"Wenn der Mensch von der Welt scheidet, spricht Rabbi Menasse Ben Jsrael, so wird er nicht blos von dem Engel des Todes, der voll Augen ist, erschreckt, sondern der Engel fragt ihn auch: Hast du im Gesetz geforscht? Bist du versöhnlich gewesen gegen deine Feinde, und barmherzig und wohlthätig gegen deinen Nächsten? Hast du Gott als deinen König und deinen künftigen Richter an- erkannt? Und -- wenn du selbst ein König oder Herrscher warst, hast du auch mit Milde und Sanft- muth, mit Menschenliebe und Gerechtigkeit regiert? Kann der Mensch diese Fragen bejahen, dann läßt der Engel des Todes einen Tropfen Galle von sei- nem Schwert auf die Lippen des Sterbenden fallen, und die Seele verläßt ohne Schmerzen den Leib, so leicht, wie man einen Faden aus der Milch zieht. Muß er aber jene Fragen verneinen, dann geht die Seele voll Schmerzen aus dem Körper, schwerer wie Dornen aus der Wolle *)." Diese Darstellung ist, nach meiner Ansicht, die sinnvollste, und gereicht ihrem Urheber zur Ehre.
"Der Todesengel ist voll Augen, und steht, wenn der Kranke stirbt, zu dessen Haupte, ein bloßes Schwert in seiner Hand haltend, an welchem ein Tropfen Galle hängt. Wenn nun der Kranke den Würgengel erblickt, zittert er und öffnet den Mund. Dann läßt der Engel den Tropfen auf die
*) M. s. das Buch Nischmath Chajim.
I. Bäudchen. 19
»Wenn der Menſch von der Welt ſcheidet, ſpricht Rabbi Menaſſe Ben Jſrael, ſo wird er nicht blos von dem Engel des Todes, der voll Augen iſt, erſchreckt, ſondern der Engel fragt ihn auch: Haſt du im Geſetz geforſcht? Biſt du verſoͤhnlich geweſen gegen deine Feinde, und barmherzig und wohlthaͤtig gegen deinen Naͤchſten? Haſt du Gott als deinen Koͤnig und deinen kuͤnftigen Richter an- erkannt? Und — wenn du ſelbſt ein Koͤnig oder Herrſcher warſt, haſt du auch mit Milde und Sanft- muth, mit Menſchenliebe und Gerechtigkeit regiert? Kann der Menſch dieſe Fragen bejahen, dann laͤßt der Engel des Todes einen Tropfen Galle von ſei- nem Schwert auf die Lippen des Sterbenden fallen, und die Seele verlaͤßt ohne Schmerzen den Leib, ſo leicht, wie man einen Faden aus der Milch zieht. Muß er aber jene Fragen verneinen, dann geht die Seele voll Schmerzen aus dem Koͤrper, ſchwerer wie Dornen aus der Wolle *).« Dieſe Darſtellung iſt, nach meiner Anſicht, die ſinnvollſte, und gereicht ihrem Urheber zur Ehre.
»Der Todesengel iſt voll Augen, und ſteht, wenn der Kranke ſtirbt, zu deſſen Haupte, ein bloßes Schwert in ſeiner Hand haltend, an welchem ein Tropfen Galle haͤngt. Wenn nun der Kranke den Wuͤrgengel erblickt, zittert er und oͤffnet den Mund. Dann laͤßt der Engel den Tropfen auf die
*) M. ſ. das Buch Niſchmath Chajim.
I. Baͤudchen. 19
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»Wenn der Menſch von der Welt ſcheidet,
ſpricht Rabbi Menaſſe Ben Jſrael, ſo wird er nicht
blos von dem Engel des Todes, der voll Augen
iſt, erſchreckt, ſondern der Engel fragt ihn auch:
Haſt du im Geſetz geforſcht? Biſt du verſoͤhnlich
geweſen gegen deine Feinde, und barmherzig und
wohlthaͤtig gegen deinen Naͤchſten? Haſt du Gott
als deinen Koͤnig und deinen kuͤnftigen Richter an-
erkannt? Und — wenn du ſelbſt ein Koͤnig oder
Herrſcher warſt, haſt du auch mit Milde und Sanft-
muth, mit Menſchenliebe und Gerechtigkeit regiert?
Kann der Menſch dieſe Fragen bejahen, dann laͤßt
der Engel des Todes einen Tropfen Galle von ſei-
nem Schwert auf die Lippen des Sterbenden fallen,
und die Seele verlaͤßt ohne Schmerzen den Leib,
ſo leicht, wie man einen Faden aus der Milch
zieht. Muß er aber jene Fragen verneinen, dann
geht die Seele voll Schmerzen aus dem Koͤrper,
ſchwerer wie Dornen aus der Wolle *).« Dieſe
Darſtellung iſt, nach meiner Anſicht, die ſinnvollſte,
und gereicht ihrem Urheber zur Ehre.
»Der Todesengel iſt voll Augen, und ſteht,
wenn der Kranke ſtirbt, zu deſſen Haupte, ein
bloßes Schwert in ſeiner Hand haltend, an welchem
ein Tropfen Galle haͤngt. Wenn nun der Kranke
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Mund. Dann laͤßt der Engel den Tropfen auf die
*) M. ſ. das Buch Niſchmath Chajim.
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/219>, abgerufen am 27.11.2024.
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