Ichenhaeuser, Eliza: Die politische Gleichberechtigung der Frau. Berlin, 1898.Die politische Gleichberechtigung der Frau. kein Reichsgesetz kann ohne den Mehrheitsbeschluss desReichstages erlassen werden. Das ist der Kernpunkt des Wahlrechts, denn, haben die Vertreter, die im Sinne des allgemeinen Stimmrechts den Volkswillen zum Ausdruck bringen (während freilich die Wahlsysteme mit Census die Stimmen compacter Massen unterdrücken), eine Re- gierungsvorlage verworfen, so haben sie sich im Gegen- satz zur stumpfen, ohnmächtigen Unterwerfung früherer Jahrhunderte die Freiheit bewahrt, oder sie haben Ge- setzen, die aus eigener oder fremder Initiative hervor- gegangen sind, ihre allein ausschlaggebende Zustimmung ertheilt, so haben sie den Willen der Volksmehrheit bethätigt und sein Schicksal schafft sich ein Volk selbst. Neben diesem Cardinalpunkt der Thätigkeit der Die politische Gleichberechtigung der Frau. kein Reichsgesetz kann ohne den Mehrheitsbeschluss desReichstages erlassen werden. Das ist der Kernpunkt des Wahlrechts, denn, haben die Vertreter, die im Sinne des allgemeinen Stimmrechts den Volkswillen zum Ausdruck bringen (während freilich die Wahlsysteme mit Census die Stimmen compacter Massen unterdrücken), eine Re- gierungsvorlage verworfen, so haben sie sich im Gegen- satz zur stumpfen, ohnmächtigen Unterwerfung früherer Jahrhunderte die Freiheit bewahrt, oder sie haben Ge- setzen, die aus eigener oder fremder Initiative hervor- gegangen sind, ihre allein ausschlaggebende Zustimmung ertheilt, so haben sie den Willen der Volksmehrheit bethätigt und sein Schicksal schafft sich ein Volk selbst. Neben diesem Cardinalpunkt der Thätigkeit der <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0090" n="77"/><fw place="top" type="header">Die politische Gleichberechtigung der Frau.</fw><lb/> kein Reichsgesetz kann ohne den Mehrheitsbeschluss des<lb/> Reichstages erlassen werden. Das ist der Kernpunkt des<lb/> Wahlrechts, denn, haben die Vertreter, die im Sinne des<lb/> allgemeinen Stimmrechts den Volkswillen zum Ausdruck<lb/> bringen (während freilich die Wahlsysteme mit Census<lb/> die Stimmen compacter Massen unterdrücken), eine Re-<lb/> gierungsvorlage verworfen, so haben sie sich im Gegen-<lb/> satz zur stumpfen, ohnmächtigen Unterwerfung früherer<lb/> Jahrhunderte die Freiheit bewahrt, oder sie haben Ge-<lb/> setzen, die aus eigener oder fremder Initiative hervor-<lb/> gegangen sind, ihre allein ausschlaggebende Zustimmung<lb/> ertheilt, so haben sie den Willen der Volksmehrheit<lb/> bethätigt und sein Schicksal schafft sich ein Volk selbst.</p><lb/> <p>Neben diesem Cardinalpunkt der Thätigkeit der<lb/> Volksvertretung betheiligt sie sich ferner bei der Aus-<lb/> übung zahlreicher Verwaltungshandlungen. Hierzu ge-<lb/> hören die Feststellung des Haushalts, die Genehmigung<lb/> zum Verkauf von Staatsgut, die Aufnahme von Geld-<lb/> anleihen, Uebernahme von Garantien, Subventionen, Ge-<lb/> nehmigung von Staatsverträgen und unter gewissen<lb/> Verhältnissen völkerrechtlichen Verträgen. Die Volks-<lb/> vertretung hat das Recht der Controlle über die Ver-<lb/> waltung, dann das Adressen-, Interpellations-, Beschwerde-<lb/> und Petitionsrecht und schliesslich steht speciell dem<lb/> Reichstag das Recht zu, innerhalb der Competenz des<lb/> Reiches Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete<lb/> Petitionen dem Bundesrath, sesp. dem Reichskanzler zu<lb/> überweisen.</p><lb/> </body> </text> </TEI> [77/0090]
Die politische Gleichberechtigung der Frau.
kein Reichsgesetz kann ohne den Mehrheitsbeschluss des
Reichstages erlassen werden. Das ist der Kernpunkt des
Wahlrechts, denn, haben die Vertreter, die im Sinne des
allgemeinen Stimmrechts den Volkswillen zum Ausdruck
bringen (während freilich die Wahlsysteme mit Census
die Stimmen compacter Massen unterdrücken), eine Re-
gierungsvorlage verworfen, so haben sie sich im Gegen-
satz zur stumpfen, ohnmächtigen Unterwerfung früherer
Jahrhunderte die Freiheit bewahrt, oder sie haben Ge-
setzen, die aus eigener oder fremder Initiative hervor-
gegangen sind, ihre allein ausschlaggebende Zustimmung
ertheilt, so haben sie den Willen der Volksmehrheit
bethätigt und sein Schicksal schafft sich ein Volk selbst.
Neben diesem Cardinalpunkt der Thätigkeit der
Volksvertretung betheiligt sie sich ferner bei der Aus-
übung zahlreicher Verwaltungshandlungen. Hierzu ge-
hören die Feststellung des Haushalts, die Genehmigung
zum Verkauf von Staatsgut, die Aufnahme von Geld-
anleihen, Uebernahme von Garantien, Subventionen, Ge-
nehmigung von Staatsverträgen und unter gewissen
Verhältnissen völkerrechtlichen Verträgen. Die Volks-
vertretung hat das Recht der Controlle über die Ver-
waltung, dann das Adressen-, Interpellations-, Beschwerde-
und Petitionsrecht und schliesslich steht speciell dem
Reichstag das Recht zu, innerhalb der Competenz des
Reiches Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete
Petitionen dem Bundesrath, sesp. dem Reichskanzler zu
überweisen.
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Zitationshilfe: | Ichenhaeuser, Eliza: Die politische Gleichberechtigung der Frau. Berlin, 1898, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_gleichberechtigung_1898/90>, abgerufen am 16.02.2025. |