Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.poesie, und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, selbst in Voß, dem edeln und tiefen Kenner des classischen Alterthums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erst als das Studium der Erdräume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Naturwissenschaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Zonen benutzt werden. Die älteren Reisenden des Mittelalters, wie John Mandeville (1353), Hans Schiltberger aus München (1425) und Bernhard von Breytenbach (1486), erfreuen uns noch heute durch eine liebenswürdige Naivetät, durch ihre Freiheit der Rede, durch die Sicherheit, mit welcher sie vor einem Publikum auftreten, das ganz unvorbereitet, und darum um so neugieriger und leichtgläubiger anhört, weil es sich noch nicht schämen gelernt hat ergötzt oder gar erstaunt zu scheinen. Das Interesse der Reisen war damals fast ganz dramatisch, ja die nothwendige und dazu so leichte Einmischung des Wunderbaren gab ihnen beinahe eine epische Färbung. Die Sitten der Völker werden minder beschrieben als sie sich durch den Contact des Reisenden mit den Eingeborenen anschaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer sehr angenehmen oder seltsam gestalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimension von Stamm und Blättern gedacht wird. Unter den Thieren werden zunächst die menschenähnlichen, dann die reißenden, gefahrbringenden mit besondrer Vorliebe beschrieben. Die Zeitgenossen des Reisenden glaubten noch poesie, und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, selbst in Voß, dem edeln und tiefen Kenner des classischen Alterthums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erst als das Studium der Erdräume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Naturwissenschaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Zonen benutzt werden. Die älteren Reisenden des Mittelalters, wie John Mandeville (1353), Hans Schiltberger aus München (1425) und Bernhard von Breytenbach (1486), erfreuen uns noch heute durch eine liebenswürdige Naivetät, durch ihre Freiheit der Rede, durch die Sicherheit, mit welcher sie vor einem Publikum auftreten, das ganz unvorbereitet, und darum um so neugieriger und leichtgläubiger anhört, weil es sich noch nicht schämen gelernt hat ergötzt oder gar erstaunt zu scheinen. Das Interesse der Reisen war damals fast ganz dramatisch, ja die nothwendige und dazu so leichte Einmischung des Wunderbaren gab ihnen beinahe eine epische Färbung. Die Sitten der Völker werden minder beschrieben als sie sich durch den Contact des Reisenden mit den Eingeborenen anschaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer sehr angenehmen oder seltsam gestalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimension von Stamm und Blättern gedacht wird. 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Die Sitten der Völker werden minder beschrieben als sie sich durch den Contact des Reisenden mit den Eingeborenen anschaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer sehr angenehmen oder seltsam gestalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimension von Stamm und Blättern gedacht wird. Unter den Thieren werden zunächst die menschenähnlichen, dann die reißenden, gefahrbringenden mit besondrer Vorliebe beschrieben. Die Zeitgenossen des Reisenden glaubten noch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0074]
poesie, und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, selbst in Voß, dem edeln und tiefen Kenner des classischen Alterthums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erst als das Studium der Erdräume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Naturwissenschaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Zonen benutzt werden.
Die älteren Reisenden des Mittelalters, wie John Mandeville (1353), Hans Schiltberger aus München (1425) und Bernhard von Breytenbach (1486), erfreuen uns noch heute durch eine liebenswürdige Naivetät, durch ihre Freiheit der Rede, durch die Sicherheit, mit welcher sie vor einem Publikum auftreten, das ganz unvorbereitet, und darum um so neugieriger und leichtgläubiger anhört, weil es sich noch nicht schämen gelernt hat ergötzt oder gar erstaunt zu scheinen. Das Interesse der Reisen war damals fast ganz dramatisch, ja die nothwendige und dazu so leichte Einmischung des Wunderbaren gab ihnen beinahe eine epische Färbung. Die Sitten der Völker werden minder beschrieben als sie sich durch den Contact des Reisenden mit den Eingeborenen anschaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer sehr angenehmen oder seltsam gestalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimension von Stamm und Blättern gedacht wird. Unter den Thieren werden zunächst die menschenähnlichen, dann die reißenden, gefahrbringenden mit besondrer Vorliebe beschrieben. Die Zeitgenossen des Reisenden glaubten noch
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