Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

herumschleppen, oder ihr Herzblut, ihre Kinder in-
folge der schlechten Lebensbedingungen, unter
denen sie das Licht der Welt erblickten, zugrunde
gehen sehen, so sind die armen unehelichen Mütter
noch schlimmer daran. Und wenn sie den höheren
Klassen angehören, beispielsweise Beamtin, Leh-
rerin, Erzieherin oder Haustochter sind, dann ge-
sellt sich zur physischen Not noch die sittliche. So-
zial deklassiert, von Angehörigen und Brotgebern
verstoßen, von einer großen Anzahl von Anstalten,
die nur ehelichen Müttern offen sind, und anderen,
die nur den "erstmaligen Fall" verzeihen, zurück-
gewiesen, wissen sie oft nicht, wo sie ihr verzweifel-
tes Haupt niederlegen, wo sie ihrem unglücklichen
Kinde das Leben schenken sollen, das im wahrsten
Sinne des Wortes ein Danaergeschenk ist.

Jst es nicht beschämend für unseren Kultur-
zustand, daß, wie Dr. Ottomar Spann festgestellt
hat, bei den unehelichen Kindern die Rasse eine
bessere, die sozialen Verhältnisse aber soviel schlech-
ter sind, daß sie in fast doppelt so großer Zahl
sterben wie die ehelichen?

Unsere wirtschaftliche Entwicklung, die die
Frau in so großer Zahl in die Erwerbsarbeit hin-
eingeführt hat, hat die Notwendigkeit eines
Mutterschutzes am sinnfälligsten vor Augen geführt.
Es mußten auch die Blinden sehend werden, bei
einer so großen Not, wie sie die bis zum letzten

13 Jchenhaeuser, Frauenziele.

herumschleppen, oder ihr Herzblut, ihre Kinder in-
folge der schlechten Lebensbedingungen, unter
denen sie das Licht der Welt erblickten, zugrunde
gehen sehen, so sind die armen unehelichen Mütter
noch schlimmer daran. Und wenn sie den höheren
Klassen angehören, beispielsweise Beamtin, Leh-
rerin, Erzieherin oder Haustochter sind, dann ge-
sellt sich zur physischen Not noch die sittliche. So-
zial deklassiert, von Angehörigen und Brotgebern
verstoßen, von einer großen Anzahl von Anstalten,
die nur ehelichen Müttern offen sind, und anderen,
die nur den „erstmaligen Fall“ verzeihen, zurück-
gewiesen, wissen sie oft nicht, wo sie ihr verzweifel-
tes Haupt niederlegen, wo sie ihrem unglücklichen
Kinde das Leben schenken sollen, das im wahrsten
Sinne des Wortes ein Danaergeschenk ist.

Jst es nicht beschämend für unseren Kultur-
zustand, daß, wie Dr. Ottomar Spann festgestellt
hat, bei den unehelichen Kindern die Rasse eine
bessere, die sozialen Verhältnisse aber soviel schlech-
ter sind, daß sie in fast doppelt so großer Zahl
sterben wie die ehelichen?

Unsere wirtschaftliche Entwicklung, die die
Frau in so großer Zahl in die Erwerbsarbeit hin-
eingeführt hat, hat die Notwendigkeit eines
Mutterschutzes am sinnfälligsten vor Augen geführt.
Es mußten auch die Blinden sehend werden, bei
einer so großen Not, wie sie die bis zum letzten

13 Jchenhaeuser, Frauenziele.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="193"/>
herumschleppen, oder ihr Herzblut, ihre Kinder in-<lb/>
folge der schlechten Lebensbedingungen, unter<lb/>
denen sie das Licht der Welt erblickten, zugrunde<lb/>
gehen sehen, so sind die armen unehelichen Mütter<lb/>
noch schlimmer daran. Und wenn sie den höheren<lb/>
Klassen angehören, beispielsweise Beamtin, Leh-<lb/>
rerin, Erzieherin oder Haustochter sind, dann ge-<lb/>
sellt sich zur physischen Not noch die sittliche. So-<lb/>
zial deklassiert, von Angehörigen und Brotgebern<lb/>
verstoßen, von einer großen Anzahl von Anstalten,<lb/>
die nur ehelichen Müttern offen sind, und anderen,<lb/>
die nur den &#x201E;erstmaligen Fall&#x201C; verzeihen, zurück-<lb/>
gewiesen, wissen sie oft nicht, wo sie ihr verzweifel-<lb/>
tes Haupt niederlegen, wo sie ihrem unglücklichen<lb/>
Kinde das Leben schenken sollen, das im wahrsten<lb/>
Sinne des Wortes ein Danaergeschenk ist.</p><lb/>
          <p>Jst es nicht beschämend für unseren Kultur-<lb/>
zustand, daß, wie <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Ottomar Spann festgestellt<lb/>
hat, bei den unehelichen Kindern die Rasse eine<lb/>
bessere, die sozialen Verhältnisse aber soviel schlech-<lb/>
ter sind, daß sie in fast doppelt so großer Zahl<lb/>
sterben wie die ehelichen?</p><lb/>
          <p>Unsere wirtschaftliche Entwicklung, die die<lb/>
Frau in so großer Zahl in die Erwerbsarbeit hin-<lb/>
eingeführt hat, hat die Notwendigkeit eines<lb/>
Mutterschutzes am sinnfälligsten vor Augen geführt.<lb/>
Es mußten auch die Blinden sehend werden, bei<lb/>
einer so großen Not, wie sie die bis zum letzten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13 Jchenhaeuser, Frauenziele.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0197] herumschleppen, oder ihr Herzblut, ihre Kinder in- folge der schlechten Lebensbedingungen, unter denen sie das Licht der Welt erblickten, zugrunde gehen sehen, so sind die armen unehelichen Mütter noch schlimmer daran. Und wenn sie den höheren Klassen angehören, beispielsweise Beamtin, Leh- rerin, Erzieherin oder Haustochter sind, dann ge- sellt sich zur physischen Not noch die sittliche. So- zial deklassiert, von Angehörigen und Brotgebern verstoßen, von einer großen Anzahl von Anstalten, die nur ehelichen Müttern offen sind, und anderen, die nur den „erstmaligen Fall“ verzeihen, zurück- gewiesen, wissen sie oft nicht, wo sie ihr verzweifel- tes Haupt niederlegen, wo sie ihrem unglücklichen Kinde das Leben schenken sollen, das im wahrsten Sinne des Wortes ein Danaergeschenk ist. Jst es nicht beschämend für unseren Kultur- zustand, daß, wie Dr. Ottomar Spann festgestellt hat, bei den unehelichen Kindern die Rasse eine bessere, die sozialen Verhältnisse aber soviel schlech- ter sind, daß sie in fast doppelt so großer Zahl sterben wie die ehelichen? Unsere wirtschaftliche Entwicklung, die die Frau in so großer Zahl in die Erwerbsarbeit hin- eingeführt hat, hat die Notwendigkeit eines Mutterschutzes am sinnfälligsten vor Augen geführt. Es mußten auch die Blinden sehend werden, bei einer so großen Not, wie sie die bis zum letzten 13 Jchenhaeuser, Frauenziele.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-12-07T10:34:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/197
Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/197>, abgerufen am 22.11.2024.