daß wir Alle Kinder Eines großen gütigen Vaters sind, wie sehr weicht es jetzt nicht ab von den Lie- besmahlen der ersten Bekenner des Heilandes? Nie war es dem erhabenen Stifter des Christen- thums in den Sinn gekommen, einen besondern Priesterstand unter seinen Bekennern einzuführen. Jn jenen ersten Zeiten der Christen war Jeder, der Fähigkeit und Neigung hatte, befugt, in ihren gottesdienstlichen Versammlungen zu lehren, ohne daß ihm Einkünfte und Ehrenvorzüge dafür zu Theil wurden. Erst späterhin übertrug man jene Befug- niß, womit man eine Art von Richteramt und geist- licher Oberherrschaft verband, ausschließlich bestimm- ten Personen, welche nachmals ihr Ansehen und ihre Vorrechte immer mehr zu erweitern suchten, und deshalb eine Menge kirchlicher Gebräuche und Glaubenslehren erfanden, von denen unser göttli- cher Erlöser nie etwas gesagt hatte. So ward das reine Christenthum durch den Ehrgeiz, die Herrschsucht und die Geldgier derjenigen erstickt, die mehr, als alle übrigen verpflichtet gewesen wä- ren, es in seiner Urschöne zu erhalten, und der Nachwelt zu überliefern. Die Geistlichkeit der Chri- sten ist also keinesweges, wie manche weiße Leviten uns so gerne bereden möchten, göttlichen Ursprungs; sie ist nicht von dem erhabenen Stifter des Christen- thums angeordnet, sondern verdankt, wie alle an- dern bevorzügten Klassen, ihre Entstehung einer
daß wir Alle Kinder Eines großen guͤtigen Vaters ſind, wie ſehr weicht es jetzt nicht ab von den Lie- besmahlen der erſten Bekenner des Heilandes? Nie war es dem erhabenen Stifter des Chriſten- thums in den Sinn gekommen, einen beſondern Prieſterſtand unter ſeinen Bekennern einzufuͤhren. Jn jenen erſten Zeiten der Chriſten war Jeder, der Faͤhigkeit und Neigung hatte, befugt, in ihren gottesdienſtlichen Verſammlungen zu lehren, ohne daß ihm Einkuͤnfte und Ehrenvorzuͤge dafuͤr zu Theil wurden. Erſt ſpaͤterhin uͤbertrug man jene Befug- niß, womit man eine Art von Richteramt und geiſt- licher Oberherrſchaft verband, ausſchließlich beſtimm- ten Perſonen, welche nachmals ihr Anſehen und ihre Vorrechte immer mehr zu erweitern ſuchten, und deshalb eine Menge kirchlicher Gebraͤuche und Glaubenslehren erfanden, von denen unſer goͤttli- cher Erloͤſer nie etwas geſagt hatte. So ward das reine Chriſtenthum durch den Ehrgeiz, die Herrſchſucht und die Geldgier derjenigen erſtickt, die mehr, als alle uͤbrigen verpflichtet geweſen waͤ- ren, es in ſeiner Urſchoͤne zu erhalten, und der Nachwelt zu uͤberliefern. Die Geiſtlichkeit der Chri- ſten iſt alſo keinesweges, wie manche weiße Leviten uns ſo gerne bereden moͤchten, goͤttlichen Urſprungs; ſie iſt nicht von dem erhabenen Stifter des Chriſten- thums angeordnet, ſondern verdankt, wie alle an- dern bevorzuͤgten Klaſſen, ihre Entſtehung einer
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0237"n="237"/>
daß wir Alle Kinder Eines großen guͤtigen Vaters<lb/>ſind, wie ſehr weicht es jetzt nicht ab von den Lie-<lb/>
besmahlen der erſten Bekenner des Heilandes?<lb/>
Nie war es dem erhabenen Stifter des Chriſten-<lb/>
thums in den Sinn gekommen, einen beſondern<lb/>
Prieſterſtand unter ſeinen Bekennern einzufuͤhren.<lb/>
Jn jenen erſten Zeiten der Chriſten war Jeder, der<lb/>
Faͤhigkeit und Neigung hatte, befugt, in ihren<lb/>
gottesdienſtlichen Verſammlungen zu lehren, ohne<lb/>
daß ihm Einkuͤnfte und Ehrenvorzuͤge dafuͤr zu Theil<lb/>
wurden. Erſt ſpaͤterhin uͤbertrug man jene Befug-<lb/>
niß, womit man eine Art von Richteramt und geiſt-<lb/>
licher Oberherrſchaft verband, ausſchließlich beſtimm-<lb/>
ten Perſonen, welche nachmals ihr Anſehen und<lb/>
ihre Vorrechte immer mehr zu erweitern ſuchten,<lb/>
und deshalb eine Menge kirchlicher Gebraͤuche und<lb/>
Glaubenslehren erfanden, von denen unſer goͤttli-<lb/>
cher Erloͤſer nie etwas geſagt hatte. So ward<lb/>
das reine Chriſtenthum durch den Ehrgeiz, die<lb/>
Herrſchſucht und die Geldgier derjenigen erſtickt,<lb/>
die mehr, als alle uͤbrigen verpflichtet geweſen waͤ-<lb/>
ren, es in ſeiner Urſchoͤne zu erhalten, und der<lb/>
Nachwelt zu uͤberliefern. Die Geiſtlichkeit der Chri-<lb/>ſten iſt alſo keinesweges, wie manche weiße Leviten<lb/>
uns ſo gerne bereden moͤchten, goͤttlichen Urſprungs;<lb/>ſie iſt nicht von dem erhabenen Stifter des Chriſten-<lb/>
thums angeordnet, ſondern verdankt, wie alle an-<lb/>
dern bevorzuͤgten Klaſſen, ihre Entſtehung einer<lb/></p></div></body></text></TEI>
[237/0237]
daß wir Alle Kinder Eines großen guͤtigen Vaters
ſind, wie ſehr weicht es jetzt nicht ab von den Lie-
besmahlen der erſten Bekenner des Heilandes?
Nie war es dem erhabenen Stifter des Chriſten-
thums in den Sinn gekommen, einen beſondern
Prieſterſtand unter ſeinen Bekennern einzufuͤhren.
Jn jenen erſten Zeiten der Chriſten war Jeder, der
Faͤhigkeit und Neigung hatte, befugt, in ihren
gottesdienſtlichen Verſammlungen zu lehren, ohne
daß ihm Einkuͤnfte und Ehrenvorzuͤge dafuͤr zu Theil
wurden. Erſt ſpaͤterhin uͤbertrug man jene Befug-
niß, womit man eine Art von Richteramt und geiſt-
licher Oberherrſchaft verband, ausſchließlich beſtimm-
ten Perſonen, welche nachmals ihr Anſehen und
ihre Vorrechte immer mehr zu erweitern ſuchten,
und deshalb eine Menge kirchlicher Gebraͤuche und
Glaubenslehren erfanden, von denen unſer goͤttli-
cher Erloͤſer nie etwas geſagt hatte. So ward
das reine Chriſtenthum durch den Ehrgeiz, die
Herrſchſucht und die Geldgier derjenigen erſtickt,
die mehr, als alle uͤbrigen verpflichtet geweſen waͤ-
ren, es in ſeiner Urſchoͤne zu erhalten, und der
Nachwelt zu uͤberliefern. Die Geiſtlichkeit der Chri-
ſten iſt alſo keinesweges, wie manche weiße Leviten
uns ſo gerne bereden moͤchten, goͤttlichen Urſprungs;
ſie iſt nicht von dem erhabenen Stifter des Chriſten-
thums angeordnet, ſondern verdankt, wie alle an-
dern bevorzuͤgten Klaſſen, ihre Entſtehung einer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/237>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.