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Humboldt, Alexander von: Neue Untersuchungen über die Gesetze, welche man in der Vertheilung der Pflanzenformen bemerkt. In: Isis, Bd. 5 (1821), Sp. 1033-1047.

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Nach den Entdeckungen von Cuvier über die fossilen Kno-
chen möchte man glauben, daß diese Verhältnisse nicht zu allen
Zeiten dieselben gewesen sind und daß bey den alten Revo-
lutionen
unseres Planeten weit mehr Säugethiere als Vö-
gel untergegangen sind. Latreille hat in einer vortrefflichen
Abhandlung über die geograph. Vertheilung der Jnsecten,
nicht die Zahl der gegliederten Thiere mit der der Pflanzen
und mit der Zahl der verschiedenen Classen von Wirbelthie-
ren, welche dieselben Climate bewohnen, verglichen;
allein er hat auf eine sehr interessante Art gezeigt, welche
Gruppen von Jnsecten sich vermehren oder geringer werden,
so wie man vom Pol zum Aequator hin geht. Jch über-
gehe hier die mühsamen Untersuchungen von H. Jlliger
über die Geographie der Vögel (Abh. der berliner Academie
für 1812 und 1813). Er untersucht den Aufenthalt von
mehr als 3800 Gattungen, allein er betrachtet sie nur nach
ihrer Vertheilung auf den 5 Erdtheilen; was eine ganz
unphilosophische Methode ist und nicht zur Kenntniß des
Einflusses des Climas auf die Entwickelung der organischen
Wesen führt. Alles veste Land, mit Ausnahme Europa's,
breitet sich aus von der gemäßigten Zone zur Aequatorial-
Zone hin; die Gesetze der Natur können sich also nicht
deutlich zeigen, wenn man die Phänomene nach will-
kührlichen Abtheilungen gruppirt, und die, so zu sagen, nur
allein von der Verschiedenheit der Meridiane abhängen. Es
gehört nicht zu meinem Zweck diese Betrachtungen über die
numerischen Verhältnisse zwischen den Thieren verschiedener
Classen weiter fortzusetzen, ich habe nur die Aufmerksam-
keit der Gelehrten auf einen Zweig der Naturphilosophie
hinlenken wollen, der mir näherer Untersuchung werth zu
seyn scheint. Es ist begreiflich wie auf einem angegebenen
Landstriche, die Jndividuen verschiedener Pflanzen- und
Thier-Zünfte numerisch begränzt werden können; wie aus
hartnäckigem Kampfe und langem Schwanken ein Zustand
von Gleichgewicht hervorgeht, erzeugt von dem Bedürfniß
der Nahrung und der Lebensgewohnheiten; die Ursachen
aber, welche diese Formen beschränkt haben, sind ver-
borgen hinter jenem Schleyer, der unseren Augen den ei-
gentlichen Ursprung aller Dinge, die erste Entwickelung des
Lebens verhüllt.

Die numerischen Verhältnisse der Pflanzenformen las-
sen sich auf zwey sehr untersch[ieden]e Arten betrachten.
Wenn man die Pflanzen nach natürlichen Familien grup-
pirt studiert, ohne auf ihre geographische Vertheilung Rück-
sicht zu nehmen, so wird man die Frage aufwerfen: Wel-
ches sind die Typen der Organisation, nach welchen die mei-
sten Gattungen gebildet worden sind? Sind auf der Erde
mehr Glumaceen als Compositae: Machen diese beyden
Zünfte von Pflanzen den vierten Theil der Phanerogamen
aus, was ist für ein Verhältniß zwischen den Monocoty-
ledonen und den Dicotyledonen? Diese Fragen wirft die
allgemeine Phytologie auf, eine Wissenschaft, welche die
Organisation der Pflanzen und ihre gegenseitige Verkettung
untersucht. Betrachtet man die Gattungen, welche nach
der Analogie ihrer Formen zusammengestellt sind, nicht ab-
stract, sondern nach ihren climatischen Verhältnissen oder
ihrer Vertheilung über die Erdfläche, so entstehen noch weit
interessantere Fragen. Welche Pflanzen-Familien herrschen
über die anderen Phanerogamen mehr vor in der heißen
[Spaltenumbruch]
Zone, als unter dem Polarkreiß? Sind die compositae
häufiger, sey es in derselben geographischen Breite, in
demselben Jsothermenstrich, im neuen oder im alten Conti-
nent? Folgen die Typen, welche weniger vorherrschen vom
Aequator zum Pol, demselben Abnahms-Gesetze je höher
man zum Gipfel der Aequatorial-Berge hinaufgeht. Wech-
seln die Verhältnisse der Familien unter einander nicht un-
ter gleichbenannten Jsothermenlinien, in den gemäßigten
Zonen nördlich und südlich vom Aequator? Diese Fragen
gehören zur eigentlichen Pflanzen-Geographie und sie schlie-
ßen sich an die wichtigsten Probleme der Metereologie und
Physik des Erdballs im allgemeinen. Von dem Ueberge-
wicht gewisser Pflanzenfamilien hängt auch der Character
einer Landschaft, der Anblick einer freundlichen und maje-
stätischen Natur ab. Die Menge der Gramineen, wodurch
die ungeheuren Savannen gebildet werden, die Menge der
Palmbäume und Nadelhölzer haben einen mächtigen Ein-
fluß auf den gesellschaftlichen Zustand der Völker, auf ih-
re Sitten und auf die schnellere oder langsamere Entwicke-
lnng der Künste der Jndustrie gehabt.

Wenn man die geographische Vertheilung der For-
men studiert, so kann man bey den natürlichen Gattun-
gen, Sippen und Familien stehen bleiben (Humboldt Pro-
log. in Nov. gen. tom. 1. pag.
13, 51 und 33). Oft
deckt eine einzige Pflanzengattung, besonders von denen,
die ich sociales genannt habe, einen weitläuftigen Strich
Landes. Dergleichen sind im Norden, die Haiden- und
Fichtenwälder; in den Aequinoctial-Gegenden von Ameri-
ca, die Cactus, Croton, Bambusa und Brathys dersel-
ben Gattung. Es ist merkwürdig diese Verhältnisse von
Vermehrung und organischer Entwickelung zu untersuchen:
man kann hier fragen, welche Gattung, in einer angege-
benen Zone, die meisten Pflanzen liefert; man kann auf
die Familien hinweisen, zu welchen unter verschiedenen
Climaten die Gattungen gehören, welche unter den anderen
vorherrschend sind. Besonders fällt das Uebergewicht ge-
wisser Pflanzen auf, welche man wegen ihrer leichten Fort-
pflanzung und wegen der großen Menge von Jndividuen,
die dieselben Charactere haben, für die gemeinsten Pflanzen
dieser oder jener Zone hält. Jn einer nördlichen Region,
wo die Compositae und die Farrenkräuter zu den Pha-
nerogamen sich verhalten wie 1 : 13 oder 1 : 25 (d. h. wo
man dieß Verhältniß findet, wenn man die Totalzahl der
Phanerogamen mit der der Gattung der Compositae und
Farrenkräuter dividirt), kann eine einzige Gattung von
Farrenkräutern zehn mal so viel Land einnehmen als alle
Gattungen von Compositae zusammen. Jn diesem Fall
sind die Farrenkräuter vorherrschend vor den Compositen
in Ansehung der Masse, durch die Zahl der Jndividuen,
die zu denselben Gattungen von Pteris oder Polypodium
gehören; allein sie sind nicht vorherrschend, wenn man mit
der Totalsumme der Gattungen der Phanerogamen die
verschiedenen Formen vergleicht, welche die beyden Grup-
pen von Farrenkräuter und Compositen darbieten. Da
nicht alle Gewächse bey ihrer Vermehrung denselben Gese-
tzen folgen und da nicht alle gleich viele Jndividuen erzeu-
gen, so hängt auch nicht von den durch Division der To-
talsumme der Phanerogamen mit der Zahl der Gattungen
der verschiedenen Familien erhaltenen Quotienten allein das[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Nach den Entdeckungen von Cuvier uͤber die foſſilen Kno-
chen moͤchte man glauben, daß dieſe Verhaͤltniſſe nicht zu allen
Zeiten dieſelben geweſen ſind und daß bey den alten Revo-
lutionen
unſeres Planeten weit mehr Saͤugethiere als Voͤ-
gel untergegangen ſind. Latreille hat in einer vortrefflichen
Abhandlung uͤber die geograph. Vertheilung der Jnſecten,
nicht die Zahl der gegliederten Thiere mit der der Pflanzen
und mit der Zahl der verſchiedenen Claſſen von Wirbelthie-
ren, welche dieſelben Climate bewohnen, verglichen;
allein er hat auf eine ſehr intereſſante Art gezeigt, welche
Gruppen von Jnſecten ſich vermehren oder geringer werden,
ſo wie man vom Pol zum Aequator hin geht. Jch uͤber-
gehe hier die muͤhſamen Unterſuchungen von H. Jlliger
uͤber die Geographie der Voͤgel (Abh. der berliner Academie
fuͤr 1812 und 1813). Er unterſucht den Aufenthalt von
mehr als 3800 Gattungen, allein er betrachtet ſie nur nach
ihrer Vertheilung auf den 5 Erdtheilen; was eine ganz
unphiloſophiſche Methode iſt und nicht zur Kenntniß des
Einfluſſes des Climas auf die Entwickelung der organiſchen
Weſen fuͤhrt. Alles veſte Land, mit Ausnahme Europa's,
breitet ſich aus von der gemaͤßigten Zone zur Aequatorial-
Zone hin; die Geſetze der Natur koͤnnen ſich alſo nicht
deutlich zeigen, wenn man die Phaͤnomene nach will-
kuͤhrlichen Abtheilungen gruppirt, und die, ſo zu ſagen, nur
allein von der Verſchiedenheit der Meridiane abhaͤngen. Es
gehoͤrt nicht zu meinem Zweck dieſe Betrachtungen uͤber die
numeriſchen Verhaͤltniſſe zwiſchen den Thieren verſchiedener
Claſſen weiter fortzuſetzen, ich habe nur die Aufmerkſam-
keit der Gelehrten auf einen Zweig der Naturphiloſophie
hinlenken wollen, der mir naͤherer Unterſuchung werth zu
ſeyn ſcheint. Es iſt begreiflich wie auf einem angegebenen
Landſtriche, die Jndividuen verſchiedener Pflanzen- und
Thier-Zuͤnfte numeriſch begraͤnzt werden koͤnnen; wie aus
hartnaͤckigem Kampfe und langem Schwanken ein Zuſtand
von Gleichgewicht hervorgeht, erzeugt von dem Beduͤrfniß
der Nahrung und der Lebensgewohnheiten; die Urſachen
aber, welche dieſe Formen beſchraͤnkt haben, ſind ver-
borgen hinter jenem Schleyer, der unſeren Augen den ei-
gentlichen Urſprung aller Dinge, die erſte Entwickelung des
Lebens verhuͤllt.

Die numeriſchen Verhaͤltniſſe der Pflanzenformen laſ-
ſen ſich auf zwey ſehr unterſch[ieden]e Arten betrachten.
Wenn man die Pflanzen nach natuͤrlichen Familien grup-
pirt ſtudiert, ohne auf ihre geographiſche Vertheilung Ruͤck-
ſicht zu nehmen, ſo wird man die Frage aufwerfen: Wel-
ches ſind die Typen der Organiſation, nach welchen die mei-
ſten Gattungen gebildet worden ſind? Sind auf der Erde
mehr Glumaceen als Compoſitae: Machen dieſe beyden
Zuͤnfte von Pflanzen den vierten Theil der Phanerogamen
aus, was iſt fuͤr ein Verhaͤltniß zwiſchen den Monocoty-
ledonen und den Dicotyledonen? Dieſe Fragen wirft die
allgemeine Phytologie auf, eine Wiſſenſchaft, welche die
Organiſation der Pflanzen und ihre gegenſeitige Verkettung
unterſucht. Betrachtet man die Gattungen, welche nach
der Analogie ihrer Formen zuſammengeſtellt ſind, nicht ab-
ſtract, ſondern nach ihren climatiſchen Verhaͤltniſſen oder
ihrer Vertheilung uͤber die Erdflaͤche, ſo entſtehen noch weit
intereſſantere Fragen. Welche Pflanzen-Familien herrſchen
uͤber die anderen Phanerogamen mehr vor in der heißen
[Spaltenumbruch]
Zone, als unter dem Polarkreiß? Sind die compositae
haͤufiger, ſey es in derſelben geographiſchen Breite, in
demſelben Jſothermenſtrich, im neuen oder im alten Conti-
nent? Folgen die Typen, welche weniger vorherrſchen vom
Aequator zum Pol, demſelben Abnahms-Geſetze je hoͤher
man zum Gipfel der Aequatorial-Berge hinaufgeht. Wech-
ſeln die Verhaͤltniſſe der Familien unter einander nicht un-
ter gleichbenannten Jſothermenlinien, in den gemaͤßigten
Zonen noͤrdlich und ſuͤdlich vom Aequator? Dieſe Fragen
gehoͤren zur eigentlichen Pflanzen-Geographie und ſie ſchlie-
ßen ſich an die wichtigſten Probleme der Metereologie und
Phyſik des Erdballs im allgemeinen. Von dem Ueberge-
wicht gewiſſer Pflanzenfamilien haͤngt auch der Character
einer Landſchaft, der Anblick einer freundlichen und maje-
ſtaͤtiſchen Natur ab. Die Menge der Gramineen, wodurch
die ungeheuren Savannen gebildet werden, die Menge der
Palmbaͤume und Nadelhoͤlzer haben einen maͤchtigen Ein-
fluß auf den geſellſchaftlichen Zuſtand der Voͤlker, auf ih-
re Sitten und auf die ſchnellere oder langſamere Entwicke-
lnng der Kuͤnſte der Jnduſtrie gehabt.

Wenn man die geographiſche Vertheilung der For-
men ſtudiert, ſo kann man bey den natuͤrlichen Gattun-
gen, Sippen und Familien ſtehen bleiben (Humboldt Pro-
log. in Nov. gen. tom. 1. pag.
13, 51 und 33). Oft
deckt eine einzige Pflanzengattung, beſonders von denen,
die ich sociales genannt habe, einen weitlaͤuftigen Strich
Landes. Dergleichen ſind im Norden, die Haiden- und
Fichtenwaͤlder; in den Aequinoctial-Gegenden von Ameri-
ca, die Cactus, Croton, Bambusa und Brathys derſel-
ben Gattung. Es iſt merkwuͤrdig dieſe Verhaͤltniſſe von
Vermehrung und organiſcher Entwickelung zu unterſuchen:
man kann hier fragen, welche Gattung, in einer angege-
benen Zone, die meiſten Pflanzen liefert; man kann auf
die Familien hinweiſen, zu welchen unter verſchiedenen
Climaten die Gattungen gehoͤren, welche unter den anderen
vorherrſchend ſind. Beſonders faͤllt das Uebergewicht ge-
wiſſer Pflanzen auf, welche man wegen ihrer leichten Fort-
pflanzung und wegen der großen Menge von Jndividuen,
die dieſelben Charactere haben, fuͤr die gemeinſten Pflanzen
dieſer oder jener Zone haͤlt. Jn einer noͤrdlichen Region,
wo die Compoſitae und die Farrenkraͤuter zu den Pha-
nerogamen ſich verhalten wie 1 : 13 oder 1 : 25 (d. h. wo
man dieß Verhaͤltniß findet, wenn man die Totalzahl der
Phanerogamen mit der der Gattung der Compoſitae und
Farrenkraͤuter dividirt), kann eine einzige Gattung von
Farrenkraͤutern zehn mal ſo viel Land einnehmen als alle
Gattungen von Compoſitae zuſammen. Jn dieſem Fall
ſind die Farrenkraͤuter vorherrſchend vor den Compoſiten
in Anſehung der Maſſe, durch die Zahl der Jndividuen,
die zu denſelben Gattungen von Pteris oder Polypodium
gehoͤren; allein ſie ſind nicht vorherrſchend, wenn man mit
der Totalſumme der Gattungen der Phanerogamen die
verſchiedenen Formen vergleicht, welche die beyden Grup-
pen von Farrenkraͤuter und Compoſiten darbieten. Da
nicht alle Gewaͤchſe bey ihrer Vermehrung denſelben Geſe-
tzen folgen und da nicht alle gleich viele Jndividuen erzeu-
gen, ſo haͤngt auch nicht von den durch Diviſion der To-
talſumme der Phanerogamen mit der Zahl der Gattungen
der verſchiedenen Familien erhaltenen Quotienten allein das[Ende Spaltensatz]

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[0003] Nach den Entdeckungen von Cuvier uͤber die foſſilen Kno- chen moͤchte man glauben, daß dieſe Verhaͤltniſſe nicht zu allen Zeiten dieſelben geweſen ſind und daß bey den alten Revo- lutionen unſeres Planeten weit mehr Saͤugethiere als Voͤ- gel untergegangen ſind. Latreille hat in einer vortrefflichen Abhandlung uͤber die geograph. Vertheilung der Jnſecten, nicht die Zahl der gegliederten Thiere mit der der Pflanzen und mit der Zahl der verſchiedenen Claſſen von Wirbelthie- ren, welche dieſelben Climate bewohnen, verglichen; allein er hat auf eine ſehr intereſſante Art gezeigt, welche Gruppen von Jnſecten ſich vermehren oder geringer werden, ſo wie man vom Pol zum Aequator hin geht. Jch uͤber- gehe hier die muͤhſamen Unterſuchungen von H. Jlliger uͤber die Geographie der Voͤgel (Abh. der berliner Academie fuͤr 1812 und 1813). Er unterſucht den Aufenthalt von mehr als 3800 Gattungen, allein er betrachtet ſie nur nach ihrer Vertheilung auf den 5 Erdtheilen; was eine ganz unphiloſophiſche Methode iſt und nicht zur Kenntniß des Einfluſſes des Climas auf die Entwickelung der organiſchen Weſen fuͤhrt. Alles veſte Land, mit Ausnahme Europa's, breitet ſich aus von der gemaͤßigten Zone zur Aequatorial- Zone hin; die Geſetze der Natur koͤnnen ſich alſo nicht deutlich zeigen, wenn man die Phaͤnomene nach will- kuͤhrlichen Abtheilungen gruppirt, und die, ſo zu ſagen, nur allein von der Verſchiedenheit der Meridiane abhaͤngen. Es gehoͤrt nicht zu meinem Zweck dieſe Betrachtungen uͤber die numeriſchen Verhaͤltniſſe zwiſchen den Thieren verſchiedener Claſſen weiter fortzuſetzen, ich habe nur die Aufmerkſam- keit der Gelehrten auf einen Zweig der Naturphiloſophie hinlenken wollen, der mir naͤherer Unterſuchung werth zu ſeyn ſcheint. Es iſt begreiflich wie auf einem angegebenen Landſtriche, die Jndividuen verſchiedener Pflanzen- und Thier-Zuͤnfte numeriſch begraͤnzt werden koͤnnen; wie aus hartnaͤckigem Kampfe und langem Schwanken ein Zuſtand von Gleichgewicht hervorgeht, erzeugt von dem Beduͤrfniß der Nahrung und der Lebensgewohnheiten; die Urſachen aber, welche dieſe Formen beſchraͤnkt haben, ſind ver- borgen hinter jenem Schleyer, der unſeren Augen den ei- gentlichen Urſprung aller Dinge, die erſte Entwickelung des Lebens verhuͤllt. Die numeriſchen Verhaͤltniſſe der Pflanzenformen laſ- ſen ſich auf zwey ſehr unterſchiedene Arten betrachten. Wenn man die Pflanzen nach natuͤrlichen Familien grup- pirt ſtudiert, ohne auf ihre geographiſche Vertheilung Ruͤck- ſicht zu nehmen, ſo wird man die Frage aufwerfen: Wel- ches ſind die Typen der Organiſation, nach welchen die mei- ſten Gattungen gebildet worden ſind? Sind auf der Erde mehr Glumaceen als Compoſitae: Machen dieſe beyden Zuͤnfte von Pflanzen den vierten Theil der Phanerogamen aus, was iſt fuͤr ein Verhaͤltniß zwiſchen den Monocoty- ledonen und den Dicotyledonen? Dieſe Fragen wirft die allgemeine Phytologie auf, eine Wiſſenſchaft, welche die Organiſation der Pflanzen und ihre gegenſeitige Verkettung unterſucht. Betrachtet man die Gattungen, welche nach der Analogie ihrer Formen zuſammengeſtellt ſind, nicht ab- ſtract, ſondern nach ihren climatiſchen Verhaͤltniſſen oder ihrer Vertheilung uͤber die Erdflaͤche, ſo entſtehen noch weit intereſſantere Fragen. Welche Pflanzen-Familien herrſchen uͤber die anderen Phanerogamen mehr vor in der heißen Zone, als unter dem Polarkreiß? Sind die compositae haͤufiger, ſey es in derſelben geographiſchen Breite, in demſelben Jſothermenſtrich, im neuen oder im alten Conti- nent? Folgen die Typen, welche weniger vorherrſchen vom Aequator zum Pol, demſelben Abnahms-Geſetze je hoͤher man zum Gipfel der Aequatorial-Berge hinaufgeht. Wech- ſeln die Verhaͤltniſſe der Familien unter einander nicht un- ter gleichbenannten Jſothermenlinien, in den gemaͤßigten Zonen noͤrdlich und ſuͤdlich vom Aequator? Dieſe Fragen gehoͤren zur eigentlichen Pflanzen-Geographie und ſie ſchlie- ßen ſich an die wichtigſten Probleme der Metereologie und Phyſik des Erdballs im allgemeinen. Von dem Ueberge- wicht gewiſſer Pflanzenfamilien haͤngt auch der Character einer Landſchaft, der Anblick einer freundlichen und maje- ſtaͤtiſchen Natur ab. Die Menge der Gramineen, wodurch die ungeheuren Savannen gebildet werden, die Menge der Palmbaͤume und Nadelhoͤlzer haben einen maͤchtigen Ein- fluß auf den geſellſchaftlichen Zuſtand der Voͤlker, auf ih- re Sitten und auf die ſchnellere oder langſamere Entwicke- lnng der Kuͤnſte der Jnduſtrie gehabt. Wenn man die geographiſche Vertheilung der For- men ſtudiert, ſo kann man bey den natuͤrlichen Gattun- gen, Sippen und Familien ſtehen bleiben (Humboldt Pro- log. in Nov. gen. tom. 1. pag. 13, 51 und 33). Oft deckt eine einzige Pflanzengattung, beſonders von denen, die ich sociales genannt habe, einen weitlaͤuftigen Strich Landes. Dergleichen ſind im Norden, die Haiden- und Fichtenwaͤlder; in den Aequinoctial-Gegenden von Ameri- ca, die Cactus, Croton, Bambusa und Brathys derſel- ben Gattung. Es iſt merkwuͤrdig dieſe Verhaͤltniſſe von Vermehrung und organiſcher Entwickelung zu unterſuchen: man kann hier fragen, welche Gattung, in einer angege- benen Zone, die meiſten Pflanzen liefert; man kann auf die Familien hinweiſen, zu welchen unter verſchiedenen Climaten die Gattungen gehoͤren, welche unter den anderen vorherrſchend ſind. Beſonders faͤllt das Uebergewicht ge- wiſſer Pflanzen auf, welche man wegen ihrer leichten Fort- pflanzung und wegen der großen Menge von Jndividuen, die dieſelben Charactere haben, fuͤr die gemeinſten Pflanzen dieſer oder jener Zone haͤlt. Jn einer noͤrdlichen Region, wo die Compoſitae und die Farrenkraͤuter zu den Pha- nerogamen ſich verhalten wie 1 : 13 oder 1 : 25 (d. h. wo man dieß Verhaͤltniß findet, wenn man die Totalzahl der Phanerogamen mit der der Gattung der Compoſitae und Farrenkraͤuter dividirt), kann eine einzige Gattung von Farrenkraͤutern zehn mal ſo viel Land einnehmen als alle Gattungen von Compoſitae zuſammen. Jn dieſem Fall ſind die Farrenkraͤuter vorherrſchend vor den Compoſiten in Anſehung der Maſſe, durch die Zahl der Jndividuen, die zu denſelben Gattungen von Pteris oder Polypodium gehoͤren; allein ſie ſind nicht vorherrſchend, wenn man mit der Totalſumme der Gattungen der Phanerogamen die verſchiedenen Formen vergleicht, welche die beyden Grup- pen von Farrenkraͤuter und Compoſiten darbieten. Da nicht alle Gewaͤchſe bey ihrer Vermehrung denſelben Geſe- tzen folgen und da nicht alle gleich viele Jndividuen erzeu- gen, ſo haͤngt auch nicht von den durch Diviſion der To- talſumme der Phanerogamen mit der Zahl der Gattungen der verſchiedenen Familien erhaltenen Quotienten allein das

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Neue Untersuchungen über die Gesetze, welche man in der Vertheilung der Pflanzenformen bemerkt. In: Isis, Bd. 5 (1821), Sp. 1033-1047, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_untersuchungen_1821/3>, abgerufen am 24.11.2024.