Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: [Vorwort zu dem Gedenkbuch der Prinzessin von Preußen für die Dichterzimmer im Weimarer Schlosse]. In: Separatum/Manuscript für Freunde. [s. l.], 1849, 1 Bl.

Bild:
erste Seite
letzte Seite

Wie das Leben der Natur den periodischen Wechsel üppigen Gedeihens und gehemmter
Entwickelung darbietet, so wechseln auch die Geschicke im geistigen Leben der Menschheit.
Bald stehen vereinzelt, durch Zeit und Raum getrennt, die großen Gestalten, welchen die
späteste Nachwelt Bewunderung zollt; bald zeigt uns die Geschichte dieselben an einander
gedrängt, in befruchtender Nähe Licht und Wärme um sich verbreitend. Was diese
ungleiche Vertheilung wohlthätiger Elemente, was ein gleichzeitiges Aufkeimen edler Geistes-
blüthe begründet, bleibt unserer Forschung fast gänzlich verhüllt. Zufall nennt es die
frevelnde Menge. Es mahnt vielmehr die Erscheinung an jene ewigen Lichter der Himmels-
räume, von denen die größeren bald einsam zerstreut, wie Sporaden im ungemessenen Meere,
bald anmuthig in Gruppen vereinigt den frommen Sinn des Menschen anregen, ahndungsvoll
ihn auf des Ewigen unerkannten Weltplan, auf noch unergründete Weltgesetze hinleiten.
Liegt aber das gleichzeitige Auftreten großer Geister außerhalb des Bereiches jeglicher
irdischen Macht, so ist dem nicht so in der räumlichen Vereinigung und dem Zusammenwirken
der Kräfte. Es gewährt einen erhebenden Anblick, ein edles Herrschergeschlecht mehrere
Generationen hindurch, hochherzig, von dem Gedanken beseelt zu sehen, durch jene
Annäherung nicht bloß den Ruhm der Heimath oder den eigenen Genuß des Lebens zu
erhöhen, sondern auch, durch eine der Annäherung inwohnende begeisternde Macht, den
schaffenden Genius zu einem kühneren Fluge anzuregen. Dem Andenken an einen solchen
Einfluß auf Erweiterung und Verschönerung der freien Gedankenwelt, auf den Ausdruck
zarter Empfindung, auf die Bereicherung der Sprache (eines Productes des Geistes, in
welchem der Volkscharakter, das Zeitbedürfniß und die individuelle Färbung sich spiegeln)
sind sinnig diese Blätter gewidmet. Sie vergegenwärtigen, wie der künstlerische Schmuck der
umgebenden Räume, einen Glanzpunkt in der Geschichte des geistigen Lebens der Deutschen.
Sie mögen erhalten und nähren, was die Völker veredelt; neben der Bewunderung
intellectueller Größe ein lebendiges Dankgefühl, dem Andenken derer gezollt, die gastlich in
milder, freundlicher Einfachheit der Sitte Fürstengröße in dem Zauber fanden, welchen sie
in so reichem Maaße selbst hervorgerufen. Wenn, nach vielen Jahrhunderten, die hier
heimischen Gesänge wie Stimmen aus der Vorwelt ertönen, wird ihre ungeschwächte Kraft
noch erfrischend, belebend und bessernd auf die spätesten Geschlechter wirken!

Alexander v. Humboldt,

Manuscript für Freunde

Wie das Leben der Natur den periodiſchen Wechſel üppigen Gedeihens und gehemmter
Entwickelung darbietet, ſo wechſeln auch die Geſchicke im geiſtigen Leben der Menſchheit.
Bald ſtehen vereinzelt, durch Zeit und Raum getrennt, die großen Geſtalten, welchen die
ſpäteſte Nachwelt Bewunderung zollt; bald zeigt uns die Geſchichte dieſelben an einander
gedrängt, in befruchtender Nähe Licht und Wärme um ſich verbreitend. Was dieſe
ungleiche Vertheilung wohlthätiger Elemente, was ein gleichzeitiges Aufkeimen edler Geiſtes-
blüthe begründet, bleibt unſerer Forſchung faſt gänzlich verhüllt. Zufall nennt es die
frevelnde Menge. Es mahnt vielmehr die Erſcheinung an jene ewigen Lichter der Himmels-
räume, von denen die größeren bald einſam zerſtreut, wie Sporaden im ungemeſſenen Meere,
bald anmuthig in Gruppen vereinigt den frommen Sinn des Menſchen anregen, ahndungsvoll
ihn auf des Ewigen unerkannten Weltplan, auf noch unergründete Weltgeſetze hinleiten.
Liegt aber das gleichzeitige Auftreten großer Geiſter außerhalb des Bereiches jeglicher
irdiſchen Macht, ſo iſt dem nicht ſo in der räumlichen Vereinigung und dem Zuſammenwirken
der Kräfte. Es gewährt einen erhebenden Anblick, ein edles Herrſchergeſchlecht mehrere
Generationen hindurch, hochherzig, von dem Gedanken beſeelt zu ſehen, durch jene
Annäherung nicht bloß den Ruhm der Heimath oder den eigenen Genuß des Lebens zu
erhöhen, ſondern auch, durch eine der Annäherung inwohnende begeiſternde Macht, den
ſchaffenden Genius zu einem kühneren Fluge anzuregen. Dem Andenken an einen ſolchen
Einfluß auf Erweiterung und Verſchönerung der freien Gedankenwelt, auf den Ausdruck
zarter Empfindung, auf die Bereicherung der Sprache (eines Productes des Geiſtes, in
welchem der Volkscharakter, das Zeitbedürfniß und die individuelle Färbung ſich ſpiegeln)
ſind ſinnig dieſe Blätter gewidmet. Sie vergegenwärtigen, wie der künſtleriſche Schmuck der
umgebenden Räume, einen Glanzpunkt in der Geſchichte des geiſtigen Lebens der Deutſchen.
Sie mögen erhalten und nähren, was die Völker veredelt; neben der Bewunderung
intellectueller Größe ein lebendiges Dankgefühl, dem Andenken derer gezollt, die gaſtlich in
milder, freundlicher Einfachheit der Sitte Fürſtengröße in dem Zauber fanden, welchen ſie
in ſo reichem Maaße ſelbſt hervorgerufen. Wenn, nach vielen Jahrhunderten, die hier
heimiſchen Geſänge wie Stimmen aus der Vorwelt ertönen, wird ihre ungeſchwächte Kraft
noch erfriſchend, belebend und beſſernd auf die ſpäteſten Geſchlechter wirken!

Alexander v. Humboldt,

Manuſcript für Freunde
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0001"/><lb/>
      <p><hi rendition="#in">W</hi>ie das Leben der Natur den periodi&#x017F;chen Wech&#x017F;el üppigen Gedeihens und gehemmter<lb/>
Entwickelung darbietet, &#x017F;o wech&#x017F;eln auch die Ge&#x017F;chicke im gei&#x017F;tigen Leben der Men&#x017F;chheit.<lb/>
Bald &#x017F;tehen vereinzelt, durch Zeit und Raum getrennt, die großen Ge&#x017F;talten, welchen die<lb/>
&#x017F;päte&#x017F;te Nachwelt Bewunderung zollt; bald zeigt uns die Ge&#x017F;chichte die&#x017F;elben an einander<lb/>
gedrängt, in befruchtender Nähe Licht und Wärme um &#x017F;ich verbreitend. Was die&#x017F;e<lb/>
ungleiche Vertheilung wohlthätiger Elemente, was ein gleichzeitiges Aufkeimen edler Gei&#x017F;tes-<lb/>
blüthe begründet, bleibt un&#x017F;erer For&#x017F;chung fa&#x017F;t gänzlich verhüllt. Zufall nennt es die<lb/>
frevelnde Menge. Es mahnt vielmehr die Er&#x017F;cheinung an jene ewigen Lichter der Himmels-<lb/>
räume, von denen die größeren bald ein&#x017F;am zer&#x017F;treut, wie Sporaden im ungeme&#x017F;&#x017F;enen Meere,<lb/>
bald anmuthig in Gruppen vereinigt den frommen Sinn des Men&#x017F;chen anregen, ahndungsvoll<lb/>
ihn auf des Ewigen unerkannten Weltplan, auf noch unergründete Weltge&#x017F;etze hinleiten.<lb/>
Liegt aber das gleichzeitige Auftreten großer Gei&#x017F;ter außerhalb des Bereiches jeglicher<lb/>
irdi&#x017F;chen Macht, &#x017F;o i&#x017F;t dem nicht &#x017F;o in der räumlichen Vereinigung und dem Zu&#x017F;ammenwirken<lb/>
der Kräfte. Es gewährt einen erhebenden Anblick, ein edles Herr&#x017F;cherge&#x017F;chlecht mehrere<lb/>
Generationen hindurch, hochherzig, von dem Gedanken be&#x017F;eelt zu &#x017F;ehen, durch jene<lb/>
Annäherung nicht bloß den Ruhm der Heimath oder den eigenen Genuß des Lebens zu<lb/>
erhöhen, &#x017F;ondern auch, durch eine der Annäherung inwohnende begei&#x017F;ternde Macht, den<lb/>
&#x017F;chaffenden Genius zu einem kühneren Fluge anzuregen. Dem Andenken an einen &#x017F;olchen<lb/>
Einfluß auf Erweiterung und Ver&#x017F;chönerung der freien Gedankenwelt, auf den Ausdruck<lb/>
zarter Empfindung, auf die Bereicherung der Sprache (eines Productes des Gei&#x017F;tes, in<lb/>
welchem der Volkscharakter, das Zeitbedürfniß und die individuelle Färbung &#x017F;ich &#x017F;piegeln)<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;innig die&#x017F;e Blätter gewidmet. Sie vergegenwärtigen, wie der kün&#x017F;tleri&#x017F;che Schmuck der<lb/>
umgebenden Räume, einen Glanzpunkt in der Ge&#x017F;chichte des gei&#x017F;tigen Lebens der Deut&#x017F;chen.<lb/>
Sie mögen erhalten und nähren, was die Völker veredelt; neben der Bewunderung<lb/>
intellectueller Größe ein lebendiges Dankgefühl, dem Andenken derer gezollt, die ga&#x017F;tlich in<lb/>
milder, freundlicher Einfachheit der Sitte Für&#x017F;tengröße in dem Zauber fanden, welchen &#x017F;ie<lb/>
in &#x017F;o reichem Maaße &#x017F;elb&#x017F;t hervorgerufen. Wenn, nach vielen Jahrhunderten, die hier<lb/>
heimi&#x017F;chen Ge&#x017F;änge wie Stimmen aus der Vorwelt ertönen, wird ihre unge&#x017F;chwächte Kraft<lb/>
noch erfri&#x017F;chend, belebend und be&#x017F;&#x017F;ernd auf die &#x017F;päte&#x017F;ten Ge&#x017F;chlechter wirken!</p><lb/>
      <closer>
        <salute> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Alexander v. Humboldt</hi>,</hi> </hi> </salute>
      </closer><lb/>
      <dateline> <hi rendition="#et">im Juli 1849.</hi> </dateline><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">Manu&#x017F;cript für Freunde</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0001] Wie das Leben der Natur den periodiſchen Wechſel üppigen Gedeihens und gehemmter Entwickelung darbietet, ſo wechſeln auch die Geſchicke im geiſtigen Leben der Menſchheit. Bald ſtehen vereinzelt, durch Zeit und Raum getrennt, die großen Geſtalten, welchen die ſpäteſte Nachwelt Bewunderung zollt; bald zeigt uns die Geſchichte dieſelben an einander gedrängt, in befruchtender Nähe Licht und Wärme um ſich verbreitend. Was dieſe ungleiche Vertheilung wohlthätiger Elemente, was ein gleichzeitiges Aufkeimen edler Geiſtes- blüthe begründet, bleibt unſerer Forſchung faſt gänzlich verhüllt. Zufall nennt es die frevelnde Menge. Es mahnt vielmehr die Erſcheinung an jene ewigen Lichter der Himmels- räume, von denen die größeren bald einſam zerſtreut, wie Sporaden im ungemeſſenen Meere, bald anmuthig in Gruppen vereinigt den frommen Sinn des Menſchen anregen, ahndungsvoll ihn auf des Ewigen unerkannten Weltplan, auf noch unergründete Weltgeſetze hinleiten. Liegt aber das gleichzeitige Auftreten großer Geiſter außerhalb des Bereiches jeglicher irdiſchen Macht, ſo iſt dem nicht ſo in der räumlichen Vereinigung und dem Zuſammenwirken der Kräfte. Es gewährt einen erhebenden Anblick, ein edles Herrſchergeſchlecht mehrere Generationen hindurch, hochherzig, von dem Gedanken beſeelt zu ſehen, durch jene Annäherung nicht bloß den Ruhm der Heimath oder den eigenen Genuß des Lebens zu erhöhen, ſondern auch, durch eine der Annäherung inwohnende begeiſternde Macht, den ſchaffenden Genius zu einem kühneren Fluge anzuregen. Dem Andenken an einen ſolchen Einfluß auf Erweiterung und Verſchönerung der freien Gedankenwelt, auf den Ausdruck zarter Empfindung, auf die Bereicherung der Sprache (eines Productes des Geiſtes, in welchem der Volkscharakter, das Zeitbedürfniß und die individuelle Färbung ſich ſpiegeln) ſind ſinnig dieſe Blätter gewidmet. Sie vergegenwärtigen, wie der künſtleriſche Schmuck der umgebenden Räume, einen Glanzpunkt in der Geſchichte des geiſtigen Lebens der Deutſchen. Sie mögen erhalten und nähren, was die Völker veredelt; neben der Bewunderung intellectueller Größe ein lebendiges Dankgefühl, dem Andenken derer gezollt, die gaſtlich in milder, freundlicher Einfachheit der Sitte Fürſtengröße in dem Zauber fanden, welchen ſie in ſo reichem Maaße ſelbſt hervorgerufen. Wenn, nach vielen Jahrhunderten, die hier heimiſchen Geſänge wie Stimmen aus der Vorwelt ertönen, wird ihre ungeſchwächte Kraft noch erfriſchend, belebend und beſſernd auf die ſpäteſten Geſchlechter wirken! Alexander v. Humboldt, im Juli 1849. Manuſcript für Freunde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_weimar_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_weimar_1849/1
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: [Vorwort zu dem Gedenkbuch der Prinzessin von Preußen für die Dichterzimmer im Weimarer Schlosse]. In: Separatum/Manuscript für Freunde. [s. l.], 1849, 1 Bl, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_weimar_1849/1>, abgerufen am 03.12.2024.