daher den rechten Glauben hegen,<lb/> welchen ſo Viele durch die That verleugneten, weil nament¬<lb/> lich ſie, die M., ſo oft von ihnen unchriſtlich gemißhandelt<lb/> worden ſei; ſo hielt ſie die Welt im hoͤchſten Grade fuͤr ver¬<lb/> derbt, und der Beſſerung beduͤrftig. Gott koͤnne dies nun<lb/> nicht laͤnger dulden, ſondern es muͤſſe anders werden, daher<lb/> habe er durch ſie das Wunder der Wiedererweckung des Todten<lb/> vollbracht, damit ſie durch Dulden und fromme Lebensfuͤhrung<lb/> ein Muſter fuͤr die Menſchen werde, welche der Verſtorbene<lb/> auf ihr Vorbild aufmerkſam machen, und ſomit als zweiter<lb/> Luther unter ihnen mit großer Gelahrtheit auftreten ſolle. Aber<lb/> wie ſchmeichelnd auch dieſer Wahn ſie umfing, er war die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [96/0104]
ſich ſelbſt mit zwei Kindern ſpielend und tanzend, und ſie war
nun uͤberzeugt, daß dies das Paradies ſei, in welches nur
wenige Menſchen, welche ſich von dem Verſtorbenen zum rech¬
ten evangeliſchen Glauben wuͤrden bekehren laſſen, gelangen
wuͤrden, denn es ſtehe ja in der Schrift, viele ſeien berufen,
aber wenige auserwaͤhlt. In einem anderen Traume glaubte
ſie den Verſtorbenen an der Hand im Himmel herumzufuͤhren,
bei welcher Gelegenheit ſie die Pforte zu einem von blutrothen
Flammen erfuͤllten unermeßlichen Raum eroͤffnete, welcher ihrer
Meinung nach die Hoͤlle ſein muͤſſe, in welche alle Diejenigen
verſtoßen werden wuͤrden, welche ſich durch ſie und den Ver¬
ſtorbenen nicht bekehren ließen. Was aber am meiſten ihr Er¬
ſtaunen erregte, war der Contraſt ihrer naͤchtlichen Verſetzung
in den Himmel, waͤhrend ſie am Tage auf der Erde geſchaͤf¬
tig ſei. Sie wußte ſich dies nicht anders zu erklaͤren, als daß
ſie mit zwei Seelen geboren ſei, von welcher die eine im Him¬
mel wohne, woſelbſt ſie durch die Gnade Gottes den Verſtor¬
benen wieder zum Leben erweckt habe, waͤhrend die andere
wiederum nur unter dem Beiſtande Gottes noch auf Erden
weilen koͤnne, weil ſie außerdem von den vielen erhaltenen
Schlaͤgen habe ſterben muͤſſen.
Indem ſie nun in allen jenen Traͤumen goͤttliche Offen¬
barungen, welche als ſolche gewiß in Erfuͤllung gehen wuͤrden,
ſehen zu muͤſſen glaubte, beſtaͤrkte ſie ſich immer mehr in der
Vorſtellung ihrer meſſianiſchen Beſtimmung. Denn da ſie ſich
ſagte, man muͤſſe Gott als dem unſichtbaren Geiſte mehr fol¬
gen, als der Welt, und daher den rechten Glauben hegen,
welchen ſo Viele durch die That verleugneten, weil nament¬
lich ſie, die M., ſo oft von ihnen unchriſtlich gemißhandelt
worden ſei; ſo hielt ſie die Welt im hoͤchſten Grade fuͤr ver¬
derbt, und der Beſſerung beduͤrftig. Gott koͤnne dies nun
nicht laͤnger dulden, ſondern es muͤſſe anders werden, daher
habe er durch ſie das Wunder der Wiedererweckung des Todten
vollbracht, damit ſie durch Dulden und fromme Lebensfuͤhrung
ein Muſter fuͤr die Menſchen werde, welche der Verſtorbene
auf ihr Vorbild aufmerkſam machen, und ſomit als zweiter
Luther unter ihnen mit großer Gelahrtheit auftreten ſolle. Aber
wie ſchmeichelnd auch dieſer Wahn ſie umfing, er war die
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