Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.phantasiereichen Sprache) zeigt sich groß in der todten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im stillen Treiben der organischen Entfaltung. Bei der allmäligen Auflösung der römischen Weltherrschaft verschwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die schöpferische Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diction; sie verschwinden zuerst in den lateinischen Ländern, später auch in dem griechischen Osten. Hang zur Einsamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Versenkung des Gemüths wird sichtbar; sie wirkt gleichzeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Styls. Wenn sich auf einmal etwas neues in den Gefühlen der Menschen zu entwickeln scheint, so kann fast immer ein früher, tiefliegender Keim, wie vereinzelt, aufgespürt werden. Die Weichheit43 des Mimnermos hat man oft eine sentimentale Richtung des Gemüthes genannt. Die alte Welt ist nicht schroff von der neueren geschieden; aber Veränderungen in den religiösen Ahndungen der Menschheit, in den zartesten sittlichen Gefühlen, in der speciellen Lebensweise derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Massen ausüben, machten plötzlich vorherrschend, was früher der Aufmerksamkeit entgehen mußte. Die christliche Richtung des Gemüths war die, aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweisen. Eine solche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeschreibungen. Die frühesten und ausführlichsten finden wir bei einem Zeitgenossen des Tertullianus und Philostratus, bei einem rhetorischen Sachwalter zu Rom, Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts. phantasiereichen Sprache) zeigt sich groß in der todten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im stillen Treiben der organischen Entfaltung. Bei der allmäligen Auflösung der römischen Weltherrschaft verschwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die schöpferische Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diction; sie verschwinden zuerst in den lateinischen Ländern, später auch in dem griechischen Osten. Hang zur Einsamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Versenkung des Gemüths wird sichtbar; sie wirkt gleichzeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Styls. Wenn sich auf einmal etwas neues in den Gefühlen der Menschen zu entwickeln scheint, so kann fast immer ein früher, tiefliegender Keim, wie vereinzelt, aufgespürt werden. Die Weichheit43 des Mimnermos hat man oft eine sentimentale Richtung des Gemüthes genannt. Die alte Welt ist nicht schroff von der neueren geschieden; aber Veränderungen in den religiösen Ahndungen der Menschheit, in den zartesten sittlichen Gefühlen, in der speciellen Lebensweise derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Massen ausüben, machten plötzlich vorherrschend, was früher der Aufmerksamkeit entgehen mußte. Die christliche Richtung des Gemüths war die, aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweisen. Eine solche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeschreibungen. Die frühesten und ausführlichsten finden wir bei einem Zeitgenossen des Tertullianus und Philostratus, bei einem rhetorischen Sachwalter zu Rom, Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0031" n="26"/> phantasiereichen Sprache) zeigt sich groß in der todten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im stillen Treiben der organischen Entfaltung. Bei der allmäligen Auflösung der römischen Weltherrschaft verschwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die schöpferische Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diction; sie verschwinden zuerst in den lateinischen Ländern, später auch in dem griechischen Osten. Hang zur Einsamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Versenkung des Gemüths wird sichtbar; sie wirkt gleichzeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Styls.</p> <p>Wenn sich auf einmal etwas neues in den Gefühlen der Menschen zu entwickeln scheint, so kann fast immer ein früher, tiefliegender Keim, wie vereinzelt, aufgespürt werden. Die Weichheit<note xml:id="ftn42" next="#ftn42-text" place="end" n="43"/> des Mimnermos hat man oft eine sentimentale Richtung des Gemüthes genannt. Die alte Welt ist nicht schroff von der neueren geschieden; aber Veränderungen in den religiösen Ahndungen der Menschheit, in den zartesten sittlichen Gefühlen, in der speciellen Lebensweise derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Massen ausüben, machten plötzlich vorherrschend, was früher der Aufmerksamkeit entgehen mußte. Die christliche Richtung des Gemüths war die, aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweisen. Eine solche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeschreibungen. Die frühesten und ausführlichsten finden wir bei einem Zeitgenossen des Tertullianus und Philostratus, bei einem rhetorischen Sachwalter zu Rom, Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0031]
phantasiereichen Sprache) zeigt sich groß in der todten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im stillen Treiben der organischen Entfaltung. Bei der allmäligen Auflösung der römischen Weltherrschaft verschwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die schöpferische Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diction; sie verschwinden zuerst in den lateinischen Ländern, später auch in dem griechischen Osten. Hang zur Einsamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Versenkung des Gemüths wird sichtbar; sie wirkt gleichzeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Styls.
Wenn sich auf einmal etwas neues in den Gefühlen der Menschen zu entwickeln scheint, so kann fast immer ein früher, tiefliegender Keim, wie vereinzelt, aufgespürt werden. Die Weichheit
⁴³
des Mimnermos hat man oft eine sentimentale Richtung des Gemüthes genannt. Die alte Welt ist nicht schroff von der neueren geschieden; aber Veränderungen in den religiösen Ahndungen der Menschheit, in den zartesten sittlichen Gefühlen, in der speciellen Lebensweise derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Massen ausüben, machten plötzlich vorherrschend, was früher der Aufmerksamkeit entgehen mußte. Die christliche Richtung des Gemüths war die, aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweisen. Eine solche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeschreibungen. Die frühesten und ausführlichsten finden wir bei einem Zeitgenossen des Tertullianus und Philostratus, bei einem rhetorischen Sachwalter zu Rom, Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |