Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.Alterthum auf uns gekommen; und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen, das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie. Es ist sogar bekannt, daß Julius Cäsar, als er zu seinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um "während des Ueberganges über die Alpen" eine grammatische Schrift de analogia anzufertigen.40 Silius Italicus (er starb unter Trajan, wo die Schweiz schon sehr angebaut war) beschreibt die Alpengegend als eine schreckenerregende, vegetationslose Einöde41, während er mit Liebe alle Felsenschluchten Italiens und die buschigen Ufer des Liris (Garigliano) besingt42. Auffallend ist dabei, daß der wundersame Anblick gegliederter Basaltsäulen, wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei sie in vielfältigen Gruppen darbieten, die Römer zu keiner Beschreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat. Während die Gefühle abstarben, welche das classische Alterthum belebten und den Geist auf Handlung und Aeußerung menschlicher Thatkraft, nicht auf Zustände und Beschauung der Außenwelt leiteten, gewann eine neue Sinnesart Raum. Es verbreitete sich allmälig das Christenthum; und wie dieses, selbst wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen Freiheit des Menschengeschlechts für die niederen Volksclassen wohlthätig wirkte, so erweiterte es auch den Blick in die freie Natur. Das Auge haftete nicht mehr an den Gestalten der olympischen Götter; der Schöpfer (so lehren es die Kirchenväter in ihrer kunstgerechten, oft dichterisch Alterthum auf uns gekommen; und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen, das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie. Es ist sogar bekannt, daß Julius Cäsar, als er zu seinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um „während des Ueberganges über die Alpen" eine grammatische Schrift de analogia anzufertigen.40 Silius Italicus (er starb unter Trajan, wo die Schweiz schon sehr angebaut war) beschreibt die Alpengegend als eine schreckenerregende, vegetationslose Einöde41, während er mit Liebe alle Felsenschluchten Italiens und die buschigen Ufer des Liris (Garigliano) besingt42. Auffallend ist dabei, daß der wundersame Anblick gegliederter Basaltsäulen, wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei sie in vielfältigen Gruppen darbieten, die Römer zu keiner Beschreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat. Während die Gefühle abstarben, welche das classische Alterthum belebten und den Geist auf Handlung und Aeußerung menschlicher Thatkraft, nicht auf Zustände und Beschauung der Außenwelt leiteten, gewann eine neue Sinnesart Raum. Es verbreitete sich allmälig das Christenthum; und wie dieses, selbst wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen Freiheit des Menschengeschlechts für die niederen Volksclassen wohlthätig wirkte, so erweiterte es auch den Blick in die freie Natur. Das Auge haftete nicht mehr an den Gestalten der olympischen Götter; der Schöpfer (so lehren es die Kirchenväter in ihrer kunstgerechten, oft dichterisch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0030" n="25"/> Alterthum auf uns gekommen; und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen, das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie. Es ist sogar bekannt, daß Julius Cäsar, als er zu seinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um „während des Ueberganges über die Alpen" eine grammatische Schrift <hi rendition="#g">de analogia</hi> anzufertigen.<note xml:id="ftn39" next="#ftn39-text" place="end" n="40"/> Silius Italicus (er starb unter Trajan, wo die Schweiz schon sehr angebaut war) beschreibt die Alpengegend als eine schreckenerregende, vegetationslose Einöde<note xml:id="ftn40" next="#ftn40-text" place="end" n="41"/>, während er mit Liebe alle Felsenschluchten Italiens und die buschigen Ufer des Liris (Garigliano) besingt<note xml:id="ftn41" next="#ftn41-text" place="end" n="42"/>. Auffallend ist dabei, daß der wundersame Anblick gegliederter Basaltsäulen, wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei sie in vielfältigen Gruppen darbieten, die Römer zu keiner Beschreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat.</p> <p>Während die Gefühle abstarben, welche das classische Alterthum belebten und den Geist auf <hi rendition="#g">Handlung</hi> und Aeußerung menschlicher Thatkraft, nicht auf <hi rendition="#g">Zustände</hi> und Beschauung der Außenwelt leiteten, gewann eine neue Sinnesart Raum. Es verbreitete sich allmälig das Christenthum; und wie dieses, selbst wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen <hi rendition="#g">Freiheit</hi> des Menschengeschlechts für die niederen Volksclassen wohlthätig wirkte, so erweiterte es auch den Blick in die <hi rendition="#g">freie</hi> Natur. Das Auge haftete nicht mehr an den Gestalten der olympischen Götter; der Schöpfer (so lehren es die Kirchenväter in ihrer kunstgerechten, oft dichterisch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0030]
Alterthum auf uns gekommen; und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen, das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie. Es ist sogar bekannt, daß Julius Cäsar, als er zu seinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um „während des Ueberganges über die Alpen" eine grammatische Schrift de analogia anzufertigen.
⁴⁰
Silius Italicus (er starb unter Trajan, wo die Schweiz schon sehr angebaut war) beschreibt die Alpengegend als eine schreckenerregende, vegetationslose Einöde
⁴¹
, während er mit Liebe alle Felsenschluchten Italiens und die buschigen Ufer des Liris (Garigliano) besingt
⁴²
. Auffallend ist dabei, daß der wundersame Anblick gegliederter Basaltsäulen, wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei sie in vielfältigen Gruppen darbieten, die Römer zu keiner Beschreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat.
Während die Gefühle abstarben, welche das classische Alterthum belebten und den Geist auf Handlung und Aeußerung menschlicher Thatkraft, nicht auf Zustände und Beschauung der Außenwelt leiteten, gewann eine neue Sinnesart Raum. Es verbreitete sich allmälig das Christenthum; und wie dieses, selbst wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen Freiheit des Menschengeschlechts für die niederen Volksclassen wohlthätig wirkte, so erweiterte es auch den Blick in die freie Natur. Das Auge haftete nicht mehr an den Gestalten der olympischen Götter; der Schöpfer (so lehren es die Kirchenväter in ihrer kunstgerechten, oft dichterisch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |