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Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen […]. Erster Band. [Ankündigung des Erscheinens und Auszug, Teil 2 von 2].. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 50 (1808), S. 197–199.

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Wir verließen die Höhle bey einbrechender Nacht, nach-
dem wir mehrere Schädel und das vollständige Skelett eines
bejahrten Mannes, zum größten Aergerniß unserer indiani-
schen Führer, gesammelt hatten. Einer dieser Schädel ist
von Herrn Blumenbach in seinem vortrefflichen kranio-
logischen Werke abgebildet worden. Das Skelett aber ist,
wie ein großer Theil unserer Sammlungen, in einem Schiff-
bruch untergegangen, der an der afrikanischen Küste unserm
Freunde und ehemaligen Reisegefährten, dem jungen Fran-
zi[s]kanermönch, Juan Gunzalez, das Leben kostete.

Wie im Vorgefühl dieses schmerzhaften Verlustes, in
ernster Stimmung, entfernten wir uns von der Gruft eines
untergegangenen Völkerstammes. Es war eine der heitern
und kühlen Nächte, die unter den Wendekreisen so gewöhn-
lich sind. Mit farbigen Ringen umgeben, stand die Mond-
scheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des
Nebels, der in scharfen Umrissen, wolkenartig, den schäu-
menden Fluß bedeckte. Zahllose Jnsekten gossen ihr röthli-
ches Phosphorlicht über die krautbedeckte Erde. Von leben-
digem Feuer glühte der Boden, als habe die sternvolle
Himmelsdecke sich auf die Grasflur niedergesenkt. Rankende
Bignonien, duftende Vanille, und gelbblühende Banisterien
schmücken den Eingang der Höhle. Ueber dem Grabe rau-
schen die Gipfel der Palmen.

So sterben dahin die Geschlechter der Menschen. Es verhallt
die rühmliche Kunde der Völker. Doch wenn jede Blüthe
des Geistes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke
schaffender Kunst zerstieben, so entsprießt ewig neues Leben
aus dem Schooße der Erde. Rastlos entfaltet ihre Knospen
die zeugende Natur -- unbekümmert, ob der frevelnde Mensch
(ein nie versöhntes Geschlecht) die reifende Frucht zertritt.



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Wir verließen die Hoͤhle bey einbrechender Nacht, nach-
dem wir mehrere Schaͤdel und das vollſtaͤndige Skelett eines
bejahrten Mannes, zum groͤßten Aergerniß unſerer indiani-
ſchen Fuͤhrer, geſammelt hatten. Einer dieſer Schaͤdel iſt
von Herrn Blumenbach in ſeinem vortrefflichen kranio-
logiſchen Werke abgebildet worden. Das Skelett aber iſt,
wie ein großer Theil unſerer Sammlungen, in einem Schiff-
bruch untergegangen, der an der afrikaniſchen Kuͤſte unſerm
Freunde und ehemaligen Reiſegefaͤhrten, dem jungen Fran-
zi[s]kanermoͤnch, Juan Gunzalez, das Leben koſtete.

Wie im Vorgefuͤhl dieſes ſchmerzhaften Verluſtes, in
ernſter Stimmung, entfernten wir uns von der Gruft eines
untergegangenen Voͤlkerſtammes. Es war eine der heitern
und kuͤhlen Naͤchte, die unter den Wendekreiſen ſo gewoͤhn-
lich ſind. Mit farbigen Ringen umgeben, ſtand die Mond-
ſcheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des
Nebels, der in ſcharfen Umriſſen, wolkenartig, den ſchaͤu-
menden Fluß bedeckte. Zahlloſe Jnſekten goſſen ihr roͤthli-
ches Phosphorlicht uͤber die krautbedeckte Erde. Von leben-
digem Feuer gluͤhte der Boden, als habe die ſternvolle
Himmelsdecke ſich auf die Grasflur niedergeſenkt. Rankende
Bignonien, duftende Vanille, und gelbbluͤhende Baniſterien
ſchmuͤcken den Eingang der Hoͤhle. Ueber dem Grabe rau-
ſchen die Gipfel der Palmen.

So ſterben dahin die Geſchlechter der Menſchen. Es verhallt
die ruͤhmliche Kunde der Voͤlker. Doch wenn jede Bluͤthe
des Geiſtes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke
ſchaffender Kunſt zerſtieben, ſo entſprießt ewig neues Leben
aus dem Schooße der Erde. Raſtlos entfaltet ihre Knospen
die zeugende Natur — unbekuͤmmert, ob der frevelnde Menſch
(ein nie verſoͤhntes Geſchlecht) die reifende Frucht zertritt.



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[199/0003] Wir verließen die Hoͤhle bey einbrechender Nacht, nach- dem wir mehrere Schaͤdel und das vollſtaͤndige Skelett eines bejahrten Mannes, zum groͤßten Aergerniß unſerer indiani- ſchen Fuͤhrer, geſammelt hatten. Einer dieſer Schaͤdel iſt von Herrn Blumenbach in ſeinem vortrefflichen kranio- logiſchen Werke abgebildet worden. Das Skelett aber iſt, wie ein großer Theil unſerer Sammlungen, in einem Schiff- bruch untergegangen, der an der afrikaniſchen Kuͤſte unſerm Freunde und ehemaligen Reiſegefaͤhrten, dem jungen Fran- ziskanermoͤnch, Juan Gunzalez, das Leben koſtete. Wie im Vorgefuͤhl dieſes ſchmerzhaften Verluſtes, in ernſter Stimmung, entfernten wir uns von der Gruft eines untergegangenen Voͤlkerſtammes. Es war eine der heitern und kuͤhlen Naͤchte, die unter den Wendekreiſen ſo gewoͤhn- lich ſind. Mit farbigen Ringen umgeben, ſtand die Mond- ſcheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des Nebels, der in ſcharfen Umriſſen, wolkenartig, den ſchaͤu- menden Fluß bedeckte. Zahlloſe Jnſekten goſſen ihr roͤthli- ches Phosphorlicht uͤber die krautbedeckte Erde. Von leben- digem Feuer gluͤhte der Boden, als habe die ſternvolle Himmelsdecke ſich auf die Grasflur niedergeſenkt. Rankende Bignonien, duftende Vanille, und gelbbluͤhende Baniſterien ſchmuͤcken den Eingang der Hoͤhle. Ueber dem Grabe rau- ſchen die Gipfel der Palmen. So ſterben dahin die Geſchlechter der Menſchen. Es verhallt die ruͤhmliche Kunde der Voͤlker. Doch wenn jede Bluͤthe des Geiſtes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke ſchaffender Kunſt zerſtieben, ſo entſprießt ewig neues Leben aus dem Schooße der Erde. Raſtlos entfaltet ihre Knospen die zeugende Natur — unbekuͤmmert, ob der frevelnde Menſch (ein nie verſoͤhntes Geſchlecht) die reifende Frucht zertritt. ___________________ ________________________________________________________________________________________________________

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen […]. Erster Band. [Ankündigung des Erscheinens und Auszug, Teil 2 von 2].. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 50 (1808), S. 197–199, hier S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_natur02_1808/3>, abgerufen am 24.11.2024.