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Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231.

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17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
drücken; die so wenig beachtete arabische Gobar (Staub)-Schrift, welche
Silvestre de Sacy in einem Pariser Manuscript auffand; die Verglei-
chung, welche ich zwischen dieser Bezeichnungsart und den mexicani-
schen und chinesischen Zahlzeichen anstellte; die durch viele in Indien
erschienene Sprachlehren erlangte Gewißheit, daß diesseits und jen-
seits des Ganges nicht bloß ganz verschieden gestaltete Ziffern und Buch-
staben-Zahlen, sondern auch ganz verschiedene Zahlen-Systeme, mit
und ohne Stellenwerth, herrschen; endlich eine ganz unbekannte indi-
sche Methode, die ein Scholion des griechischen Mönchs Neophytos
darbietet, lieferten mir eine Reihe von Materialien, welche einiges Licht
auf unser sogenanntes arabisches Zahlen-System werfen können. Ich
habe zuerst im Jahre 1819 in einer Abhandlung, welche ich zu Paris
in den Sitzungen der Academie des inscriptions et belles-lettres gelesen,
zu zeigen gesucht, wie bei Völkern, welche die rohe Methode der Juxta-
position dadurch abkürzen, daß sie (nach Art der Mexikaner, in den
Ligaturen von 4 mal 13 oder 52 Jahren, der Chinesen, Japanesen und
Tamulen) Exponenten oder Indicatoren über die Zahlenzeichen schreiben,
aus diesen Indicatoren, durch Suppression der senkrecht oder horizontal
gereiheten Gruppenzeichen, das herrliche indische System des Stellenwer-
thes entstehen konnte. Die Verbreitung dieses Systems mußte durch den
uralten Gebrauch der Erinnerungs- und Zahlschnüre, welche theils lose, als
quippos der Tataren, Chinesen, Aegypter, Peruaner*) und Mexi-
kaner
, zu christlichen Paternostern oder Ritual-Rechenmaschinen**) um-
geformt wurden, theils in feste Rahmen gespannt, den Suanpan von ganz
Inner-Asien, den abacus der Römer und Tusker***) und die Werkzeuge
der palpabeln Arithmetik slavischer Stämme+) bilden, ansehnlich begün-
stigt werden. Diese Schnur- und Drathreihen des einfachsten asiatischen
Suanpan repräsentiren höhere und niedere Gruppen eines Zahlen-Systems,
gleichviel ob Zehner, Hunderte und Tausende, oder in 60theiliger Abthei-
lung: Grade, Minuten, Secunden. Der Geist der Methode ist derselbe.

*) Ueber die quippos zur Abzählung der Sünden im Beichtstuhle s. Acosta Hist. natural
de las Indias, lib
. 6. cap. 8. El Inca Garcilaso, lib. 6. cap. 9. Freret Mem. de l'acad.
T
. 6. p. 609.
**) Klaproth Asiat. Mag. Th. II. S. 78.
***) Otfried Müller, Etrusker, T. II. p. 318.
+) Im Russischen heißt der Rosenkranz tschotki; das Rechenbrett mit Schnüren (der Suan-
pan
der Tataren) tschotü.

17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.
drücken; die so wenig beachtete arabische Gobar (Staub)-Schrift, welche
Silvestre de Sacy in einem Pariser Manuscript auffand; die Verglei-
chung, welche ich zwischen dieser Bezeichnungsart und den mexicani-
schen und chinesischen Zahlzeichen anstellte; die durch viele in Indien
erschienene Sprachlehren erlangte Gewißheit, daß diesseits und jen-
seits des Ganges nicht bloß ganz verschieden gestaltete Ziffern und Buch-
staben-Zahlen, sondern auch ganz verschiedene Zahlen-Systeme, mit
und ohne Stellenwerth, herrschen; endlich eine ganz unbekannte indi-
sche Methode, die ein Scholion des griechischen Mönchs Neophytos
darbietet, lieferten mir eine Reihe von Materialien, welche einiges Licht
auf unser sogenanntes arabisches Zahlen-System werfen können. Ich
habe zuerst im Jahre 1819 in einer Abhandlung, welche ich zu Paris
in den Sitzungen der Académie des inscriptions et belles-lettres gelesen,
zu zeigen gesucht, wie bei Völkern, welche die rohe Methode der Juxta-
position dadurch abkürzen, daß sie (nach Art der Mexikaner, in den
Ligaturen von 4 mal 13 oder 52 Jahren, der Chinesen, Japanesen und
Tamulen) Exponenten oder Indicatoren über die Zahlenzeichen schreiben,
aus diesen Indicatoren, durch Suppression der senkrecht oder horizontal
gereiheten Gruppenzeichen, das herrliche indische System des Stellenwer-
thes entstehen konnte. Die Verbreitung dieses Systems mußte durch den
uralten Gebrauch der Erinnerungs- und Zahlschnüre, welche theils lose, als
quippos der Tataren, Chinesen, Aegypter, Peruaner*) und Mexi-
kaner
, zu christlichen Paternostern oder Ritual-Rechenmaschinen**) um-
geformt wurden, theils in feste Rahmen gespannt, den Suanpan von ganz
Inner-Asien, den abacus der Römer und Tusker***) und die Werkzeuge
der palpabeln Arithmetik slavischer Stämme†) bilden, ansehnlich begün-
stigt werden. Diese Schnur- und Drathreihen des einfachsten asiatischen
Suanpan repräsentiren höhere und niedere Gruppen eines Zahlen-Systems,
gleichviel ob Zehner, Hunderte und Tausende, oder in 60theiliger Abthei-
lung: Grade, Minuten, Secunden. Der Geist der Methode ist derselbe.

*) Ueber die quippos zur Abzählung der Sünden im Beichtstuhle s. Acosta Hist. natural
de las Indias, lib
. 6. cap. 8. El Inca Garcilaso, lib. 6. cap. 9. Fréret Mém. de l'acad.
T
. 6. p. 609.
**) Klaproth Asiat. Mag. Th. II. S. 78.
***) Otfried Müller, Etrusker, T. II. p. 318.
†) Im Russischen heißt der Rosenkranz tschotki; das Rechenbrett mit Schnüren (der Suan-
pan
der Tataren) tschotü.
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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231, hier S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/3>, abgerufen am 24.11.2024.