Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß diese Grenze Function der geographischen Breite ist, wurde zuerst von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonso de Hojeda und Amerigo Vespucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 gesehen; Rodrigo Bastidas und Juan de la Cosa untersuchten sie mehr in der Nähe 1501; aber erst nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Vespucci, Neffe des Amerigo, seinem Beschützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mittheilte, bekam die an dem Gebirgsufer des antillischen Meeres sichtbare tropische Schneeregion eine große, man möchte sagen eine kosmische Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältnissen der Wärmeabnahme und der Verschiedenheit der Klimate in Verbindung gesetzt. Herodot in seinen Untersuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Existenz der Schneeberge südlich vom Wendekreise des Krebses gänzlich geläugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Kho (ore agannipha): aber diese liegen zwischen 34° und 36° nördlicher Breite. Die einzige, von Physikern sehr unbeachtete, Angabe von "Schnee in der Aequatorial-Zone", die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, ist in der berühmten Inschrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und August gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntniß der Abhängigkeit der unteren Schneegrenze von dem Polarabstande des Orts99, die erste Einsicht in das Gesetz der senkrecht abnehmenden Wärme und die dadurch bedingte Senkung einer ohngefähr gleich kalten oberen Luftschicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht

Daß diese Grenze Function der geographischen Breite ist, wurde zuerst von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonso de Hojeda und Amerigo Vespucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 gesehen; Rodrigo Bastidas und Juan de la Cosa untersuchten sie mehr in der Nähe 1501; aber erst nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Vespucci, Neffe des Amerigo, seinem Beschützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mittheilte, bekam die an dem Gebirgsufer des antillischen Meeres sichtbare tropische Schneeregion eine große, man möchte sagen eine kosmische Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältnissen der Wärmeabnahme und der Verschiedenheit der Klimate in Verbindung gesetzt. Herodot in seinen Untersuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Existenz der Schneeberge südlich vom Wendekreise des Krebses gänzlich geläugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Kho (ὄρη ἀγάννιφα): aber diese liegen zwischen 34° und 36° nördlicher Breite. Die einzige, von Physikern sehr unbeachtete, Angabe von „Schnee in der Aequatorial-Zone", die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, ist in der berühmten Inschrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und August gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntniß der Abhängigkeit der unteren Schneegrenze von dem Polarabstande des Orts99, die erste Einsicht in das Gesetz der senkrecht abnehmenden Wärme und die dadurch bedingte Senkung einer ohngefähr gleich kalten oberen Luftschicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0328" n="323"/>
Daß diese Grenze <hi rendition="#g">Function der geographischen Breite</hi> ist, wurde zuerst von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonso de Hojeda und Amerigo Vespucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 gesehen; Rodrigo Bastidas und Juan de la Cosa untersuchten sie mehr in der Nähe 1501; aber erst nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Vespucci, Neffe des Amerigo, seinem Beschützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mittheilte, bekam die an dem Gebirgsufer des antillischen Meeres sichtbare <hi rendition="#g">tropische Schneeregion</hi> eine große, man möchte sagen eine kosmische Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältnissen der Wärmeabnahme und der Verschiedenheit der Klimate in Verbindung gesetzt. Herodot in seinen Untersuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Existenz der Schneeberge südlich vom Wendekreise des Krebses gänzlich geläugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Kho (<hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">&#x1F44;&#x03C1;&#x03B7; &#x1F00;&#x03B3;&#x03AC;&#x03BD;&#x03BD;&#x03B9;&#x03C6;&#x03B1;</foreign></hi>): aber diese liegen zwischen 34° und 36° nördlicher Breite. Die einzige, von Physikern sehr unbeachtete, Angabe von &#x201E;Schnee in der Aequatorial-Zone", die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, ist in der berühmten Inschrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und August gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntniß der Abhängigkeit der unteren Schneegrenze von dem Polarabstande des Orts<note xml:id="ftn438" next="#ftn438-text" place="end" n="99"/>, die erste Einsicht in das Gesetz der senkrecht abnehmenden Wärme und die dadurch bedingte Senkung einer ohngefähr gleich kalten oberen Luftschicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0328] Daß diese Grenze Function der geographischen Breite ist, wurde zuerst von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonso de Hojeda und Amerigo Vespucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 gesehen; Rodrigo Bastidas und Juan de la Cosa untersuchten sie mehr in der Nähe 1501; aber erst nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Vespucci, Neffe des Amerigo, seinem Beschützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mittheilte, bekam die an dem Gebirgsufer des antillischen Meeres sichtbare tropische Schneeregion eine große, man möchte sagen eine kosmische Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältnissen der Wärmeabnahme und der Verschiedenheit der Klimate in Verbindung gesetzt. Herodot in seinen Untersuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Existenz der Schneeberge südlich vom Wendekreise des Krebses gänzlich geläugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Kho (ὄρη ἀγάννιφα): aber diese liegen zwischen 34° und 36° nördlicher Breite. Die einzige, von Physikern sehr unbeachtete, Angabe von „Schnee in der Aequatorial-Zone", die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, ist in der berühmten Inschrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und August gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntniß der Abhängigkeit der unteren Schneegrenze von dem Polarabstande des Orts ⁹⁹ , die erste Einsicht in das Gesetz der senkrecht abnehmenden Wärme und die dadurch bedingte Senkung einer ohngefähr gleich kalten oberen Luftschicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/328
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/328>, abgerufen am 24.11.2024.