Aber, beßter Herr Kandidat! sprach er einst, seinem Gesellschafter liebevoll die Hand reichend, wir müssen nicht bloß thun, was das Lämmlein ge- than, wir müssen auch Alles lassen, was das Lämmlein unterlassen hat, um nicht aus der Gnade zu fallen, und den Kindern der Welt, die da klüger sind, als Kinder des Lichts, ähnlich zu werden. Darum müssen wir ringen und kämpfen mit Fleisch und Blut, und allen unsern Lüsten, Neigungen und Begierden entsagen. Dem Lämm- lein, dem Lämmlein, liebster Freund in Christo, wollen wir suchen in jeder Hinsicht, in Thun und Lassen ganz gleich zu seyn.
Gerührt und mit Thränen umarmten sich die frommen Erweckten auf das Zärtlichste; und ver- sprachen sich gegenseitig, ihren Lebenslauf strenge zu prüfen, und von heute an Alles zu thun, was Christus gethan, und alles zu unterlassen, was er unterlassen hätte. Das neue Testament und ein ganzes Buch Papier wurden zur Hand genommen. Man fand jedoch bald, daß man gar wenig von dem thun konnte, was der Erlöser gethan. Man konnte keine Todten erwecken, keine Blinden sehend, keine Lahmen gehend, keine Tauben hörend, keine Stummen redend machen; und selbst nicht einmal Teufel austreiben konnte und durfte man, da die hohe Regierung so eben durch ein sehr langes und breites Edikt den Teufel, zum Leidwesen der
Aber, beßter Herr Kandidat! ſprach er einſt, ſeinem Geſellſchafter liebevoll die Hand reichend, wir muͤſſen nicht bloß thun, was das Laͤmmlein ge- than, wir muͤſſen auch Alles laſſen, was das Laͤmmlein unterlaſſen hat, um nicht aus der Gnade zu fallen, und den Kindern der Welt, die da kluͤger ſind, als Kinder des Lichts, aͤhnlich zu werden. Darum muͤſſen wir ringen und kaͤmpfen mit Fleiſch und Blut, und allen unſern Luͤſten, Neigungen und Begierden entſagen. Dem Laͤmm- lein, dem Laͤmmlein, liebſter Freund in Chriſto, wollen wir ſuchen in jeder Hinſicht, in Thun und Laſſen ganz gleich zu ſeyn.
Geruͤhrt und mit Thraͤnen umarmten ſich die frommen Erweckten auf das Zaͤrtlichſte; und ver- ſprachen ſich gegenſeitig, ihren Lebenslauf ſtrenge zu pruͤfen, und von heute an Alles zu thun, was Chriſtus gethan, und alles zu unterlaſſen, was er unterlaſſen haͤtte. Das neue Teſtament und ein ganzes Buch Papier wurden zur Hand genommen. Man fand jedoch bald, daß man gar wenig von dem thun konnte, was der Erloͤſer gethan. Man konnte keine Todten erwecken, keine Blinden ſehend, keine Lahmen gehend, keine Tauben hoͤrend, keine Stummen redend machen; und ſelbſt nicht einmal Teufel austreiben konnte und durfte man, da die hohe Regierung ſo eben durch ein ſehr langes und breites Edikt den Teufel, zum Leidweſen der
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Aber, beßter Herr Kandidat! ſprach er einſt,
ſeinem Geſellſchafter liebevoll die Hand reichend, wir
muͤſſen nicht bloß thun, was das Laͤmmlein ge-
than, wir muͤſſen auch Alles laſſen, was das
Laͤmmlein unterlaſſen hat, um nicht aus der
Gnade zu fallen, und den Kindern der Welt, die
da kluͤger ſind, als Kinder des Lichts, aͤhnlich zu
werden. Darum muͤſſen wir ringen und kaͤmpfen
mit Fleiſch und Blut, und allen unſern Luͤſten,
Neigungen und Begierden entſagen. Dem Laͤmm-
lein, dem Laͤmmlein, liebſter Freund in Chriſto,
wollen wir ſuchen in jeder Hinſicht, in Thun und
Laſſen ganz gleich zu ſeyn.
Geruͤhrt und mit Thraͤnen umarmten ſich die
frommen Erweckten auf das Zaͤrtlichſte; und ver-
ſprachen ſich gegenſeitig, ihren Lebenslauf ſtrenge
zu pruͤfen, und von heute an Alles zu thun, was
Chriſtus gethan, und alles zu unterlaſſen, was er
unterlaſſen haͤtte. Das neue Teſtament und ein
ganzes Buch Papier wurden zur Hand genommen.
Man fand jedoch bald, daß man gar wenig von
dem thun konnte, was der Erloͤſer gethan. Man
konnte keine Todten erwecken, keine Blinden ſehend,
keine Lahmen gehend, keine Tauben hoͤrend, keine
Stummen redend machen; und ſelbſt nicht einmal
Teufel austreiben konnte und durfte man, da die
hohe Regierung ſo eben durch ein ſehr langes
und breites Edikt den Teufel, zum Leidweſen der
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/248>, abgerufen am 22.11.2024.
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