Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188.Grade beiwohnende Erfindsamkeit, und durch ihre Schriftzeichen selbst dahin gekommen seyn, nicht bloß, wie sie jetzt thun, Lautzeichen als Nebenhülfe zu gebrauchen, sondern ein wahres, vollständiges und reines Alphabet zu bilden. Auf Aegypten allein schien diese Vorstellungsart nicht recht zu passen. Denn die heutige Coptische Sprache beweist unläugbar, daß auch die Alt-Aegyptische einen Bau besaß, der nicht von großen Sprachanlagen der Nation zeugt, und dennoch hat Aegypten nicht nur Buchstabenschrift besessen, sondern war sogar, nach keinesweges verwerflichen Zeugnissen, die Wiege derselben. Allein auch wenn eine Nation Erfinderin einer Buchstabenschrift ist, bleibt ihre Art, dieselbe zu behandeln, ihrer Anlage entsprechend, den Gedanken aufzufassen und durch Sprache zu fesseln und auszubilden; und die Wahrheit dieser Behauptung leuchtet gerade recht aus der wunderbaren Art hervor, wie die Aegyptier Bilder- und Buchstabenschrift in einander übergehen ließen. Buchstabenschrift und Sprachanlage stehen daher in dem engsten Zusammenhange, und in durchgängiger Beziehung auf einander. Dies werde ich mich bemühen, hier sowohl aus Begriffen, als, soviel es in der Kürze geschehen kann, welche diesen Abhandlungen geziemt, geschichtlich zu beweisen. Die Wahl dieses Gegenstandes hat mir aus dem zwiefachen Grunde angemessen geschienen, daß die Natur der Sprache in der That nicht vollständig eingesehen werden kann, wenn man nicht zugleich ihren Zusammenhang mit der Buchstabenschrift untersucht, und daß gerade jene neuesten Beschäftigungen mit der Aegyptischen Schrift den Antheil an Untersuchungen über Schrift-Erfindung und Aneignung im gegenwärtigen Augenblicke verdoppeln. Alles, was sich auf die äußeren Zwecke der Schrift, ihren Nutzen im Gebrauch für das Leben und die Verbreitung der Kenntnisse bezieht, übergehe ich gänzlich. Ihre Wichtigkeit von dieser Seite leuchtet zu sehr von selbst ein, und nur Wenige dürften in dieser Hinsicht die Vorzüge der Buchstabenschrift vor den übrigen Schriftarten verkennen. Ich beschränke mich bloß auf den Einfluß der alphabetischen auf die Sprache und ihre Behandlung. Ist dieser wirklich bedeutend, ist der Zusammenhang der Sprache mit dem Gebrauche eines Alphabets Grade beiwohnende Erfindsamkeit, und durch ihre Schriftzeichen selbst dahin gekommen seyn, nicht bloß, wie sie jetzt thun, Lautzeichen als Nebenhülfe zu gebrauchen, sondern ein wahres, vollständiges und reines Alphabet zu bilden. Auf Aegypten allein schien diese Vorstellungsart nicht recht zu passen. Denn die heutige Coptische Sprache beweist unläugbar, daß auch die Alt-Aegyptische einen Bau besaß, der nicht von großen Sprachanlagen der Nation zeugt, und dennoch hat Aegypten nicht nur Buchstabenschrift besessen, sondern war sogar, nach keinesweges verwerflichen Zeugnissen, die Wiege derselben. Allein auch wenn eine Nation Erfinderin einer Buchstabenschrift ist, bleibt ihre Art, dieselbe zu behandeln, ihrer Anlage entsprechend, den Gedanken aufzufassen und durch Sprache zu fesseln und auszubilden; und die Wahrheit dieser Behauptung leuchtet gerade recht aus der wunderbaren Art hervor, wie die Aegyptier Bilder- und Buchstabenschrift in einander übergehen ließen. Buchstabenschrift und Sprachanlage stehen daher in dem engsten Zusammenhange, und in durchgängiger Beziehung auf einander. Dies werde ich mich bemühen, hier sowohl aus Begriffen, als, soviel es in der Kürze geschehen kann, welche diesen Abhandlungen geziemt, geschichtlich zu beweisen. Die Wahl dieses Gegenstandes hat mir aus dem zwiefachen Grunde angemessen geschienen, daß die Natur der Sprache in der That nicht vollständig eingesehen werden kann, wenn man nicht zugleich ihren Zusammenhang mit der Buchstabenschrift untersucht, und daß gerade jene neuesten Beschäftigungen mit der Aegyptischen Schrift den Antheil an Untersuchungen über Schrift-Erfindung und Aneignung im gegenwärtigen Augenblicke verdoppeln. Alles, was sich auf die äußeren Zwecke der Schrift, ihren Nutzen im Gebrauch für das Leben und die Verbreitung der Kenntnisse bezieht, übergehe ich gänzlich. Ihre Wichtigkeit von dieser Seite leuchtet zu sehr von selbst ein, und nur Wenige dürften in dieser Hinsicht die Vorzüge der Buchstabenschrift vor den übrigen Schriftarten verkennen. Ich beschränke mich bloß auf den Einfluß der alphabetischen auf die Sprache und ihre Behandlung. 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Allein auch wenn eine Nation Erfinderin einer Buchstabenschrift ist, bleibt ihre Art, dieselbe zu behandeln, ihrer Anlage entsprechend, den Gedanken aufzufassen und durch Sprache zu fesseln und auszubilden; und die Wahrheit dieser Behauptung leuchtet gerade recht aus der wunderbaren Art hervor, wie die Aegyptier Bilder- und Buchstabenschrift in einander übergehen ließen.</p> <p>Buchstabenschrift und Sprachanlage stehen daher in dem engsten Zusammenhange, und in durchgängiger Beziehung auf einander. Dies werde ich mich bemühen, hier sowohl aus Begriffen, als, soviel es in der Kürze geschehen kann, welche diesen Abhandlungen geziemt, geschichtlich zu beweisen. 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Grade beiwohnende Erfindsamkeit, und durch ihre Schriftzeichen selbst dahin gekommen seyn, nicht bloß, wie sie jetzt thun, Lautzeichen als Nebenhülfe zu gebrauchen, sondern ein wahres, vollständiges und reines Alphabet zu bilden.
Auf Aegypten allein schien diese Vorstellungsart nicht recht zu passen. Denn die heutige Coptische Sprache beweist unläugbar, daß auch die Alt-Aegyptische einen Bau besaß, der nicht von großen Sprachanlagen der Nation zeugt, und dennoch hat Aegypten nicht nur Buchstabenschrift besessen, sondern war sogar, nach keinesweges verwerflichen Zeugnissen, die Wiege derselben. Allein auch wenn eine Nation Erfinderin einer Buchstabenschrift ist, bleibt ihre Art, dieselbe zu behandeln, ihrer Anlage entsprechend, den Gedanken aufzufassen und durch Sprache zu fesseln und auszubilden; und die Wahrheit dieser Behauptung leuchtet gerade recht aus der wunderbaren Art hervor, wie die Aegyptier Bilder- und Buchstabenschrift in einander übergehen ließen.
Buchstabenschrift und Sprachanlage stehen daher in dem engsten Zusammenhange, und in durchgängiger Beziehung auf einander. Dies werde ich mich bemühen, hier sowohl aus Begriffen, als, soviel es in der Kürze geschehen kann, welche diesen Abhandlungen geziemt, geschichtlich zu beweisen. Die Wahl dieses Gegenstandes hat mir aus dem zwiefachen Grunde angemessen geschienen, daß die Natur der Sprache in der That nicht vollständig eingesehen werden kann, wenn man nicht zugleich ihren Zusammenhang mit der Buchstabenschrift untersucht, und daß gerade jene neuesten Beschäftigungen mit der Aegyptischen Schrift den Antheil an Untersuchungen über Schrift-Erfindung und Aneignung im gegenwärtigen Augenblicke verdoppeln.
Alles, was sich auf die äußeren Zwecke der Schrift, ihren Nutzen im Gebrauch für das Leben und die Verbreitung der Kenntnisse bezieht, übergehe ich gänzlich. Ihre Wichtigkeit von dieser Seite leuchtet zu sehr von selbst ein, und nur Wenige dürften in dieser Hinsicht die Vorzüge der Buchstabenschrift vor den übrigen Schriftarten verkennen. Ich beschränke mich bloß auf den Einfluß der alphabetischen auf die Sprache und ihre Behandlung. Ist dieser wirklich bedeutend, ist der Zusammenhang der Sprache mit dem Gebrauche eines Alphabets
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