Blumen wohl Gift, aber keinen Honig zu saugen versteht. Der strenge Herrnhuther wird in Wielands, in Thümmels, in Schillers, in Göthes, ja selbst in Gellerts Schriften viel -- seiner Ansicht nach -- Unsittliches finden, und wie groß ist dennoch die Zahl geist- und einsichtsvoller Eltern, die ihren jungen Töchtern alle, oder doch die meisten dieser Werke ohne Bedenken zu lesen geben! Wer nur reines Herzens ist, wird so leicht durch kein Buch, und wäre es wirklich etwas schlüpfrig, verführt werden. Vor etwa zwanzig Jahren thaten die mei- sten weißen Rabbiner alle schöne Mädchenbusen, die damals ziemlich offen getragen wurden, förm- lich in den Bann, so angenehm auch manchen von ihnen dergleichen Kleinigkeiten hinter der Gardine seyn mochten; und doch gab es viele sehr gesittete und tugendhafte Frauen und Jungfrauen, die sich nach der damaligen Mode kleideten, ohne etwas Un- schickliches dabei zu ahnen. Eben so verschieden sind die Ansichten in Betreff der Bücher; was in den Augen des einen Censors sehr unanständig seyn kann, ist in den Augen des andern gerade das Ge- gentheil. Jch selbst habe diese Erfahrung mehr als einmal gemacht, und in der That war in den mei- sten derjenigen Staaten, wo man die Censur bei- behielt, um angeblich die Verbreitung unsittlicher Schriften zu hindern, dieser Grund nur ein jüdi- scher, pfäffischer Vorwand, um das alte, liebe
III. Bändchen. 18
Blumen wohl Gift, aber keinen Honig zu ſaugen verſteht. Der ſtrenge Herrnhuther wird in Wielands, in Thuͤmmels, in Schillers, in Goͤthes, ja ſelbſt in Gellerts Schriften viel — ſeiner Anſicht nach — Unſittliches finden, und wie groß iſt dennoch die Zahl geiſt- und einſichtsvoller Eltern, die ihren jungen Toͤchtern alle, oder doch die meiſten dieſer Werke ohne Bedenken zu leſen geben! Wer nur reines Herzens iſt, wird ſo leicht durch kein Buch, und waͤre es wirklich etwas ſchluͤpfrig, verfuͤhrt werden. Vor etwa zwanzig Jahren thaten die mei- ſten weißen Rabbiner alle ſchoͤne Maͤdchenbuſen, die damals ziemlich offen getragen wurden, foͤrm- lich in den Bann, ſo angenehm auch manchen von ihnen dergleichen Kleinigkeiten hinter der Gardine ſeyn mochten; und doch gab es viele ſehr geſittete und tugendhafte Frauen und Jungfrauen, die ſich nach der damaligen Mode kleideten, ohne etwas Un- ſchickliches dabei zu ahnen. Eben ſo verſchieden ſind die Anſichten in Betreff der Buͤcher; was in den Augen des einen Cenſors ſehr unanſtaͤndig ſeyn kann, iſt in den Augen des andern gerade das Ge- gentheil. Jch ſelbſt habe dieſe Erfahrung mehr als einmal gemacht, und in der That war in den mei- ſten derjenigen Staaten, wo man die Cenſur bei- behielt, um angeblich die Verbreitung unſittlicher Schriften zu hindern, dieſer Grund nur ein juͤdi- ſcher, pfaͤffiſcher Vorwand, um das alte, liebe
III. Baͤndchen. 18
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Blumen wohl Gift, aber keinen Honig zu ſaugen
verſteht. Der ſtrenge Herrnhuther wird in Wielands,
in Thuͤmmels, in Schillers, in Goͤthes, ja ſelbſt in
Gellerts Schriften viel — ſeiner Anſicht nach —
Unſittliches finden, und wie groß iſt dennoch die
Zahl geiſt- und einſichtsvoller Eltern, die ihren
jungen Toͤchtern alle, oder doch die meiſten dieſer
Werke ohne Bedenken zu leſen geben! Wer nur
reines Herzens iſt, wird ſo leicht durch kein Buch,
und waͤre es wirklich etwas ſchluͤpfrig, verfuͤhrt
werden. Vor etwa zwanzig Jahren thaten die mei-
ſten weißen Rabbiner alle ſchoͤne Maͤdchenbuſen,
die damals ziemlich offen getragen wurden, foͤrm-
lich in den Bann, ſo angenehm auch manchen von
ihnen dergleichen Kleinigkeiten hinter der Gardine
ſeyn mochten; und doch gab es viele ſehr geſittete und
tugendhafte Frauen und Jungfrauen, die ſich nach
der damaligen Mode kleideten, ohne etwas Un-
ſchickliches dabei zu ahnen. Eben ſo verſchieden
ſind die Anſichten in Betreff der Buͤcher; was in
den Augen des einen Cenſors ſehr unanſtaͤndig ſeyn
kann, iſt in den Augen des andern gerade das Ge-
gentheil. Jch ſelbſt habe dieſe Erfahrung mehr als
einmal gemacht, und in der That war in den mei-
ſten derjenigen Staaten, wo man die Cenſur bei-
behielt, um angeblich die Verbreitung unſittlicher
Schriften zu hindern, dieſer Grund nur ein juͤdi-
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III. Baͤndchen. 18
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/209>, abgerufen am 23.12.2024.
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