Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

daß zu seiner Zeit noch nicht in der griechischen Sphäre die Sternbilder des Drachen, des Cepheus und des kleinen Bären, welche auch nicht untergehen, vorhanden waren. Es wird keinesweges die Kenntniß von der Existenz der einzelnen Sterne, die jene drei Catasterismen bilden, geläugnet; nur ihre Reihung in Bilder. Eine lange, oft mißverstandene Stelle des Strabo (lib. I pag. 3 Casaub.) über Homer Il. XVIII, 485-489 beweist vorzugsweise, was hier wichtig ist, die allmälige Aufnahme von Bildern in die griechische Sphäre. "Mit Unrecht", sagt Strabo, "beschuldigt man Homer der Unwissenheit, als habe er nur Eine Bärinn statt zweier gekannt. Vermuthlich war die andere noch nicht versternt; sondern erst seitdem die Phönicier dieses Sternbild bezeichneten und zur Seefahrt benutzten, kam es auch zu den Hellenen." Alle Scholien zum Homer, Hygin und Diogenes aus Laerte schreiben die Einführung dem Thales zu. Der Pseudo-Eratosthenes hat den kleinen Bär Phoinike (gleichsam das phönicische Leitgestirn) genannt. Hundert Jahre später (Ol. 71) bereicherte Cleostratus von Tenedos die Sphäre mit dem Schützen, Toxotes, und dem Widder, khrios.

In diese Epoche erst, die der Gewaltherrschaft der Pisistratiden, fällt nach Letronne die Einführung des Thierkreises in die alte griechische Sphäre. Eudemus aus Rhodos, einer der ausgezeichnetsten Schüler des Stagiriten, Verfasser einer "Geschichte der Astronomie", schreibt die Einführung des Thierkreis-Gürtels e tou zodiakou diazosis, auch zoidios kuklos) dem Oenopides von Chios, einem Zeitgenossen des Anaxagoras, zu.27 Die Idee von der Beziehung der Planeten und Fixsterne auf die Sonnenbahn,

daß zu seiner Zeit noch nicht in der griechischen Sphäre die Sternbilder des Drachen, des Cepheus und des kleinen Bären, welche auch nicht untergehen, vorhanden waren. Es wird keinesweges die Kenntniß von der Existenz der einzelnen Sterne, die jene drei Catasterismen bilden, geläugnet; nur ihre Reihung in Bilder. Eine lange, oft mißverstandene Stelle des Strabo (lib. I pag. 3 Casaub.) über Homer Il. XVIII, 485–489 beweist vorzugsweise, was hier wichtig ist, die allmälige Aufnahme von Bildern in die griechische Sphäre. „Mit Unrecht“, sagt Strabo, „beschuldigt man Homer der Unwissenheit, als habe er nur Eine Bärinn statt zweier gekannt. Vermuthlich war die andere noch nicht versternt; sondern erst seitdem die Phönicier dieses Sternbild bezeichneten und zur Seefahrt benutzten, kam es auch zu den Hellenen.“ Alle Scholien zum Homer, Hygin und Diogenes aus Laerte schreiben die Einführung dem Thales zu. Der Pseudo-Eratosthenes hat den kleinen Bär Φοινίκη (gleichsam das phönicische Leitgestirn) genannt. Hundert Jahre später (Ol. 71) bereicherte Cleostratus von Tenedos die Sphäre mit dem Schützen, Τοξότης, und dem Widder, χριός.

In diese Epoche erst, die der Gewaltherrschaft der Pisistratiden, fällt nach Letronne die Einführung des Thierkreises in die alte griechische Sphäre. Eudemus aus Rhodos, einer der ausgezeichnetsten Schüler des Stagiriten, Verfasser einer „Geschichte der Astronomie“, schreibt die Einführung des Thierkreis-Gürtels ἡ τοῦ ζωδιακοῦ διάζωσις, auch ζωίδιος κύκλος) dem Oenopides von Chios, einem Zeitgenossen des Anaxagoras, zu.27 Die Idee von der Beziehung der Planeten und Fixsterne auf die Sonnenbahn,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0165" n="160"/>
daß zu seiner Zeit noch nicht in der griechischen Sphäre die Sternbilder des Drachen, des Cepheus und des kleinen Bären, welche auch nicht untergehen, vorhanden waren. Es wird keinesweges die Kenntniß von der Existenz der einzelnen Sterne, die jene drei Catasterismen bilden, geläugnet; nur ihre Reihung in Bilder. Eine lange, oft mißverstandene Stelle des Strabo (lib. I pag. 3 Casaub.) über Homer Il. XVIII, 485&#x2013;489 beweist vorzugsweise, was hier wichtig ist, die <hi rendition="#g">allmälige</hi> Aufnahme von Bildern in die griechische Sphäre. &#x201E;Mit Unrecht&#x201C;, sagt Strabo, &#x201E;beschuldigt man Homer der Unwissenheit, als habe er nur Eine Bärinn statt zweier gekannt. Vermuthlich war die andere noch nicht <hi rendition="#g">versternt;</hi> sondern erst seitdem die Phönicier dieses Sternbild bezeichneten und zur Seefahrt benutzten, kam es auch zu den Hellenen.&#x201C; Alle Scholien zum Homer, Hygin und Diogenes aus Laerte schreiben die Einführung dem Thales zu. Der Pseudo-Eratosthenes hat den kleinen Bär <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03A6;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BD;&#x03AF;&#x03BA;&#x03B7;</foreign></hi> (gleichsam das phönicische Leitgestirn) genannt. Hundert Jahre später (Ol. 71) bereicherte Cleostratus von Tenedos die Sphäre mit dem Schützen, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03A4;&#x03BF;&#x03BE;&#x03CC;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;</foreign></hi>, und dem Widder, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03C7;&#x03C1;&#x03B9;&#x03CC;&#x03C2;</foreign></hi>.</p>
              <p>In diese Epoche erst, die der Gewaltherrschaft der Pisistratiden, fällt nach Letronne die Einführung des Thierkreises in die alte griechische Sphäre. Eudemus aus Rhodos, einer der ausgezeichnetsten Schüler des Stagiriten, Verfasser einer &#x201E;Geschichte der Astronomie&#x201C;, schreibt die Einführung des Thierkreis-<hi rendition="#g">Gürtels</hi> <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x1F21; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03B6;&#x03C9;&#x03B4;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BA;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03B4;&#x03B9;&#x03AC;&#x03B6;&#x03C9;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2;</foreign></hi>, auch <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x03B6;&#x03C9;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; &#x03BA;&#x03CD;&#x03BA;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2;</foreign></hi>) dem Oenopides von Chios, einem Zeitgenossen des Anaxagoras, zu.<note xml:id="ftn193" next="#ftn193-text" place="end" n="27"/> Die Idee von der Beziehung der Planeten und Fixsterne auf die <hi rendition="#g">Sonnenbahn,</hi> </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0165] daß zu seiner Zeit noch nicht in der griechischen Sphäre die Sternbilder des Drachen, des Cepheus und des kleinen Bären, welche auch nicht untergehen, vorhanden waren. Es wird keinesweges die Kenntniß von der Existenz der einzelnen Sterne, die jene drei Catasterismen bilden, geläugnet; nur ihre Reihung in Bilder. Eine lange, oft mißverstandene Stelle des Strabo (lib. I pag. 3 Casaub.) über Homer Il. XVIII, 485–489 beweist vorzugsweise, was hier wichtig ist, die allmälige Aufnahme von Bildern in die griechische Sphäre. „Mit Unrecht“, sagt Strabo, „beschuldigt man Homer der Unwissenheit, als habe er nur Eine Bärinn statt zweier gekannt. Vermuthlich war die andere noch nicht versternt; sondern erst seitdem die Phönicier dieses Sternbild bezeichneten und zur Seefahrt benutzten, kam es auch zu den Hellenen.“ Alle Scholien zum Homer, Hygin und Diogenes aus Laerte schreiben die Einführung dem Thales zu. Der Pseudo-Eratosthenes hat den kleinen Bär Φοινίκη (gleichsam das phönicische Leitgestirn) genannt. Hundert Jahre später (Ol. 71) bereicherte Cleostratus von Tenedos die Sphäre mit dem Schützen, Τοξότης, und dem Widder, χριός. In diese Epoche erst, die der Gewaltherrschaft der Pisistratiden, fällt nach Letronne die Einführung des Thierkreises in die alte griechische Sphäre. Eudemus aus Rhodos, einer der ausgezeichnetsten Schüler des Stagiriten, Verfasser einer „Geschichte der Astronomie“, schreibt die Einführung des Thierkreis-Gürtels ἡ τοῦ ζωδιακοῦ διάζωσις, auch ζωίδιος κύκλος) dem Oenopides von Chios, einem Zeitgenossen des Anaxagoras, zu. ²⁷ Die Idee von der Beziehung der Planeten und Fixsterne auf die Sonnenbahn,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/165
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/165>, abgerufen am 23.11.2024.