keinem Messias, der schon gekommen ist, von kei- ner Taufe und keinem Abendmahle etwas wissen will. Begriff man aber unter irreligiösen Schriften solche Werke, welche die Untersuchung einzelner oder aller Lehrsätze der, in einem Staat herrschenden Re- ligionsparthei zum Gegenstande hatten, so handelt man wahrlich noch unsinniger, und ungerechter, denn dergleichen öffentlichen Prüfungen allein ver- dankt man ja alle die Vertheidigungen, welche die Theologen der verschiedenen Konfessionen für die Wahrheit und Göttlichkeit ihres Kirchensystems ge- liefert haben. Eine Glaubenslehre, die durch eini- ge Zweifel und ein paar Dutzend witziger Einfälle kann umgestoßen werden, taugt wahrlich nicht viel und daher war es in der That sehr jüdisch, die Welt mit theologischen Censureinrichtungen zu belä- stigen. Religion und was damit verwandt ist, ge- hört zu den wichtigsten Angelegenheiten des Men- schengeschlechts; und jeder muß befugt seyn, seine Zweifel und Ansichten frei und öffentlich vorzutra- gen, damit er und andere durch die Widerlegungen einsichtsvoller Gegner belehrt und auf den richtigen Weg gebracht werden können. Freret, Voltaire und Lessing haben wahrlich mehr Nutzen für das Reich Gottes gestiftet, als ganze Schwadronen Postillen- reiter; wäre kein Lessing gewesen, so würden wir nie die herrlichen Vertheidigungsschriften eines Mel-
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keinem Meſſias, der ſchon gekommen iſt, von kei- ner Taufe und keinem Abendmahle etwas wiſſen will. Begriff man aber unter irreligioͤſen Schriften ſolche Werke, welche die Unterſuchung einzelner oder aller Lehrſaͤtze der, in einem Staat herrſchenden Re- ligionsparthei zum Gegenſtande hatten, ſo handelt man wahrlich noch unſinniger, und ungerechter, denn dergleichen oͤffentlichen Pruͤfungen allein ver- dankt man ja alle die Vertheidigungen, welche die Theologen der verſchiedenen Konfeſſionen fuͤr die Wahrheit und Goͤttlichkeit ihres Kirchenſyſtems ge- liefert haben. Eine Glaubenslehre, die durch eini- ge Zweifel und ein paar Dutzend witziger Einfaͤlle kann umgeſtoßen werden, taugt wahrlich nicht viel und daher war es in der That ſehr juͤdiſch, die Welt mit theologiſchen Cenſureinrichtungen zu belaͤ- ſtigen. Religion und was damit verwandt iſt, ge- hoͤrt zu den wichtigſten Angelegenheiten des Men- ſchengeſchlechts; und jeder muß befugt ſeyn, ſeine Zweifel und Anſichten frei und oͤffentlich vorzutra- gen, damit er und andere durch die Widerlegungen einſichtsvoller Gegner belehrt und auf den richtigen Weg gebracht werden koͤnnen. Freret, Voltaire und Leſſing haben wahrlich mehr Nutzen fuͤr das Reich Gottes geſtiftet, als ganze Schwadronen Poſtillen- reiter; waͤre kein Leſſing geweſen, ſo wuͤrden wir nie die herrlichen Vertheidigungsſchriften eines Mel-
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[211/0211]
keinem Meſſias, der ſchon gekommen iſt, von kei-
ner Taufe und keinem Abendmahle etwas wiſſen
will. Begriff man aber unter irreligioͤſen Schriften
ſolche Werke, welche die Unterſuchung einzelner oder
aller Lehrſaͤtze der, in einem Staat herrſchenden Re-
ligionsparthei zum Gegenſtande hatten, ſo handelt
man wahrlich noch unſinniger, und ungerechter,
denn dergleichen oͤffentlichen Pruͤfungen allein ver-
dankt man ja alle die Vertheidigungen, welche die
Theologen der verſchiedenen Konfeſſionen fuͤr die
Wahrheit und Goͤttlichkeit ihres Kirchenſyſtems ge-
liefert haben. Eine Glaubenslehre, die durch eini-
ge Zweifel und ein paar Dutzend witziger Einfaͤlle
kann umgeſtoßen werden, taugt wahrlich nicht viel
und daher war es in der That ſehr juͤdiſch, die
Welt mit theologiſchen Cenſureinrichtungen zu belaͤ-
ſtigen. Religion und was damit verwandt iſt, ge-
hoͤrt zu den wichtigſten Angelegenheiten des Men-
ſchengeſchlechts; und jeder muß befugt ſeyn, ſeine
Zweifel und Anſichten frei und oͤffentlich vorzutra-
gen, damit er und andere durch die Widerlegungen
einſichtsvoller Gegner belehrt und auf den richtigen
Weg gebracht werden koͤnnen. Freret, Voltaire und
Leſſing haben wahrlich mehr Nutzen fuͤr das Reich
Gottes geſtiftet, als ganze Schwadronen Poſtillen-
reiter; waͤre kein Leſſing geweſen, ſo wuͤrden wir
nie die herrlichen Vertheidigungsſchriften eines Mel-
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/211>, abgerufen am 23.12.2024.
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