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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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Zweck eines wissenschaftlichen Erkennens, einer philosophischen Naturbe-
trachtung verfehlen, wenn man sich mit den Einzelnheiten sinnlicher An-
schauung, mit der rohen Anhäufung ausschließlich so genannter Thatsachen
(des Wahrgenommenen, Versuchten und Erfahrenen) begnügte und so die
Einheit der Natur verkennend, nicht das Allgemeine und Wesentliche in den
Erscheinungen vorzugsweise zu erforschen suchte. Nach denselben Bestre-
bungen eines vergleichenden Naturstudiums, habe ich den Bau und die Wir-
kungsart der Vulkane in verschiedenen Erdstrichen betrachtet, und vor vier
Jahren, in der letzten öffentlichen Versammlung, der ich beiwohnen konnte,
mit wenigen Zügen geschildert.

Wenn ich hier jene früheren Arbeiten aufzähle, so ist es nicht, um
wohlgefällig bei dem zu verweilen, was im lebendigen Fortschreiten der Na-
tur-Wissenschaft und der physischen Erd-Kunde nur zu schnell zu veralten
droht: jene Erinnerung soll bloß dazu dienen, den Gesichtspunkt zu be-
stimmen, aus dem ich wünschte, den gegenwärtigen Vortrag beurtheilt zu se-
hen. Öffentliche akademische Sitzungen sind nicht dazu geeignet, abgeson-
derte Beobachtungen zu erörtern, oder bloßen Zahlen-Verhältnissen ermü-
dend nachzuspüren. Kürze, welche die Achtung gegen den Hörenden gebie-
tet, steht der Vollständigkeit jeder empirischen Untersuchung entgegen. Das
Einzelne kann gefällig nur dann die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn es
dem Allgemeinen untergeordnet, auf höhere Natur-Ansichten hindeutet.
Einer besonderen Nachsicht könnte sich die aphoristische Behandlung em-
pfehlen, wenn es ihr gelänge, dieselbe Klasse von Erscheinungen vielseitig
zu beleuchten, eine Fülle von Ideen in schneller Folge zu erwecken, und so
die freie Thätigkeit des Geistes regsam zu beschäftigen.

Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper, ist seit vielen Jahren ein
Haupt-Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen: sie steht mit der räum-
lichen Verschiedenartigkeit der Producte, mit dem Ackerbau und dem Han-
delsverkehr der Völker, ja mit mehreren Seiten ihres ganzen moralischen
und politischen Zustandes in der innigsten Verbindung. Die Zeiten sind
vorüber, wo man sich mit unbestimmten Ansichten über die Differenz geo-
graphischer und physischer Klimate begnügte, und alle Modificationen der
Temperatur bald schützenden Bergzügen, bald der Erhöhung der Erdober-
fläche zuschrieb. Man hat nach und nach eingesehen, daß die merkwürdigen
Abweichungen der Klimate, welche man in großen Länderstrecken, zwischen

Zweck eines wissenschaftlichen Erkennens, einer philosophischen Naturbe-
trachtung verfehlen, wenn man sich mit den Einzelnheiten sinnlicher An-
schauung, mit der rohen Anhäufung ausschließlich so genannter Thatsachen
(des Wahrgenommenen, Versuchten und Erfahrenen) begnügte und so die
Einheit der Natur verkennend, nicht das Allgemeine und Wesentliche in den
Erscheinungen vorzugsweise zu erforschen suchte. Nach denselben Bestre-
bungen eines vergleichenden Naturstudiums, habe ich den Bau und die Wir-
kungsart der Vulkane in verschiedenen Erdstrichen betrachtet, und vor vier
Jahren, in der letzten öffentlichen Versammlung, der ich beiwohnen konnte,
mit wenigen Zügen geschildert.

Wenn ich hier jene früheren Arbeiten aufzähle, so ist es nicht, um
wohlgefällig bei dem zu verweilen, was im lebendigen Fortschreiten der Na-
tur-Wissenschaft und der physischen Erd-Kunde nur zu schnell zu veralten
droht: jene Erinnerung soll bloß dazu dienen, den Gesichtspunkt zu be-
stimmen, aus dem ich wünschte, den gegenwärtigen Vortrag beurtheilt zu se-
hen. Öffentliche akademische Sitzungen sind nicht dazu geeignet, abgeson-
derte Beobachtungen zu erörtern, oder bloßen Zahlen-Verhältnissen ermü-
dend nachzuspüren. Kürze, welche die Achtung gegen den Hörenden gebie-
tet, steht der Vollständigkeit jeder empirischen Untersuchung entgegen. Das
Einzelne kann gefällig nur dann die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn es
dem Allgemeinen untergeordnet, auf höhere Natur-Ansichten hindeutet.
Einer besonderen Nachsicht könnte sich die aphoristische Behandlung em-
pfehlen, wenn es ihr gelänge, dieselbe Klasse von Erscheinungen vielseitig
zu beleuchten, eine Fülle von Ideen in schneller Folge zu erwecken, und so
die freie Thätigkeit des Geistes regsam zu beschäftigen.

Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper, ist seit vielen Jahren ein
Haupt-Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen: sie steht mit der räum-
lichen Verschiedenartigkeit der Producte, mit dem Ackerbau und dem Han-
delsverkehr der Völker, ja mit mehreren Seiten ihres ganzen moralischen
und politischen Zustandes in der innigsten Verbindung. Die Zeiten sind
vorüber, wo man sich mit unbestimmten Ansichten über die Differenz geo-
graphischer und physischer Klimate begnügte, und alle Modificationen der
Temperatur bald schützenden Bergzügen, bald der Erhöhung der Erdober-
fläche zuschrieb. Man hat nach und nach eingesehen, daß die merkwürdigen
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[296/0003] A. v. Humboldt Zweck eines wissenschaftlichen Erkennens, einer philosophischen Naturbe- trachtung verfehlen, wenn man sich mit den Einzelnheiten sinnlicher An- schauung, mit der rohen Anhäufung ausschließlich so genannter Thatsachen (des Wahrgenommenen, Versuchten und Erfahrenen) begnügte und so die Einheit der Natur verkennend, nicht das Allgemeine und Wesentliche in den Erscheinungen vorzugsweise zu erforschen suchte. Nach denselben Bestre- bungen eines vergleichenden Naturstudiums, habe ich den Bau und die Wir- kungsart der Vulkane in verschiedenen Erdstrichen betrachtet, und vor vier Jahren, in der letzten öffentlichen Versammlung, der ich beiwohnen konnte, mit wenigen Zügen geschildert. Wenn ich hier jene früheren Arbeiten aufzähle, so ist es nicht, um wohlgefällig bei dem zu verweilen, was im lebendigen Fortschreiten der Na- tur-Wissenschaft und der physischen Erd-Kunde nur zu schnell zu veralten droht: jene Erinnerung soll bloß dazu dienen, den Gesichtspunkt zu be- stimmen, aus dem ich wünschte, den gegenwärtigen Vortrag beurtheilt zu se- hen. Öffentliche akademische Sitzungen sind nicht dazu geeignet, abgeson- derte Beobachtungen zu erörtern, oder bloßen Zahlen-Verhältnissen ermü- dend nachzuspüren. Kürze, welche die Achtung gegen den Hörenden gebie- tet, steht der Vollständigkeit jeder empirischen Untersuchung entgegen. Das Einzelne kann gefällig nur dann die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn es dem Allgemeinen untergeordnet, auf höhere Natur-Ansichten hindeutet. Einer besonderen Nachsicht könnte sich die aphoristische Behandlung em- pfehlen, wenn es ihr gelänge, dieselbe Klasse von Erscheinungen vielseitig zu beleuchten, eine Fülle von Ideen in schneller Folge zu erwecken, und so die freie Thätigkeit des Geistes regsam zu beschäftigen. Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper, ist seit vielen Jahren ein Haupt-Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen: sie steht mit der räum- lichen Verschiedenartigkeit der Producte, mit dem Ackerbau und dem Han- delsverkehr der Völker, ja mit mehreren Seiten ihres ganzen moralischen und politischen Zustandes in der innigsten Verbindung. Die Zeiten sind vorüber, wo man sich mit unbestimmten Ansichten über die Differenz geo- graphischer und physischer Klimate begnügte, und alle Modificationen der Temperatur bald schützenden Bergzügen, bald der Erhöhung der Erdober- fläche zuschrieb. Man hat nach und nach eingesehen, daß die merkwürdigen Abweichungen der Klimate, welche man in großen Länderstrecken, zwischen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/3>, abgerufen am 23.11.2024.